Umfrage unter Lehrkräften: Realschulen leiden unter ihrer „Sandwich“-Rolle – sie wollen den Hauptschul-Abschluss loswerden

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STUTTGART. Die Realschulen sind die Sandwich-Schulen im Land: Sie nehmen mögliche Hauptschüler ebenso auf wie überforderte Gymnasiasten. Darunter leidet das Niveau der Realschulen, sagen die Lehrkräfte dort. Und fordern fast durch die Bank eine Reform des Systems.

Die Realschule fühlt sich eingequetscht zwischen Gymnasium und Hauptschule – da ist es schwer, das eigene Profil zu bewahren. Foto: Shutterstock

Spricht Dirk Lederle von seinem Sorgenkind in der Heitersheimer Realschule, dann ist ihm der Ärger über das Schulsystem in Baden-Württemberg anzumerken. Der Junge geht in die 5. Klasse der Schule, die Lederle leitet, aber er gehört dort eigentlich nicht hin. «Er ist völlig überfordert, frustriert und faktisch gesehen nicht mehr zu unterrichten», klagt Lederle. Es gebe immer wieder Kinder, die von Beginn an zur Realschule gingen, die aber nur Fünfen und Sechsen schreiben. «Die Zeugnisse sehen dementsprechend aus», sagt Lederle. «Das vertragen Kinder nur eingeschränkt, denn Misserfolg demotiviert extrem. Wenn sie das als Lehrkraft oder Schulleiter mitangucken müssen, dann blutet ihnen das Herz.»

Verantwortlich für die Misere ist aus Sicht Lederles und des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) eine Reform der Realschulen, die den Zweig seit Jahren für den Hauptschulabschluss öffnet. Nach einer VBE-Umfrage sorgen sich fast alle Lehrkräfte in den baden-württembergischen Realschulen deshalb um überforderte Kinder wie den Heitersheimer Jungen und würden den Hauptschulabschluss lieber heute als morgen wieder loswerden. Neun von zehn Lehrerinnen und Lehrer sprechen sich demnach dafür aus, den Hauptschulabschluss an der Realschule abzuschaffen und der Grundschulempfehlung wieder mehr Gewicht zu verleihen.

«Unterricht von G-Schülern gemeinsam mit den anderen Realschülern in einer Klasse wird aus pädagogischen Gründen in Frage gestellt»

Den Hauptschulabschluss können Schüler an unterschiedlichen Schulformen erwerben. Hauptschüler können auf dem Weg zum Abschluss «grundständig», also auf einem einfacheren Niveau (G-Niveau), unterrichtet werden. Der Unterricht an Realschulen erfolgt dagegen in den ersten zwei Schuljahren auf einem «mittleren Niveau» – unabhängig davon, welcher Schulabschluss später angestrebt wird. Für viele Mütter und Väter ist es aus Sicht der Realschulen aber attraktiver, von der Grundschulempfehlung abzuweichen und ihr leistungsschwächeres Kind auf die Realschule und nicht auf die eigentlich passende Haupt- oder Werkrealschule zu schicken.

Das unter dem damaligen Kultusminister Andreas Stoch (SPD) beschlossene Angebot des Hauptschulabschlusses an der Realschule gilt seit dem Schuljahr 2016/17.

«Der Unterricht von G-Schülerinnen und -Schülern gemeinsam mit den anderen Realschülerinnen und -Realschülern in einer Klasse wird aus pädagogischen Gründen in Frage gestellt», sagte der VBE-Landesvorsitzende Gerhard Brand. Werde gleichzeitig auf beiden Niveaus unterrichtet, könne keines richtig bedient werden. Ergebnis: die einen würden überfordert, die anderen nicht ausreichend gefördert. Das System werde den Kindern nicht gerecht und sei arbeitsintensiv.

Realschulen sind in Baden-Württemberg in einer Art Sandwich-Position: Sie sind Auffangbecken für die Schüler, die an eine der Hauptschulen gegangen wären, die zunehmend geschlossen werden. Sie können dort ihren Hauptschulabschluss machen. Aber auch Gymnasiasten, die wegen Überforderung an die Realschule kommen, haben dort Chancen.

Der VBE fordert nicht nur, den Hauptschulabschluss an den derzeit knapp 480 öffentlichen und privaten Realschulen als Ausnahmefall zu sehen, wenn es in der Nähe keine Alternative gibt. Die gemeinsame Orientierungsstufe in den Klassen 5 und 6 – ohne Sitzenbleiber und auf schwererem M-Niveau – sollte auf ein Jahr verkürzt werden, spätestens nach Klassenstufe 5 müsste also das G-Niveau angeboten werden. Und Schulen, die einen G-Zug anbieten möchten, weil sie es sich leisten können, sollten aus Sicht des VBE unterstützt werden. «Die allermeisten Lehrkräfte sehen das bisherige Konzept als pädagogisch gescheitert an», sagte Brand.

Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) sieht bei der Orientierungsstufe ebenfalls «definitiv Handlungsbedarf». «Die Regelung in der Orientierungsstufe, dass nur auf Realschulniveau bewertet wird, ist demotivierend für einige Schülerinnen und Schüler, die durchgehend schlechte Noten bekommen», räumte sie ein. Sie sagte zu, Ideen des VBE zu überdenken.

«Die Eltern ignorieren die Empfehlung und wollen es dennoch ausprobieren»

Fast einhellige Zustimmung kommt auch von den Landtagspateien. Der Grünen-Koalitionspartner CDU unterstütze die Forderungen «ausdrücklich», sagte Bildungsexperte Alexander Becker. Die AfD sieht sich bestätigt: «Der Unterricht in der Realschule muss wie in allen Schulen auf einer Niveaustufe erfolgen», sagte der Abgeordnete Rainer Balzer. «Unterschiedliche Lernniveaus in einer Klasse lehnen wir ab.» Die FDP sprach von einem «deutlichen Alarmruf». Realschulen würden zum Sammelbecken für alle, gleich welche Begabung sie hätten. «Dann werden die Kinder in ihrem landesverfassungsmäßigen Recht, differenziert beschult zu werden, beschnitten», sagte FDP-Bildungspolitiker Timm Kern.

Schulleiter Lederle sieht allerdings auch die Eltern in der Pflicht: Ein Viertel der Kinder mit einer Empfehlung für die Werk- oder Hauptschule landeten auf der Realschule, nach Ministeriumsangaben ein Fünftel. «Die Eltern ignorieren die Empfehlung und wollen es dennoch ausprobieren.» Von diesen Kindern schafften es aber nur die Hälfte bis zum Abschluss. «Für die anderen ist die Realschule mit Enttäuschung und Frist verbunden.» Für Fälle wie sein Heitersheimer Sorgenkind wünscht er sich eine «Notausstiegsklausel» nach der 5. Stufe. News4teachers / mit Material der dpa

VDR-Jahreskongress: „Wir wünschen uns eine Renaissance der Realschulen“ – Seitenhieb gegen Gesamtschulen

 

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Indra Rupp
1 Jahr zuvor

Man bekommt immer ein „Nein“, egal wo, wenn man fragt , ob jemand gerne die Schwächeren mitschleppen möchte! Die Stärkeren, in diesem Fall Gymnasiumfähigen werden dagegen mit Kusshand genommen, denn sie tun oft der Klasse außerordentlich gut. Tja, dass alle immer die Stärkeren aber nie die Schwächeren nehmen ist mathematisch irgendwie nicht möglich, denn es kann ja nur beides gleichzeitig existieren. Das Konzept ist nicht das Problem, denn die schwierigen Schüler sind ein Problem, egal wo sie sind und was für ein Konzept das genau ist . In Form einer Haupt-oder Förderschule sind sie dann einfach nur außer Sichtweite derer, deren Meinung hier eine Rolle zu spielen scheint.

Rike
1 Jahr zuvor
Antwortet  Indra Rupp

Nein, da muss ich widersprechen. Es geht nicht darum, dass die Schwächeren keiner haben will, sondern dass man sie in der Realschule in den ersten zwei Jahren nicht in einem separaten G-Kurs fördern kann. Weil es den nicht gibt. Weil diese Schulform dafür nicht ausgelegt ist.
Deshalb gibt es ja verschiedene Schulformen. Wenn aber die Eltern sich immer wieder über die Schulempfehlung hinwegsetzen, gibt es meist Frust bei den Kindern in Form von chronischer Überforderung. Darum Trennung in verschiedenen Kursen wie z.B. an der Gesamtschule in Bbg.

Tigrib
1 Jahr zuvor
Antwortet  Indra Rupp

„Schwächere mitschleppen“… das ist ja grad das Problem. Das will dich keiner. Die schwächeren Kinder brauchen viel Zuwendung, um Erfolge zu haben. Und das geht eben so, wie es derzeit ist, nicht.

Last edited 1 Jahr zuvor by Tigrib
Tom
1 Jahr zuvor
Antwortet  Indra Rupp

Wie kann man gerade auch die Stärkeren in den Klassen fördern??? Oft bewegen sie sich in außerschulischen Lernorten, um etwas für sich mitzunehmen. Auch das gehört zur Wahrheit: Es gibt nicht nur die Inklusion und von dieser sind die wenigsten betroffen.

big
1 Jahr zuvor
Antwortet  Indra Rupp

Liebe Indra,

doch das Konzept ist das Problem und nicht die schwachen SuS selbst. Problematisch ist vor allem die Tatsache, dass in den Klassen 5 und 6 auf Realschulniveau unterrichtet werden muss und wir nicht die Möglichkeit haben, die schwächeren SuS entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu beschulen. Und viele meiner Kollegen würden das tun, allerdings nicht in einer Klasse!

