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Internationale Studie: Knapp 2.000 Kinder in Deutschland wurden in den ersten drei Corona-Wellen zu Halbwaisen

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BERLIN. Das bislang übersehene Leid: Knapp 2.000 Kinder in Deutschland haben in den ersten drei Corona-Wellen ein Elternteil oder ein sie versorgendes Großelternteil verloren. Dies zeigt eine internationale Studie.

Bei der Diskussion um Schutzmaßnahmen in Schulen waren Familienangehörige bislang kaum ein Thema – für die Politik jedenfalls nicht. Foto: Shutterstock

„Ich dachte immer: Das Coronavirus gibt es und es ist gefährlich, aber nicht für mich. Und auch nicht für meine Familie. Mein Bruder ist gesund, mein Vater und meine Mutter auch, keiner hat eine Vorerkrankung, keiner raucht.“ Er habe daher keinen Grund zur Sorge gesehen, berichtet der 17-jährige Pascal L. in der „hessenschau“: „Ich ging davon aus, dass, wenn es irgendjemand von uns hat, er halt eine Grippe für zwei Wochen hat und fertig.“

„Ich weine eigentlich nicht so viel, aber wenn ich mich an diese Zeit erinnere, kommt alles wieder hoch“

Anfang Dezember 2020 kam seine Mutter mit Atemnot ins Krankenhaus. Per Videoanruf machte sie ihren Söhnen Hoffnung, erinnert sich Pascal: „Sie hat gesagt: Wir sehen uns wieder. Das brachte mich zum Weinen.“ Der Schüler erzählt laut Bericht ausführlich von jenen schweren Wochen, immer wieder bricht seine Stimme. „Ich weine eigentlich nicht so viel, aber wenn ich mich an diese Zeit erinnere, kommt alles wieder hoch.“ Denn Pascal hat seine Mutter nicht mehr lebend wiedergesehen: Sie starb noch am selben Tag an den Folgen von Corona – mit 49 Jahren.

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Kinder erkranken in der Regel nicht schwer an Corona – damit begründen Kultusminister, warum trotz extrem hoher Inzidenzen unter Schülerinnen und Schülern die Schulen weiter unbegrenzt geöffnet bleiben sollen. Davon abgesehen, dass Wissenschaftler wie die vom Robert-Koch-Institut erklären, dass, erstens, in Einzelfällen auch bei Kindern durchaus schwere Verläufe möglich sind, und, zweitens, insbesondere die gesundheitlichen Langzeitfolgen von Corona noch gar nicht absehbar sind, rückt eine internationale Studie ein weiteres Problem in den Fokus: Immer mehr Kinder werden aufgrund von Corona zu Waisen oder Halbwaisen – auch in Deutschland.

Mehr als eine Million Kinder weltweit haben laut einer internationalen Studie als Folge der Corona-Pandemie mindestens ein Elternteil oder ein für sie sorgendes Großelternteil verloren. Rechne man weitere im Haushalt wohnende altere Angehörige noch hinzu, hätten sogar mehr als 1,5 Millionen Kinder eine Betreuungsperson verloren. Diese Hochrechnung gelte für den Zeitraum März 2020 bis April 2021, berichten Forscher um Seth Flaxman vom Imperial College in London im Fachjournal “The Lancet”. Die vierte Welle ist in die Zahlen also noch nicht einbezogen. Sie dürften mittlerweile nochmal deutlich höher liegen.

Kinder in Deutschland sind ebenfalls betroffen: Danach haben im genannten Zeitraum 369 Kinder ihre Mutter durch Corona verloren, 1.221 ihren Vater. 108 mussten den Tod ihrer sie versorgenden Großmutter erleben, 133 den Tod ihres sie versorgenden Großvaters. Dass mehr Väter sterben als Mütter, ist ein internationales Muster: Die Zahl der Kinder, die Väter verloren hätten, sei insgesamt zwei- bis fünfmal so hoch wie die Zahl der Kinder, die Mütter verloren hätten, so heißt es.

Pascal L. hat zum Gedenken an seine Mutter im Wohnzimmer der Familie einen kleinen Altar aufgebaut

Dass enge Angehörige von Kindern sterben, sei eine bedeutende, bislang übersehene Konsequenz der Pandemie, schreibt die US-Gesundheitsbehörde NIH in einer Mitteilung zur Studie. Die Analyse mache deutlich, dass eine psychosoziale und wirtschaftliche Unterstützung für diese Kinder eine zentrale Rolle bei der Reaktion auf diese Pandemie spielen sollte. Als Grundlage der Studie nutzten die Forscher unter anderem Daten zur Geburtenrate sowie zu Corona-Todesfallzahlen aus rund zwei Dutzend Ländern, die sie hochrechneten. Weil die Daten nicht überall in gleichem Maß erhoben würden, könne es sich bei den Zahlen nur um – wahrscheinlich eher unterschätzte – Annäherungen handeln, hieß es von den Wissenschaftlern.

Die Zahl der durch die Pandemie zu Halbwaisen und Waisen gewordenen Kinder sei bezogen auf die Bevölkerungszahl unter anderem in Südafrika, Mexiko, Brasilien und Kolumbien besonders hoch. Pascal L. hat zum Gedenken an seine Mutter im Wohnzimmer der Familie einen kleinen Altar aufgebaut: Fotos darauf zeigen eine lebenslustige Frau mit dunklen Locken. News4teachers / mit Material der dpa

Hier geht es zu der Studie im Fachjournal “The Lancet”.

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