BERLIN. Die Kultusminister haben versprochen, die Flüchtlingskinder aus der Ukraine (geschätzt 250.000 werden in Deutschland erwartet) schnell in den Schulen aufzunehmen. Um sie unterrichten zu können, sollen ukrainische Lehrkräfte einbezogen werden. Konzepte, wie der Unterricht vor Ort dann aussehen soll, gibt es bislang nicht. Die Herausforderung könnte größer werden, als sich so mancher Politiker das vorstellt – meint eine Lehrerin, die ihre ersten Erfahrung im Umgang mit ukrainischen Familien gemacht hat und im Leserforum von News4teachers davon berichtet. Wir dokumentieren ihren lesenswerten Post.
“Wir haben seit einer Woche ukrainische Flüchtlingskinder an der Grundschule. Die ersten sechs kamen am Montag, inzwischen sind es zehn Kinder. Nächste Woche kommen noch einige dazu, wie viele ist noch unbekannt. Alle Eltern, Lehrer und Kinder freuen sich, helfen zu können, mit Sachspenden (Ranzen, Federmäppchen, Heften, Stiften, Turnbeuteln…) oder durch liebevolle Aufnahme und ‘kümmern’. Vielleicht sind wir aber etwas naiv herangegangen!
Einige Kinder sind traumatisiert, was sich verschieden äußert. Einige sind völlig zurückgezogen, viele sind nicht in der Lage, auf ihrem Stuhl zu sitzen, rennen schreiend durch den Raum oder rennen aus dem Raum hinaus, setzen sich unter den Tisch, oder hauen andere Kinder. Diese Kinder bräuchten eine Person, die ukrainisch spricht und der sie ihre Probleme erzählen könnten. Auf die russische Sprache reagieren einige ungern oder gar nicht, ist es doch die Sprache des Feindes. Und nicht jedes Kind kann Russisch!
Ukrainische Lehrerinnen wollen teilweise gar nicht an den Schulen arbeiten, weil sie flexibel bleiben möchten um schnell wieder in die Heimat zurückkehren zu können! Oder sie haben noch kleine Kinder, die sie betreuen, oder Omas, die mitgeflohen sind und nicht alleine bleiben wollen.
“Anzunehmen, dass alle ukrainische Lehrerinnen mal eben so bei der Betreuung der Flüchtlingskinder einspringen, ist naiv”
Die Bedürfnisse sind so verschieden wie die Menschen, die zu uns kommen! Wir haben z. B. eine geflüchtete ukrainische Mutter mit zwei Grundschulkindern, Deutschlehrerin mit Bachelor, die aber Angst davor hat, von den Berichten der geflüchteten Kinder ‘getriggert’ zu werden und das nicht zu verkraften. Deshalb kann sie uns und den geflüchteten Kindern nicht zur Verfügung stehen. Und wahrscheinlich hat sie Recht! Sie selbst hat zwar keine Kriegshandlungen erleiden müssen, ihr Mann muss aber in der Ukraine kämpfen und hat keine Ausreiseerlaubnis bekommen! Das ist für sie, ihre Mutter und die zwei Kinder schon angsterregend genug! Jetzt anzunehmen, dass ALLE ukrainische Lehrerinnen mal eben so bei der Betreuung der ukrainischen Flüchtlingskinder einspringen können ist, gelinde gesagt, naiv!
Leider können wir Lehrkräfte kein ukrainisch, merken aber, dass es nicht reicht, die Kinder einfach in die Regelklassen zu stopfen und zu hoffen, es werde schon gut gehen! Da gibt es Kinder, die Sirenen und Bombeneinschläge erlebt haben, und nicht einfach zur Tagesordnung übergehen können! Die sich nicht verständigen können und deshalb natürlich „am Rad drehen“!
Oder Kinder, die ihr gutes Zuhause verlassen mussten, deren Haustier in irgendeinem Tierheim gelandet ist und die zu viert in kleinen privaten Einliegerwohnungen untergekommen sind und von der Hilfsbereitschaft anderer abhängig sind, Bittsteller geworden sind, gewissermaßen! Kein wünschenswerter Zustand!
Und die dann in Schulen gestopft werden, in denen sie sich im Deutschunterricht langweilen und, selbst im Matheunterricht, nicht annähernd mitkommen! Egal, was die Konsulin sagt, weiter als unsere Kinder sind die ukrainischen Flüchtlingskinder auf keinen Fall. Eher umgekehrt! Das ist alles sehr frustrierend, für die ukrainischen Mutter, die Kinder und auch für uns, die Aufnehmenden!”
Hintergrund: Die ukrainische Generalkonsulin Iryna Tybinka hatte an die Kultusminister appelliert, auf eine Kontinuität der Bildungsprozesse und ein Aufrechterhalten der nationalen Identität ukrainischer Kinder zu achten. Die Konsulin schlug vor, die Kinder über die digitale Plattform e-school.net.ua, die zu Pandemiezeiten aufgebaut wurde, zu beschulen und sehr stark auf den Einsatz von ukrainischen Lehrkräften zu setzen, die zusammen mit den Kindern geflüchtet seien. Es gehe um einen vorübergehenden Aufenthalt in Deutschland. Der Unterricht in der Ukraine sei «intensiver, vollzieht sich in kürzerer Zeit als in Deutschland und hat ebenso höhere Anforderungen», betonte Tybinka laut einem Bericht des „Tagesspiegel“.