Außerdem liegen die Bedürfnisse der beiden Schülergruppen sehr weit auseinander. Die Hauptschüler benöten deutlich mehr Übung als die Realschüler. Ihnen diese Übungsphasen zukommen zu lassen ist aber leider nicht möglich, da die Zeit im mittleren Niveau dafür nicht vorgesehen ist. Auch bei den Inhalten geht es deutlich auseinander. So sitzen G-Schüler (Hauptschüler) mit M-Schülern (Realschüler) auch nach Klasse 6 noch in der gleichen Klasse.

Im Fach Mathematik sieht das dann so aus, dass ein G-Schüler für seinen Abschluss ca. 1/3 – 1/2 der zu behandelnden Themen nicht bearbeiten muss, für die M-Schüler diese Themen aber zwingend notwendig sind. Das führt bei beiden Seiten zu Frustration, wie du dir denken kannst.

Ein weiteres Problem aus der Praxis: In meiner 5. Klasse haben ca. 2/3 der Schüler eine Grundschulempfehlung für die Gemeinschaftschule. Die Unterscheidung beispielsweise, was ein Relativpronomen oder ein Demonstrativpronomen ist, geht an ihren Bedürfnissen vorbei. Sie benötigen einfach schon Hilfe beim Bilden eines Satzes oder beim Lesen. In meinen Klassenarbeiten auf M-Niveau (ich darf kein G-Niveau anbieten) haben sie keine Chance auf gute Noten, was wiederum zum Frust führt und das auch bei wirklich tollen Kinder, die ihre Begabung einfach nicht im schulischen Bereich haben.

Auch auf die ständig vom Gymnasium abgeschulten Kinder können wir an der Realschule gerne verzichten. Diese kommen häufig mit so vielen negativen Schulerfahrungen zu uns, dass sehr viel pädagogische Arbeit notwendig ist, diese wieder seelisch zu stabilisieren.
Ein weiteres Problem mit dem „abgeschulten“ Kinder sehe ich in der Tatsache, dass diese immer wieder in eine, innerhalb eines Schuljahres gewachsene, Klassengemeinschaft geworfen werden und diese dann wieder gewaltig aufmischen. Häufig ist es inzwischen sogar so, dass wir Klassen teilen müssen, um überhaupt noch „abgeschulte“ Kinder aufnehmen zu können. Auch dies ist ein konzeptionelles Problem der Realschule, die zerrieben wird zwischen den beiden anderen Schularten.

Ich gebe dir Recht, auch die schwierigen SuS sind ein Problem, in allen Schularten. Aber das kommt leider zusätzlich zu den konzeptionellen Problemen der Realschule dazu….

Carsten60
1 Jahr zuvor
Antwortet  big

Ja, aber dass in einer einzigen Klasse auf zwei oder drei verschiedenen Niveaus überhaupt unterrichtet werden muss, dieses Konzept ist zu einer „Heiligen Kuh“ geworden. Ist es nicht eigentlich idiotisch? Jede Schule könnte doch „ihr“ Niveau haben, dafür gibt’s dann eben viele Schulen mit unterschiedlichen Niveaus. Oder in einer Schule Klassen von unterschiedlichen Niveaus, aber eben separat. Was soll da das Problem sein? Es gibt ja immer noch die Schulnoten von 1 bis 6. Die können dann das tatsächlich erreichte Niveau anzeigen, das ja schon immer „heterogen“ auch in jeder einzelnen Schulklasse war. Manche Leute wollen diese angeblich so segensreiche Heterogenität wie eine Monstranz vor sich hertragen. Und genau die sitzen mehr und mehr in den Schulministerien und haben das richtige Parteibuch. Aber gerade die unterrichten nicht.

Michi
1 Jahr zuvor
Antwortet  Indra Rupp

Das Problem ist nicht die Stärke oder Schwäche eines Schülers.
Das Problem ist, wenn diese aufgrund der Rahmenbedingungen nicht adäquat beschult werden können. Schwache Schüler kann man genauso gut unterrichten, wie starke, wenn man die Möglichkeit hat den Unterricht und die Rahmenbedingungen auf sie anzupassen.

