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Schulen als Testzentren: Warum Gebauer trotz fehlender PCR-Kapazitäten daran festhält, Kinder in der Klasse zu testen

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DÜSSELDORF. Wegen knapper Kapazitäten und steigender Corona-Fallzahlen gelten in Nordrhein-Westfalen seit dem heutigen Mittwoch kurzfristig Änderungen für Grundschüler bei den PCR-Tests. Die Umstellung verschärft das Risiko, dass sich Kinder und Lehrkräfte in der Schule infizieren. Warum Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) trotzdem daran festhält, Schüler in den Klassenräumen zu testen, lässt sich mit einem Argumentationspapier von zweifelhaftem wissenschaftlichem Wert erklären. Darin wird die Bedeutung von Schulen als Testzentren unterstrichen.

Im 19. Jahrhundert wurden Kanarienvögel im Bergbau eingesetzt – hörten sie in ihren Käfigen auf zu singen, war das ein Zeichen für einen zu geringen Sauerstoffgehalt in der Luft. Foto: Shutterstock

Das Schulministerium Nordrhein-Westfalen spricht in seiner Rundmail an die Schulen, die gestern Abend spät verschickt wurde, von einer „Strategie 2.0“. Bislang galt: Schüler an den Grund- und Förderschulen wurden mit einem „Lolli-Test“, einem Speicheltest, regelmäßig in ihrer Lerngruppe auf das Corona-Virus getestet. Ein gemeinsamer Proben-„Pool“ wurd zunächst per PCR-Test ausgewertet; im Fall eines positiven Ergebnisses wurden Einzelproben, die gleichzeitig eingesammelt worden waren, ausgewertet.

Die „Strategie 2.0“ sieht nun so aus: Bei Grundschülern mit positivem Pool-Ergebnis bei den Lolli-Tests wird nur noch mit Schnelltests nachgetestet. Die Abgabe von einzelnen PCR-Rückstellproben an die Labore entfällt – laut Schulministerium wegen starker Labor-Belastung und der vom Bund-Länder-Gipfel beschlossenen Priorisierung von PCR-Testungen auf bestimmte Gruppen.

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„Schülerinnen und Schüler eines positiv getesteten Pools werden am nächsten Tag zu Unterrichtsbeginn in den Schulen mit Antigenschnelltests getestet. Hierzu verfügen die Schulen bereits jetzt in ausreichendem Umfang über die notwendigen Testkapazitäten. Alternativ ist es auch möglich, eine offizielle Testeinrichtung im Rahmen eines Bürgertests zu nutzen und diesen Test der Schule vorzulegen“, so heißt es in dem Schreiben. „Schülerinnen und Schüler eines positiv getesteten Pools dürfen nur dann am Präsenzunterricht teilnehmen, wenn sie ein negatives Schnelltestergebnis zu Unterrichtsbeginn vorweisen können.“

„Bei einem positiven Pool kommen jetzt einfach alle am nächsten Tag in die Schule”

Das Verfahren weist zwei Probleme auf. „Bei einem positiven Pool kommen jetzt einfach alle am nächsten Tag in die Schule und werden mit Schnelltests getestet. Also munteres Maskerunter obwohl klar ist, dass irgendwer positiv ist“, so schreibt eine Lehrerin im Leserforum von News4teachers.

Zweites Problem: Schülerinnen und Schüler mit einem negativen Schnelltestergebnis nehmen am Unterricht teil – obwohl Schnelltests gar nicht zuverlässig eine Infektion anzeigen. Das Paul-Ehrlich-Institut, das Schnelltests im Auftrag des Bundesgesundheitsministerium geprüft hat, kommt für eine Marke, die in NRW zum Einsatz kommt, auf eine Sensitivität von lediglich 50 Prozent. Lediglich Infektionen mit sehr hohen Viruskonzentrationen werden zuverlässig erkannt.

