Website-Icon News4teachers

Corona-Experten fordern von Politikern, endlich Fakten anzuerkennen (Kultusminister dürfen sich angesprochen fühlen!)

Anzeige

DORTMUND. Mit einem dringlichen Appell haben sich 35 Corona-Expertinnen und Experten an die verantwortlichen Politiker in Deutschland gewandt und an sie appelliert, ihrer Verantwortung für die Pandemiebekämpfung nachzukommen – und endlich die Realitäten in der Krise anzuerkennen. Die Kultusminister dürfen sich angesprochen fühlen. Unterzeichnet haben den Aufruf unter anderem die Virologinnen Melanie Brinkmann und Isabella Eckerle, die Intensivmediziner Michael Hallek, Christian Karagiannidis, Uwe Janssens und Stefan Kluge, die Modellierer Dirk Brockmann und Thorsten Lehr, die Infektiologin Susanne Herold, der Soziologe Armin Nassehi sowie der Physiker Matthias Schneider.

Die Kultusminister haben sich offenbar ihre eigene Welt gebaut, in der Corona kaum eine Rolle spielt. Foto: Shutterstock

„Die vierte Welle der Coronapandemie baut sich vor unseren Augen mit voller Kraft auf. Die Inzidenz erreicht die höchsten Werte seit dem Beginn der Pandemie – Tendenz steigend. Schon jetzt sterben in unserem Land 700 Menschen pro Woche – Tendenz steigend. Jeder Tag des Abwartens kostet Menschenleben. Zeit für einen Aufruf“, so schreiben die Autorinnen und Autoren.

„Wir blicken in großer Sorge auf die kommenden Wochen und Monate. Die derzeitige pandemische Situation hat das Potential, die Situation aus dem Frühjahr und vergangene Wellen in den Schatten zu stellen. Einmal mehr ist der Zeitpunkt für frühzeitiges Handeln allen Warnungen zum Trotz verstrichen. Das Infektionsgeschehen breitet sich unkontrolliert aus. Das Gesundheitssystem läuft Gefahr, zusammenzubrechen. Das Personal in den Krankenhäusern ist müde und quittiert den Dienst. Auch im ambulanten Bereich steigen die Patientenzahlen; die Infektionssprechstunden sind überfüllt. Die Arbeitslast liegt auch dort seit Monaten über 100%.“

Anzeige

„Es ist für uns unverständlich, dass die Verantwortungsträger dieses Landes eine solche Situation zugelassen haben“

Die Kritik an der Politik ist scharf. „Wir empfinden eine tiefe Enttäuschung über die Gefährdung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und über den wiederholt nachlässigen Umgang mit dem Wohlergehen der Menschen, die auf den Schutz des Staates angewiesen sind. Es ist für uns unverständlich, dass die Verantwortungsträger dieses Landes eine solche Situation zugelassen haben, obwohl wir inzwischen über wichtige und wirksame Instrumente verfügen, um dem Sars-CoV-2-Virus Einhalt zu gebieten: Es sind zuallererst die Impfstoffe als effektivste Vorbeugung, die uns im Unterschied zu vielen anderen Ländern in ausreichender Menge zur Verfügung stehen. Es sind aber auch das Wissen und die Erfahrung mit diesem Erreger, die eine effizientere Pandemiebekämpfung hätten ermöglichen können.“

Eine Vielzahl von entsprechenden Handlungsempfehlungen aus der Wissenschaft sei „deutlich kommuniziert, aber leider nur zögerlich, unvollständig oder nicht nachhaltig umgesetzt“ worden. „Im Gegenteil: für die Pandemiebekämpfung zentrale und dringend notwendige Infrastrukturen wie z. B. die Kontaktrückverfolgung oder die Test- und Impfzentren wurden wieder zurückgebaut. Auch in der vierten Welle gelingt das Pandemiemanagement nicht so, wie man es angesichts des Wohlstandes und der technologischen und administrativen Möglichkeiten Deutschlands erwarten sollte. Stattdessen verlagert die Politik durch ihr passives Abwarten zunehmend die Verantwortung, die vierte Welle zu brechen, ins Private, das heißt in den Ermessensspielraum jedes einzelnen Menschen. Solch eine Haltung ist bei nationalen Gesundheitskrisen dieses Ausmaßes nicht angebracht.“

Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner fordern vor allem: „die Realität anzuerkennen: Dieses Virus wird die Welt noch eine Weile in Atem halten. Es wird nicht einfach verschwinden. Auch im ‚endemischen‘ Zustand, so es diesen erreicht, wird es wahrscheinlich immer wieder heftige Infektionswellen verursachen, sofern die Impfraten nicht deutlich gesteigert werden. Zwischen der Inzidenz und den nachfolgenden Zahlen für Krankenhausaufenthalte, Intensivpatienten, Verstorbene und Langzeitgeschädigte wird es immer einen klaren Zusammenhang geben. Er kann sich zwar quantitativ ändern, wird sich aber nie entkoppeln. Im Sinne eines Frühwarnsystems bleiben Inzidenzwerte – zusammen mit anderen Parametern – unverzichtbar.“

„Wir haben ein riesiges Sicherheitskonzept innerhalb der Schulen aufgebaut“ – behauptet die Kultusministerin

Zudem bedeute Verantwortung „eine aufrichtige, besonnene und vor allem kohärente Kommunikation, die den Bürgerinnen und Bürgern vertraut, ihnen aber auch unangenehme Wahrheiten zumutet sowie klare und konsistente Verhaltensrichtlinien vorgibt. Dass eine solche Kommunikation sowie einheitliche verbindliche Regelungen weiterhin fehlen, untergräbt das Vertrauensverhältnis zwischen Regierung und Bevölkerung, beschädigt somit auch das Vertrauen in die Maßnahmen – unter anderem in das Impfen – und trägt dadurch erheblich zur Verlängerung der Pandemie bei.“

NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) hatte zuvor beteuert, die Schulen seien „nach wie vor keine Pandemietreiber“. Die Zahl der mit dem Coronavirus infizierten Schüler sei in NRW „weiter sehr gering“. Ähnliche Töne kamen noch in dieser Woche aus Stuttgart: „Wir haben ein riesiges Sicherheitskonzept innerhalb der Schulen aufgebaut“, behauptete Baden-Württembergs Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne). Es sei ein „wirkliches Märchen“, dass die Schulen Treiber der Infektionen seien. Dabei liegen die Inzidenzen unter Schülerinnen und Schülern in Deutschland aktuell bei einem Wert von rund 400. Das Robert-Koch-Institut registriert eine Vielzahl von Ausbrüchen in Kitas und Schulen.

„Wir halten es für notwendig, dass die Pandemiebekämpfung eine stärkere Sachgrundlage erhält“, so schreiben die Expertinnen und Experten nun. Die Entscheidungen müssten viel stärker als bisher an wissenschaftlichen Erkenntnissen ausgerichtet werden müssen. „Es wäre zu überlegen, ob eine solche Sachgrundlage von einem professionellen Krisenstab erarbeitet, öffentlich kommuniziert und nach politischer Abstimmung mit entsprechender Management-Kompetenz umgesetzt wird. Diesem Stab sollten neben Fachexpert*innen aus unterschiedlichen Disziplinen, darunter die Virologie, die Medizin und die Öffentliche Gesundheit, unbedingt auch Personen aus der Praxis angehören, die über extensive operative Leitungs- und Management-Erfahrung – etwa in Kliniken oder in erfolgreichen Unternehmen – verfügen.“ Zu ergänzen wäre: aus Schulen. News4teachers

Hier lässt sich der vollständige Brief herunterladen.

Wie im Märchen: Kultusminister erklären sich in der Corona-Krise für „erfolgreich“

 

Anzeige
Die mobile Version verlassen