Carsten60
1 Jahr zuvor

Tja, jetzt rächt sich mal wieder die Idiotie, dass unsere großen Bildungsexperten zwar tendenziell die Hauptschule abschaffen wollen, weil sie so unbeliebt geworden ist, dass der Hauptschulabschluss aber bestehen bleiben soll. In welchem anderen Land der Erde gibt’s sowas? Ich kenne keins, die haben normalerweise zwei Abschlüsse, einen nach der Pflichtschulzeit, den anderen so ungefähr in der Nähe von unserem Abitur.
Interessant auch, dass die Realschulen den Hauptschulabschluss loswerden wollen, nachdem man ihn gerade den Gymnasien befohlen hat. Die obigen Argumente kann man selbstverständlich auch auf Gymnasien anwenden. Die KMK spricht neuerdings nicht mehr von Gesamtschulen und Gymnasien, sondern nur noch von „Schulen, die alle drei Abschlüsse anbieten“ (Beschlüsse vom 15.10.2020).

Tom
1 Jahr zuvor
Antwortet  Carsten60

Inzwischen haben viele Gymnasien von G8 auf G9 gewechselt.

Georg
1 Jahr zuvor

Das kommt davon, wenn die Hauptschule politisch zerstört und das Abitur zum Pflichtprogramm gemacht wurde. Die mindestens halbwegs begabten oder fleißigen Realschüler bestehen am Gymnasium das Abitur, die übrig gebliebenen Realschüler und Hauptschüler sowie viele Inklusionsschüler sammeln sich an den Realschulen. Traurig aber wahr.

Tom
1 Jahr zuvor
Antwortet  Georg

Was machen Sie mit denen, die auf dem Gymnasium nach der 10. mit Ach und Krach und Note 4 gerade mal so zum Abitur zugelassen werden? Wo soll da die Grenze sein?

Georg
1 Jahr zuvor
Antwortet  Tom

Das sind Referenzbeispiele für eigentliche Realschüler, die heutzutage am Gymnasium durchkommen.

Tom
1 Jahr zuvor
Antwortet  Georg

Ich würde es schlicht als Teilhabe bezeichnen. In meinem Umfeld suchen die Gymnasien die Kooperation mit den Oberstufen von Gesamtschulen, gerade auch wenn es um die gegenseitige Wahrnehmung bestimmter Profile durch die SuS beider Schulformen geht. Konkurrenz, Neid oder verkappte Besitzstandswahrung habe ich bei Schulleitern von Gymnasien noch nie heraushören können, im Gegenteil. Man muss mit der Zeit gehen.

Das, was Sie vielleicht suchen, finden Sie möglicherweise auf Gymnasien mit Privatinternaten. Da ist man scheinbar unter sich, kostet halt nur ein bisschen was. Ausschreibungen für zu besetzende Lehrerstellen finden Sie sogar hier bei n4T.

Georg
1 Jahr zuvor
Antwortet  Tom

Zu Ihrem ersten Absatz:

Nein, die Gymnasien kooperieren oft mit anderen Gymnasien (oder anderen Schulen mit Oberstufe), um ein großes Kursangebot gerade bei selten gewählten Leistungskursen machen zu können. Mit Teilhabe, so wie Sie sie verstehen, hat das nicht viel zu tun.

Tom
1 Jahr zuvor
Antwortet  Georg

Nein, mein Hinweis auf Teilhabe bezieht sich auf Ihre Bemerkung hinsichtlich Referenzbeispielen von Realschülern.

Ihre Einschätzung hinsichtlich der Kooperationen ist unzureichend. Es geht auch um die Bündelung von Ressourcen bei Vermeidung von Doppelangeboten. Eine Bereicherung ist es für die Schülerschaft in der Sek2 beider Schulformen allemal.

Aus meiner persönlichen Sicht läuft etwas ganz anderes verkehrt auf den typischen Gymnasien. Es wird abgeschult, dann aber parallel vergessen, um geeignete Schüler anderer Schulformen zu werben. Man lebt seine Einbahnstraße. Das Staunen kommt bei der Feststellung, dass diese Schüler auf ihren Schulen ein tolles Abi (G9) machen.

Wer wie Sie sog. Eliten sucht, der sollte sich auf ein privates Gymnasien mit zugehörigem Internat orientieren. Hier bei n4T werden Stellen ausgeschrieben. Die Frage kann sein, ob Sie den Ansprüchen und Erwartungen der dortigen Elternschaft genügen.

Georg
1 Jahr zuvor
Antwortet  Tom

Wir schreiben aneinander vorbei. Die Kooperation dient lediglich dem Kursangebot. Eine Bereicherung innerhalb der Schülerschaft sehe ich nicht, weil die Gymnasiasten nur für ihre Kurse an der Gesamtschule sind und umgekehrt. Das Einbahnstraßensystem beim Schulformwechsel ist dem freien Elternwillen und der infolgedessen viel zu hohen Gymnasialquote geschuldet. Warum Gymnasien Werbung für gute Realschüler machen sollen, verstehe ich nicht. Die kommen schon von alleine.