Wenn also das Testverfahren Ansteckungen in Schulen mit recht hoher Wahrscheinlichkeit gar nicht verhindert, womöglich sogar das Risiko für Schüler und Lehrer erhöht – wäre es da nicht sinnvoller, gleich darauf zu verzichten? An dieser Stelle lohnt es sich, an ein Zitat von NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) vom 23. November zu erinnern: „Durch die strikten Testungen wirken unsere Schulen in der Pandemie wie ein Hygienefilter für Kinder und Jugendliche. Durch die strengen Hygiene- und Infektionsschutzmaßnahmen und das engmaschige, strikte Testsystem tragen die Schulen dazu bei, das Infektionsgeschehen zu kontrollieren und die Verbreitung des Coronavirus zu bremsen.“

Schulen sind in den Augen von Gebauer also nicht nur „keine Treiber der Pandemie“ – wie von den Kultusministern monatelang behauptet wurde –, sondern sogar „Bremsscheiben“ gegen die Ausbreitung des Coronavirus, wie sie kurz zuvor erklärt hatte.

Wie kommt die FDP-Politikerin darauf? Im November hatte die „Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit GmbH“ (IZA), die von der Deutsche Post Stiftung unter dem Vorsitz des ehemaligen Post-Chefs Klaus Zumwinkel unterhalten wird, einen „Standpunkt“ veröffentlicht – ein Papier, das die Kultusminister offensichtlich argumentativ munitionieren sollte.

„Die obligatorischen Schnelltests in Schulen stellen ein wichtiges Mittel dar, Ausbrüche frühzeitig zu erkennen und zu isolieren“

Behauptet wird darin auf der Grundlage von Daten, die kurz nach den Sommerferien erhoben worden waren: „Schulen tragen nicht zu den im Moment steigenden Corona-Fallzahlen bei. Das Wiederöffnen der Schulen nach den deutschen Sommerferien trug vermutlich sogar dazu bei, dass die Inzidenzzahlen niedriger geblieben sind, als sie bei geschlossenen Schulen gewesen wären. Die obligatorischen Schnelltests in Schulen stellen ein wichtiges Mittel dar, Ausbrüche frühzeitig zu erkennen und zu isolieren, was zur Eindämmung der Pandemie beitragen kann.“

Was die Arbeitsmarktforscher (sic!) in Unkenntnis der Bedingungen in Schulen übersehen: In der kalten Jahreszeit sind die Möglichkeiten zum Lüften der Klassenzimmer eingeschränkt, was das Infektionsgeschehen begünstigt; zudem waren im Sommer die Inzidenzen ohnehin viel niedriger als etwa derzeit. Virologen wie der Charité-Forscher Prof. Christian Drosten hatten deshalb eine große Welle erst für den Herbst vorhergesagt.

Trotzdem kommt das IZA – das regelmäßig vom Bundeswirtschaftsministerium sowie vom Bundesarbeitsministerium beauftragt wird – zu folgender Schlussfolgerung: „Das Muster, das wir in den Daten beobachten, steht im Einklang mit einer frühzeitigen Erkennung und Quarantäne erkannter Fälle, die zu einer Eindämmung auch außerhalb der Schulen führt. Die Kombination aus verpflichtendem Schulbesuch und obligatorischen Schnelltests ermöglicht einen ungefilterten und unverzerrten Blick auf die Verbreitung des Virus über alle Gesellschaftsschichten hinweg.“

Auch Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) griff die Argumentation auf. Die Schulen seien durch das regelmäßige Testen ein wichtiger Faktor der Früherkennung. „Insofern helfen sie auch, die Pandemie zu bekämpfen“, sagte sie vor wenigen Wochen.

Im 19. Jahrhundert wurden Kanarienvögel im Bergbau eingesetzt – hörten sie in ihren Käfigen auf zu singen, war das ein Zeichen für einen zu geringen Sauerstoffgehalt in der Luft. News4teachers / mit Material der dpa

Hier geht es zum Papier “IZA Standpunkte: Der eindämmende Effekt von Schulen auf die Verbreitung von SARS-CoV-2”

Studie bestätigt Kultusminister in ihrem Kurs – scheinbar. Wie Statistiker eine schiefe Diskussion um Infektionen in Schulen befeuern

 

 

 

 

 

 

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