Auch die Berufsorientierung leidet: Schülerpraktika sind in der Pandemie weggebrochen

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HANNOVER. Nach der Schule kommt der nächste Schritt: Studium oder Berufsausbildung? Dann müssen sich Jugendliche entscheiden, das aber ist schwer – und ein Praktikum könnte sicher dabei helfen. Nur: Wie kommt man in der Corona-Pandemie daran?

Was soll ich werden? Eine ohnehin schwer zu beantwortende Frage. Foto: Shutterstock

Viele Jugendliche kennen die Frage, die sie zum Ende der Schulzeit immer öfter hören – und vermutlich auch fürchten: «Was willst Du denn mal werden?» Um diese Frage beantworten zu können, brauchen sie Praxiserfahrung. Die Lösung: ein Praktikum. Aber das in der Corona-Pandemie zu bekommen, ist alles andere als einfach.

«Praktikumsplätze konnten sowohl betrieblich als auch schulisch während Corona nicht umgesetzt werden», sagte Maike Bielfeldt, Hauptgeschäftsführerin der IHK Niedersachsen. «Damit ist ein wesentliches Instrument zur Nachwuchsgewinnung und bei der Entscheidung über einen Ausbildungsplatz an vielen Stellen praktisch weggefallen.» Für Kathrin Kathrin Langel, Vize des Landeselternrates Niedersachsen, ist die Lage unbefriedigend: Jugendliche bekämen «keinen Zugang zur Arbeitswelt». Justus Scheper, der Vorsitzende des Landesschülerrates, beklagte ebenfalls den Mangel an Möglichkeiten, Praxiserfahrungen zu sammeln.

Bielfeldt betonte, Praktika bei der Berufsorientierung fehlten seit 2020 fast vollständig, seien aber virtuell kaum zu ersetzen. Denn: «Ein effektives Praktikum lebt vom persönlichen Kontakt», erklärte sie. Dies helfe jungen Menschen bei ihrer Entscheidung, ob sie sich in Beruf und Betrieb wohlfühlen.

All das sei derzeit schwer möglich: «Alle sind durch die Corona-Regeln in ihren Möglichkeiten, in der Realität zu erforschen, was sie anspricht, recht beschränkt. Darunter leidet sicher die Qualität der Berufsentscheidung.» In einer IHKN-Umfrage von 2021 sei mangelnde Berufsorientierung aus der Sicht der Betriebe das Haupthemmnis gewesen, junge Leute anzusprechen. Bielfeldt betonte: «Nach unserem Beratungsgeschäft zu urteilen, müssen wir davon ausgehen, dass sich die Lage noch einmal zugespitzt hat.» Auch von großen Unternehmen sei zu hören, dass die «Bewerberzahlen sehr, sehr deutlich zurückgegangen sind».

Daher seien Praktika wichtig, denn sie erlaubten jungen Menschen, sich ein Bild von Beruf und Betrieb zu machen. «Und zwar nicht digital, sondern in der Realität», sagte sie. «Und ein realistisches Bild über Beruf und Betrieb trägt dazu bei, Fehlentscheidungen beim Berufseinstieg zu vermeiden.» Sie betonte auch: «Online-Angebote können Praktika nicht ersetzen.»

Wie sollen Kinder und Jugendliche «ohne Kontakt zu Mensch und Materie» begreifen, welcher Beruf für sie richtig ist?

Landeselternrats-Vize Langel sagte dagegen: «Virtuell ist besser als gar nicht.» Nur: Wie solle virtuell das Streichen von Wänden vermittelt werden, wie sollten Kinder und Jugendliche «ohne Kontakt zu Mensch und Materie» begreifen, welcher Beruf für sie richtig ist? Wenig sinnvoll seien Online-Praktika in Pflegeberufen oder im Handwerk. Gleichzeitig sei die Neugier der Schüler groß, Einblick in Berufe zu bekommen – selbst nach der Absage eines vereinbarten Praktikums versuchten viele, einen neuen Platz zu finden. Sie forderte die Politik auf, nicht nur über die Verschiebung von Klassenfahrten, sondern auch über Berufsorientierung nachzudenken.

Scheper erklärte, das Pflichtpraktikum in der Oberstufe sei 2021 nicht möglich gewesen. Damit fehle ein Einblick in das «Leben nach der Schule», viele Schüler könnten sich nicht orientieren – «ein großes Manko». Aber auch unabhängig davon fehle an allgemeinbildenden Schulen die Praxis, die Berufsbildung laufe «eher schleppend», Unterrichtsbesuche und Exkursionen fielen weg, bemängelte er.

