MÜNCHEN. Je dunkler die Hautfarbe, desto höher die Wahrscheinlichkeit, von Alltagsrassismus betroffen zu sein. Eine Münchener Studie zeigt eine erschreckende Tendenz. Wissenschaftler fordern mehr Sensibilität von Lehrern.
Fast zwei von fünf Kindern und Jugendlichen in Deutschland (39 %) haben einen
Migrationshintergrund, 70 % von ihnen haben einen deutschen Pass. Doch nur 37 % von ihnen würden sich selbst auch als „Deutsche“ bezeichnen.
Tatsächlich wird es Heranwachsenden mit Zuwanderungsgeschichte offenbar nicht leicht gemacht, sich als Deutsche zu fühlen. Sieben von zehn Kindern und Jugendlichen im Alter von sechs bis 19 Jahren mit Zuwanderungsgeschichte erfahren Alltagsrassismus, ergab eine Studie des Münchener Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI). Tendenz: Je dunkler die Hautfarbe, desto höher die Wahrscheinlichkeit, von Alltagsrassismus betroffen zu sein. Fast alle der befragten 6- bis 19-Jährigen mit dunklerer und dunkler Hautfarbe sind mit Formen von Alltagsrassismus konfrontiert.
Für ihre Studie befragten die IZI-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter rund 1500 Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 19 Jahren zu ihren Erfahrungen mit Alltagsrassismus, darunter knapp 500 mit Migrationshintergrund. Um die Zusammenhänge noch tiefer gehend zu verstehen, wurden 22 Einzelfallstudien durchgeführt, in denen Kinder zwischen acht und 12 Jahren von ihren Erfahrungen und ihrem Erleben von Alltagsrassismus erzählten.
Angesichts ihrer Ergebnisse sei dringend mehr Schulung und Sensibilität von Lehrkräften, aber auch von Schülerinnen und Schülern gefragt, so die Wissenschaftler. Dies zeige sich schon an den ganz konkreten Formen von Alltagsrassismus, die sie aus den Einzelgesprächen und der Befragung ermittelten.
“Wo kommst du wirklich her?“
Als häufigste Form von Alltagsrassismus begegnete den Forscherinnen und Forschern die scheinbar ganz harmlose Frage „Wo kommst du wirklich her?“, die oftmals aus Neugier oder beim Small Talk gestellt werde. So harmlos die Frage auch gemeint sein mag, beinhalte sie unterschwellig doch: „Du bist anders“ und „Du kannst nicht von hier kommen“. Durch diese „Mikroaggressionen“ würden Kinder und Erwachsene immer wieder, auch unbewusst ausgegrenzt. Mehr als sieben von zehn Heranwachsenden mit dunkler Hautfarbe bekämen diese Frage immer wieder gestellt, wobei Antworten wie „Aus Bayern“ oder „Aus Berlin“ nicht akzeptiert würden. Neun von zehn Kindern und Jugendlichen mit dunkler Hautfarbe gaben an, auch ähnliche Fragen, wie die, ob sie schon immer in Deutschland lebten oder wo sie wirklich herkämen, als sehr negativ und ausgrenzend.
Acht von zehn Heranwachsenden mit dunkler Hautfarbe empfänden auch die Aussage „Du kannst aber gut Deutsch sprechen!“ als negativ. Insbesondere diejenigen, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind. Wenn Deutsch ihre Muttersprache ist, empfanden sie diese unreflektierte Aussage besonders von Lehrkräften als verletzend. Im Unterschied dazu empfanden sieben von zehn weißen Kindern und Jugendlichen mit Zuwanderungsgeschichte eine solche Aussage als Kompliment.
Die Aussage „Du bist hässlich!“ wird wohl niemand als Kompliment werten können. Fast sieben von zehn Kindern mit dunklerer Hautfarbe (67 %) berichteten, dass ihnen schon einmal gesagt, worden sei, dass sie hässlich seien, meist aufgrund ihrer Hautfarbe und ihrer Haare. Von den Kindern ohne Zuwanderungsgeschichte erfuhren solche Abwertungen, „nur“ 23 % der Befragten.
Jungen mit Zuwanderungsgeschichte sind von Alltagsrassismus etwas häufiger betroffen als Mädchen
„Du gehörst nicht zu Deutschland. Geh zurück in dein Land. Geh sterben“: Die häufigste Form von Beschimpfung stellten, so die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Äußerungen dar, dass die Kinder und Jugendlichen in das Land zurückgehen sollten, aus dem sie gekommen seien. Der heute neunjährige Aabid aus Syrien etwa, beschrieb, schon als er in der ersten Klasse war, von einem älteren Schüler mit dieser Aussage konfrontiert worden zu sein. Die zweithäufigste Form hätten Beleidigungen in Bezug auf eine türkische Zuwanderungsgeschichte dargestellt, gefolgt von allgemeinen Beschimpfungen als „Ausländer“.
Die meisten Beschimpfungen, denen Jugendliche ausgesetzt waren, kamen aus dem direkten alltäglichen Umfeld. Sieben von zehn Beschimpfungen gingen von Mitschülerinnen und Mitschülern aus. Bei Lehrkräften kämen dagegen meist subtilere Formen von Alltagsrassismus vor, was von den Jugendlichen noch einmal mehr als verletzende Abwertung empfunden werde.
Jungen mit Zuwanderungsgeschichte sind von Alltagsrassismus etwas häufiger
betroffen als Mädchen. Körperliche Angriffe erleben Jungen mit Zuwanderungsgeschichte fast doppelt so häufig wie Mädchen. Auch Beschimpfungen, Witze oder Vorurteile aufgrund ihrer Herkunft erlebten Jungen häufiger. Mädchen würden hingegen öfter als Jungen gefragt, ob ihre Haare angefasst werden dürften, was ausnahmslos alle Befragten mit dunkler Hautfarbe als unangenehm empfanden.
Insgesamt werde anhand der Studie deutlich, wie sehr Heranwachsende tatsächlich von Alltagsrassismus betroffen sind – als Täterinnen und Täter sowie als Opfer. Um der real existierenden Vielfalt in Deutschland gerecht zu werden, brauche es daher dringend fundierte Schulungen von Lehrkräften und pädagogische Einheiten im Kontext von Schule und Freizeit, schließt Studienleiterin Maya Götz.