Tom
1 Jahr zuvor
Antwortet  Georg

Es gibt hier immer wieder Verfechter der These, dass die einzig wahren Abiturienten nur auf den Gymnasien zu finden sind. Das mag für Berufliche Gymnasien oder eben für die privaten Gymnasien mit Internaten so stimmen, aus unterschiedlichen Gründen. Ein staatliches Gymnasium, das von G8 auf G9 aufgestockt hat, hat sich doch schon sehr einer Gesamtschule sehr angenähert.

Tom
1 Jahr zuvor
Antwortet  Georg

Die von Ihnen angesprochen Kurse (Profilbereich) nehmen ca. 1/3 der der Gesamtstundenzahl in der Woche ein. Das ist ein nicht unerheblicher Umfang. Werbung ist in der freien Wirtschaft durchaus üblich, Stichwort „Talente-Scouts“. Dabei ist man sehr erfolgreich. Entweder man möchte viele Bewerber oder die richtigen. Da muss man sich bewegen. Die Gymnasien, die Sie sich wünschen, die gehören der Vergangenheit an. Jeder hat seine eigenen Vorstellungen für die Zununft. Meine tendieren klar in Richtung Campus-Schulen.

Andre Hog
1 Jahr zuvor

In den ersten 12 Jahren meiner Berufslaufbahn, in denen ich an einer Brennpunkthauptschule in Bielefeld unterrichtet habe, gab es seitens der damals noch verbliebenen 11 Hauptschulen der Stadt koordinierte Bestrebungen, mit den entsprechenden Realschulen (jeweils im selben städtischen Quartier angesiedelt) zusammen zu arbeiten… gemeinsame unterrichtliche Angebote zu entwickeln, die Durchlässigkeit zu fördern usw.

Die Antwort der Realschuldirektorenkonferenz der Stadt Bielefeld lautete ablehnend, „man würde sich doch nicht mit einem Todkranken in ein Bett legen!“

Das hat uns als Hauptschul-KuK extrem schockiert.

Stattdessen war man in der Stadt erkennbar darum bemüht, das Angebot an Hauptschulplätzen auszudünnen und entsprechend Hauptschulstandorte zu schließen, was dann letztlich auch mit meiner damaligen Schule geschah.

Wir haben uns damals bereits gefragt, wo denn die SuS, die lediglich das Hauptschulniveau erreichen, denn unterrichtet werden sollen, denn klar ist doch, dass es diese SuS in etwa gleichbleibender Zahl weiterhin gibt.

Nun, da immer mehr Hauptschulen dichtgemacht worden sind, beginnen die Realschulen sich über die mangelnde Arbeits- und Lernfähigkeit ihrer Klientel zu beklagen.
Wie man denn mit der starken Heterogenität umgehen solle und dass man den SuS nicht mehr gerecht würde, dass die Arbeit immer schwieriger würde und es dringenden Handlungsbedarf diesbezüglich gibt. Also das klassische Abschirmen nach unten.

Aber wir wissen auch:

Bei jeder Radtour in einer größeren Gruppe gilt die Regel, dass der Langsamste das Tempo bestimmt, damit man gemeinsam das Ziel erreicht.
Wenn ich also nun Oma Hertha und den Träger des Gelben Trikots in die gleiche Radlergruppe stecke ist doch vorher schon klar, dass es zu massiven Verwerfungen während der Tour kommen wird.

Diese dumme Gleichmacherei bzgl der Schulformen und ihrer jeweiligen Leistungsprofile und -anforderungen kann nur schief gehen … wenn, wie in Deutschland weiterhin nicht ausreichende Mittel und Methoden angewendet werden, diese Heterogenität auszugleichen und allen SuS entsprechende individuelle Angebote zu machen.
Wir sind also wieder beim Standardproblem der individuellen Förderung mit all den daran gekoppelten Bedingungen für ein gelingendes Miteinander.

Aber das kostet Kraft, Geld, Ideen und Personal …und bei der Art und Weise, wie in Deutschland mit LuL umgegangen wird, wird es selbst bei einer echten Personalinitiative nur schwerlich gelingen, die benötigten Fachkräfte zu rekrutieren.

Bildungspolitisch wurde und wird das immer noch massiv verbockt.

Ergo:
Zu erwarten sind kaschierende Maßnahmen und Anordnungen, die nix wirklich nachhaltig verändern resp. verbessern, sondern zu erwarten ist eine „Kleistermasse der Meisterklasse“, die diese Probleme zudecken soll.