Online-Angebote seien in der aktuellen Lage trotz allem das Mittel der Wahl, auch wenn vereinbarte Praktika pandemiebedingt abgesagt würden, erklärte Bielfeldt. Von Absagen betroffene Schüler hätten zwar gegenüber anderen Absolventen keine Nachteile: «Klar ist aber, dass frühere Jahrgänge sicherlich die Chance hatten – und diese auch genutzt haben – ein Praktikum zu machen.» Damit hätten sie eine fundiertere Entscheidung treffen können. Es gebe aber noch keine Anhaltspunkte dafür, dass sich Vertragsaufhebungen in der Probezeit vermehrt hätten, weil junge Leute ihre Entscheidungen häufiger als sonst hätten revidieren müssen. Von Thomas Strünkelnberg, dpa

Berufsorientierung mit Hindernissen – Von virtuellen Praktika in Pandemiezeiten

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Jedimeisterin
2 Jahre zuvor

Da können wir ein Lied von singen. Das letzte Praktikum für meinen mehrfachbehinderten Sohn war im März 2020. Hatten wir gerade noch kurz vorm Lockdown beenden können. Und dann kurz nach Schulbeginn im Sommer drückte mir die Lehrerin die Praktikumsunterlagen in die Hand mit der Bitte für meinen Sohn auch mal mehr als zwei Praktikumsstellen zu suchen für Februar 2021.
Anmerkung: Mein Sohn ist aufgrund von Autismus+geistiger Behinderung nicht in der Lage sich einen Praktikumsplatz zu suchen. Ich wollte, dass er diesmal ohne Schulassistenz ins Praktikum startet. Das ging im März 2020 erstaunlich gut, weil mein Sohn sie dann irgendwie vor lauter Arbeit ignorierte nach dem Motto „Ich komme alleine klar“ und das nach zwei Tagen. Und ab 2021 war es verboten, dass Schüler ein Praktikum zu machen. Die Suche war alles für die Katz. Und die Leiterin von der Berufsbildungsbereih innerhalb der Werkstatt für behinderte Menschen fragte mich, ob mein Sohn nicht im Frühjahr nicht ein Praktikum außer der Reihe machen könnte. Es war zwar möglich so, aber Schülerpraktikas waren weiterhin verboten.
Und das was die Politik dort mit unseren Kindern macht, egal ob das ein Praktikum einer weiterführenden Schule ist oder auf einer Förderschule, ist in meinen Augen ein absolutes NoGo. Aber es war ja schon immer so in der Coronapandemie, unsere Kinder dürfen mal wieder alles ausbaden, was die Politik versäumt hat. Mein Sohn wird wieder mit seiner Schulbegleitung starten für ein paar Tage. Dort wo sein Praktikum ist, dort fängt er auch im September an zu arbeiten, wenn alle so klappt.

Anonym
2 Jahre zuvor

„Scheper erklärte, das Pflichtpraktikum in der Oberstufe sei 2021 nicht möglich gewesen.“
Ich gehe nicht in die Oberstufe, aus eigener Erfahrung war das Praktikum von der Schule aus – dank unserer engagierten Lehrkräfte in diesem Bereich – aber möglich, wenn auch nicht verpflichtend, sondern freiwillig. Man erhielt für die Woche, in der dann das Pflichtpraktikum stattgefunden hätte, eine Beurlaubung und schulisch wurde im Stoff nicht weitergemacht, sodass man, weil man die Chance zur Berufsorientierung nutzt, keinen Nachteil hatte. Diese Chance wurde von etwa 1/3 meiner Freunde benutzt. Zugegebenermaßen sind das viele Leute, die kein Praktikum hatten, aber immer noch besser als nichts.
Auch privat konnte ich ein Praktikum während der Ferien absolvieren. Insgesamt hatte ich dabei aber mäßig Erfolg. Bei 4 Unternehmen habe ich mich auf ein Praktikum „beworben“. 3 davon meldeten, dass sie wegen der aktuellen Situation keine Praktikanten annehmen würden; nur mit einem Unternehmen hat es dann geklappt.
Einerseits verstehe ich die Unternehmen, die die Situation mit Corona nicht noch komplizierter haben wollen als sie bereits ist, andererseits zeigt es aber ganz klar, dass es möglich ist Praktika zu machen, trotz Corona.

Ben
2 Jahre zuvor

Praktika online – auf dieser Seite überrascht mich wirklich nichts mehr … Hauptsache der IT Branche geht’s gut.

Palomino
2 Jahre zuvor

Natürlich ist es auch im Bereich der beruflichen Orientierung in Pandemiezeiten schwieriger. Aber es geht. Mit ergänzenden digitalen und hybriden Formaten, aber auch die betrieblichen Realerfahrungen klappen. Bei uns funktioniert das längst.
Natürlich nicht immer zu 100% nach Gusto, aber die Betriebe, die Kammern und die Arbeitsagenturen sind durchaus flexibel und kooperativ. Man muss sich nach der Decke strecken- eine Erfahrung, die die SuS auch machen müssen/sollen, @Frau Jedimeisterin. Außerdem, werte Dame, der Plural von Praktikum ist nicht ‚Praktikas‘!