Man will keine Lösungen für ein Problem …. man will nur, dass das Problem nicht mehr erkennbar ist.

Last edited 1 Jahr zuvor by Andre Hog
Georg
1 Jahr zuvor
Antwortet  Andre Hog

Das Problem selbst darf ja noch nicht einmal benannt werden, weil das der politischen Ideologie widerspricht.

Indra Rupp
1 Jahr zuvor
Antwortet  Andre Hog

Die Realität sieht dann so aus :

https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/Oldenburg-Joe-ist-wieder-da-aber-viele-Fragen-sind-offen,joe124.html

Fängt erst einmal der Krieg richtig an, dann sind wir schwups wieder im Mittelalter und keiner hat Zeit und Kraft für die Schwächsten. Ich finde diesen Artikel sehr symbolisierend dafür, wie Menschen in der Gesellschaft gesehen werden und wo man die „lassen“ kann. Jetzt haben wir noch keinen Krieg und es gab ein großes Suchaufgebot für dieses GE – Kind. Ich vermute ein Verbrechen! Bald ist dann jeder sich selbst der Nächste und dann kommt zu Tage, für wieviel „Mensch“ man einen Behinderten hält. Unser Schulsystem geht im Grunde auch, und auch ohne Krieg und Krise, in diese Abwärtsspirale. Schlechtere Bedingungen = noch mehr Lehrermangel = noch schlechtere Bedingungen = noch mehr Auffälligkeiten = noch mehr Armut, ect = noch mehr Förderbedarf = noch mehr Lehrer bedarf….

Riesenzwerg
1 Jahr zuvor
Antwortet  Andre Hog

Jepp – mein damaliger Matheprof in PB sagte: „Nur, weil man die Hauptschulen abschafft, schafft man ja nicht auch gleich die Hauptschüler ab.“ – Die sind uns erhalten geblieben, ohne dass wir uns gut und richtig (Unterricht mit viiiiieeeeel Papier und wenig Praxis!) um sie kümmern können.

Hier in SH mit den Gemeinschaftsschulen auch lustig: ALLE unter einem Dach UND in einem Klassenraum.

Einige „lesen“ Pixibücher, der Sitznachbar liest den Herren der Ringe. Eine Klassenstufe. Beide brauchen etwa gleich lange (im Idealfall 😉 ).

Ich mag meine Schüler:innen, kann ihnen aber nicht im Ansatz gerecht werden. Auch wir sollen auf MSA-Niveau (mittlerer Schulabschluss) (an den Schüler:innen vorbei) unterrichten. Das geht nicht.

Wir tun alle unser Bestes, differenzieren was das Zeug hält, doch es ist kein gutes Gefühl, wenn zum Schluss die Noten verteilt werden.

Und Georg (s.u.) hat Recht – wir dürfen es nicht mal offen aussprechen.

DerechteNorden
1 Jahr zuvor

Wenn ich so etwas lese, kriege ich einen Lachanfall. Ich arbeite an einer Gemeinschaftsschule, wo ich ESA, MSA und Abitur abnehme. Was soll ich sagen? Das geht sehr wohl.
Natürlich muss dringend dafür gesorgt werden, dass die Klassen verkleinert werden und wir mehr Personal haben. Eine äußere Differenzierung in den Hauptfächern und Naturwissenschaften – also Kursunterricht – ist auch unabdingbar, aber dieses Separieren in verschiedene Schularten ist nicht sinnvoll.
Kleine Anekdote: Wir waren gerade mit zwei achten Klassen in Bayern auf Klassenfahrt. Die Rückmeldung von Außenstehenden war durchweg positiv. Alle waren verwundert, dass unsere Kids sich so gut verhalten haben. Die Hauptschulklassen, auf die wir getroffen sind, taten sich eher durch „originelles“ Verhalten hervor. Dafür können die nichts, aber es ist nun einmal eine Tatsache, dass es nicht sinnvoll ist, alle „Verhaltensoriginellen“ auf dieselbe Schule zu schicken.

Last edited 1 Jahr zuvor by DerechteNorden
Tigrib
1 Jahr zuvor
Antwortet  DerechteNorden

Gemeinschaftsschulen hat man aber mit ganz anderen Rahmenbedingungen ausgestattet als die Realschulen. Da ist vom Klassenteiler bis zur räumlichen Ausstattung alles beim Alten geblienen. Gerade kleine Realschulen können das nicht stemmen.
Da schwimmen die G-Kinder halt irgendwie mit, diese sind extrem frustriert und verhalten sich dann oft entsprechend.

Riesenzwerg
1 Jahr zuvor
Antwortet  Tigrib

Ehrlich?

Ich arbeite an einer Gemeinschaftsschule und habe von den ganz anderen Rahmenbedingungen bisher nichts gemerkt.

Unsere GemS-Kids verhalten sich auch immer prima, wenn wir unterwegs an anderen Lernorten sind. Das hat aber nichts mit dem inhaltlichen Lernen zu tun. Da gibt es mordsmäßig große Unterschiede.

Das sind dann häufig die Situationen, wo unsere FöS auch glänzen können!

Kluhni
1 Jahr zuvor

Die Probleme sind doch durch die Gemeinschaftsschulen entstanden. Was ist denn seit der Einführung der GMS in BW besser geworden? Die Leistungen der SuS im Ländervergleich ist kontinuierlich gesunken. Die GMS sind (wie bei den VERA Ergebnissen zu sehen) deutlich schlechter als Realschulen…tolle ideologisch durchgesetzte Schulreform!

Indra Rupp
1 Jahr zuvor
Antwortet  Kluhni

Ist doch klar, dass der Durchschnitt schlechter ist, wenn auch schwächere Schüler sich dazugesellen und hängt dann davon ab, wieviel Prozent von welchen sich zusammenfinden. Werden die Schwachen und Auffälligen an die Hauptschule abgesondert, sieht dass Ergebnis für die Realschule natürlich besser aus. Ist aber nicht so, dass es die Schwächeren dann nicht gibt – sind nur anderswo.

Kluhni
1 Jahr zuvor
Antwortet  Indra Rupp

Die Realität zeigt sich wie folgt: Die drei Niveaustufen in einer Klasse zu unterrichten ist praktisch unmöglich ohne dass man einen 24h Tag hat. Die Schwachen Schüler bleiben in der GMS ebenso auf der Strecke wie die starken. Man wird keinem gerecht. Das System mit Lernentwicklungsberichten statt Noten, nicht Sitzenbleiben etc. tut sein Übriges dazu. Die Schlechten Schüler lernen übrigens nicht von den Guten, ganz im Gegenteil, die Guten werden zunehmend ausgebremst. Die Folge ist, dass der Job mit vollem Deputat kaum mehr zu leisten ist, die Schüler schwächer sind als früher auf der Realschule und der Hauptschule. Dort wo überwiegend GMS entstanden sind, wird den restlichen Realschulen die Bude eingebrannt. Die Aufteilung von jeweils einem Drittel Gymnasial-, Haupt- und Realschülern ist an den meisten GMS ebenso Utopie. Nicht zu vergessen, dass den Realschullehrerinnen und Lehrern durch die ideologische Reform der Realschulen zu GMS schlicht und ergreifend der Beruf weggenommen wurde. Wo war jetzt nochmals der Vorteil dieser Reform? Außer die Kosten zu reduzieren, sehe ich keinen.

Tigrib
1 Jahr zuvor
Antwortet  Kluhni

Problem ist auch die entstandene Konkurrenz der GMS und der Realschulen. Da gibt es dann einen Wettkampf um die schönere Homepage, die tolleren Aktionen, das schönere Schulfest. Alles Dinge, die viel Kraft binden und absolut unnötig Zeit kosten.

Last edited 1 Jahr zuvor by Tigrib
Tom
1 Jahr zuvor
Antwortet  Kluhni

Es ist nicht die Aufgabe der guten Schüler, den schlechten Schülern etwas beizubringen. Sie haben ein Anrecht auf eigene Lernentwicklung. Gute Schüler werden häufig von bildungsnahen Elternhäuser unterstützt. Da erfolgt die Orientierung regelmäßig auf außerschulische Lernorte. Dort geschieht ein soziales Lernen in bzw. mit neuen Peer-Gruppen, faktisch auch ein potentiell neuer Freundeskreis. Das hat wiederum auch zur Folge, dass sich die guten Schüler ein Stück von der eigenen Schulklasse loslösen.
Für die Entwicklung der Gesamtheit in den Schulen wäre es sehr hilfreich, von diesen unsäglichen hohen Unterrichtsausfaelle runterzukommen.

DerechteNorden
1 Jahr zuvor
Antwortet  Kluhni

Och nö, Es gibt doch bereits Modelle, die das ganz gut machen.
Weshalb wollen einige Menschen keine leistungsschwächeren Kids unterrichten? DARUM geht es doch eigentlich.
Ich bin ausgebildete Gymnasiallehrkraft, kriege es aber trotzdem hin, auch schwächere Schüler*innen zu unterrichten, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.
Hier per se GemS abzulehnen, spricht meines Erachtens nur für Dünkel.
„Ich will aber keine Hauptschüler*innen unterrichten! Ich bin nämlich Realschullehrkraft.“
Zum Glück gibt es das bei uns in SH nicht mehr! Ja, auch an den GemS ist nicht alles so, wie es sein sollte, aber das drei- bis viergliedrige Schulsystem ergibt so doch einfach keinen Sinn mehr.
Die meckernden Realschullehrkräfte vergessen immer, dass sich die Gesellschaft sehr stark verändert hat. Vergessen Sie doch einfach mal, dass das nichts mehr mit Ideologie zu tun hat.

Kluhni
1 Jahr zuvor
Antwortet  DerechteNorden

Mit Verlaub, wir reden hier von BW. Wie können Sie sich eine Meinung von dem Schulsystem in BW bilden, wenn Sie in SH unterrichten? Da fehlt Ihnen leider der praktische Einblick.

Riesenzwerg
1 Jahr zuvor
Antwortet  DerechteNorden

Bei uns an der GemS (in SH) gibt es auch heute noch Kolleg:innen, die sich die Realschule zurückwünschen.

Phasenweise kann ich das gut verstehen.

Ich kann mir in diesem GemS-System nicht vorstellen, 40 Jahre unbeschadet zu unterrichten, obwohl ich das gerne mache, jedoch dabei immer das Gefühl habe, den wenigsten Schüler:innen gerecht zu werden.

Aber ist es wirklich so verwerflich, sich Schüler:innen zu wünschen, die gerne lernen? Das tun nämlich die MSA-Schüler:innen in der Regel.

Die bildungsfernen Elternhäuser und deren Kids haben eindeutig schlechtere Chancen, auch wenn immer Chancengleichheit gebrüllt, geschrien und versprochen wird.

Wer macht die Hausaufgaben? Die MSA-ler. Und damit haben sie pro Woche einen Wissens- und Lernvorsprung von fünf Tagen.

Die Abstände werden notgedrungen immer größer.

In Englisch lernen die MSA-ler 10 Vokabeln pro Tag, die ESA-ler 5 pro Woche. Die MSA-ler behalten ihre gelernten Wörter, die ESA-ler nicht unbedingt.

Die Abstände werden größer.

Die MSA-ler haben drei Wochen für ein Thema, die ESA-ler benötigen dafür fünf Wochen.

Die Abstände werden größer.

DerechteNorden
1 Jahr zuvor
Antwortet  Riesenzwerg

Ich denke, wir reden über unterschiedliche Systeme. Ich bin gegen Binnendifferenzierung in allen Fächern bis einschließlich Jahrgang 9 und 10. Diese gibt es leider auch in SH.
An meiner Schule gibt es eine äußere Differenzierung und gleichzeitig eine große Durchlässigkeit.
Mich stört, dass nur ein Modell betrachtet wird. Mit meiner Schule bin ich insgesamt recht zufrieden, wenngleich die gesellschaftlichen Veränderungen sich auch bei uns niederschlagen und wir viel kleinere Lerngruppen brauchen.

Riesenzwerg
1 Jahr zuvor
Antwortet  Kluhni

Die Entwicklung war in SH auch so. Zulauf bei den damals noch bestehenden Realschulen.

Die gibt es nun nicht mehr.
Auch die Förderschulen sind weitgehend aufgelöst.

Nun sind alle unter einem Dach.

Es gibt Gruppen, da klappt das gut.
Es gibt Gruppen, da klappt das gar nicht gut.
Es gibt Gruppen, da klappt überhaupt nichts.

Oft hauen und hacken die lernschwächeren Schüler:innen auf den noch lernschwächeren herum und einer ist immer das Ende der Kette.

Eine richtige Entspannung ist erst zu sehen und für die Schüler:innen zu spüren, wenn sie die zehnte Klasse erreicht haben. Dann sind dort diejenigen, die gerne lernen und das auch zeigen möchten und endlich „dürfen“.

Jaaaaaaa – es kann auch alles ganz anders sein. So ist das Leben.

DerechteNorden
1 Jahr zuvor
Antwortet  Riesenzwerg

Hilfreich sind kleinere Lerngruppen und mehr pädagogische Unterstützung. Wenn es für 1300 S*S nur drei Schulpädagog*innen gibt, ist das viel zu wenig. …

Lakon
1 Jahr zuvor

In RP gibt es außer IGS und Gym nur noch die „Realschule Plus“, formal entstanden durch die Fusion von Haupt- und Realschulen, in der Praxis die neue Hauptschule mit neuem Namen (welche zuvor „regionale Schule“ hieß). Die früheren Realschüler versuchen auf’s Gymnasium zu kommen und quälen sich dort durch. Kann man nicht einfach alle Kinder jeweils auf dem Niveau unterrichten, das ihren Fähigkeiten entspricht, statt dieses ständigen Überforderns?