„Lernen, mit der Informationsvielfalt umzugehen“: 56. bak-Seminartag diskutiert Zukunft der Lehrkräftebildung (und mehr)

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GERA. Der Bundesarbeitskreis (bak) Lehrerbildung veranstaltet vom 27. bis zum 30. September 2022 in Gera seinen 56. Seminartag – eine Veranstaltung mit Strahlkraft. In erster Linie geht es dort darum, wie sich eine zukunftsfähige Lehrkräftebildung gestalten lässt. Darüber hinaus aber geht es um nichts Geringeres als die Zukunft der Bildung.

Die Informationsgesellschaft stellt neue Anforderungen an Lernende und Lehrende. Illustration: Shutterstock

Wie kommen erfolgreiche Veränderungsprozesse in Gang? Der deutsche Wirtschaftswissenschaftler Claus Otto Scharmer, Professor am renommierten Massachusetts Institute of Technology in Cambridge, USA, forscht dazu seit Jahrzehnten. Er sucht nach Methoden für eine effiziente und nachhaltige Unternehmensführung und befragte dazu Führungskräfte von Weltkonzernen aus dem Silicon Valley. Mit seiner „Theorie U“ lieferte er eine Strategie, mit der Institutionen von Unternehmen, über Bildungseinrichtungen bis hin zu ganzen Demokratien reformiert und an die heutigen Herausforderungen angepasst werden können. Eine zentrale Erkenntnis: Auf die innere Haltung der handelnden Personen kommt es an.

„Die institutionelle Lernwirklichkeit der Schule ist mit vielen Charakteristika der Kultur der Digitalität nicht kompatibel“

„Wir benötigen einen offenen Geist, ein offenes Herz und einen offenen Willen“, erklärt Heike Scheika, Thüringer Landessprecherin des Bundesarbeitskreises (bak) Lehrerbildung – sie hat Scharmers Formel („Open mind, open will, open heart“) zum Motto des 56. Seminartags des Verbands, in dem bundesweit Lehrerausbilderinnen und -ausbilder organisiert sind, gemacht. Denn die Veränderungen, vor denen das System Schule steht, seien fundamental. Nicht allein aufgrund der Digitalisierung, „Keiner von uns kann voraussehen, was die Zukunft bringt“, sagt Heike Scheika. Das bedeute für die Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler  vorzubereiten auf ein Leben in einer zunehmend komplexer werdenden Welt im Zeitalter der Globalisierung und Digitalisierung. Dieser VUCA-Welt werden die Merkmale „Volatility“ (Unbeständigkeit), „Unvertainty“ (Ungewissheit), „Complexity“ (Komplexität) und „Ambiguity“ (Mehrdeutigkeit) zugeschrieben.

Der Prozess sei bereits angelaufen. „Sieht man die vergangenen zwei Jahre als Chance für Veränderungen, kann man inzwischen von Innovationspotenzialen sprechen, die ausgehend von einer ad-hoc Reaktion auf die veränderten Anforderungen zum Nachdenken über veränderte Ausbildungskonzepte geführt haben“, so führt sie aus. „Es wurden an vielen Orten Ideen zur Veränderung von Lehrkräfteausbildung entwickelt, die sich nicht nur auf das Thema Digitalisierung beziehen, sondern die Themen Personenorientierung, die Individualisierung der Ausbildung oder agile Seminardidaktik verstärkt in den Fokus rücken.“ Der Seminartag widmet sich nun den Grundlagen dieser Debatte – in dem er den Teilnehmerinnen und Teilnehmern Anregungen bietet, miteinander Ideen für veränderte Strukturen, Formate und Inhalte auszutauschen und weiterzuentwickeln.

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Zwei Wissenschaftler wurden dafür als Gastredner gewonnen. „Was macht die Digitalität mit der Lehrkräfteausbildung?“, so fragt Axel Krommer, Akademischer Oberrat am Lehrstuhl für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur an der Universität Erlangen-Nürnberg – der von umfassenden Auswirkungen des kulturellen Wandels, der sich mit der Digitalisierung verbindet, auf das schulische Lernen ausgeht. Seine These: „Die institutionelle Lernwirklichkeit der Schule ist mit vielen Charakteristika der Kultur der Digitalität nicht kompatibel. Und solange die Schule auf (zentrale) Prüfungen vorbereitet, die unter den aktuellen Bedingungen stattfinden, wird sich die konzeptionelle Kluft zwischen institutionellen Lernprozessen und informellem Lernen außerhalb der Schule weiter vergrößern.“

Einzelkämpfertum? Keine Haltung, mit der sich die anstehende Bildungsrevolution gestalten ließe

Prof. Alexander Gröschner, Unterrichtsforscher von der Universität Jena, stellt das Konzept „Professionelle Lerngemeinschaften zur wirksamen Lernbegleitung angehender Lehrpersonen“ vor. „Im Mittelpunkt steht dabei die Praxispartnerschaft zwischen Dozierenden der Universität und Lehrpersonen, die Studierende im Praktikum sowie Anwärter:innen am Lernort Schule begleiten. Insbesondere der Einsatz digitaler Tools kann hierbei eine wertvolle Brücke zur Professionalisierung darstellen“, so heißt es in der Ankündigung des Vortrags. Ohnehin, unterstreicht Scheika, lassen sich die komplexen Herausforderungen in der Lehrkräfteaus-, fort- und weiterbildung („das kann keine Phase allein“) und schließlich in der Schule selbst nur gemeinsam, im Team bewältigen. Einzelkämpfertum? Keine Haltung, mit der sich die anstehende Bildungsrevolution gestalten ließe.

Als besonderer Impulsgeber wird Prof. Andreas Schleicher, PISA-Koordinator der OECD, auftreten – in Form eines vorab geführten Interviews, das im Rahmen des Seminartags zu erleben und, dann live, mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern diskutiert werden soll. Andreas Schleicher wird einen Vergleich ziehen zu erfolgreichen Bildungssystemen in Asien, wo Lehrkräfte aktiv in Veränderungsprozesse eingebunden sind. Wann ist die Tagung für sie ein Erfolg? Scheika: „Ich verspreche mir, dass es gelingt, die unterschiedlichen Facetten der Diskussionsansätze aufzeigen und den Teilnehmenden Anregungen mitgeben zu können, in ihren Institutionen Veränderungsprozesse anzuregen. Die verschiedenen Diskussionsansätze sollen darüber hinaus eine Einordnung ins große Ganze ermöglichen.“ Also: einen roten Faden in der Debatte erkennbar zu machen. Angesichts der Größe der Herausforderung – ein hoher Anspruch. News4teachers

Perspektiven der Lehrerausbildung: Wie bringen angehende Lehrkräfte das, was sie an den Unis lernen, in den Unterricht?

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8 Kommentare
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Carsten60
1 Jahr zuvor

Ich finde das schwer erträglich.

  1. Die „Strahlkraft“ dieser Veranstaltung im Hinblick auf die „Zukunft der Bildung“ ist ein unerträgliches Eigenlob.
  2. Was ein M.I.T.-Professor für Unternehmensführung beitragen kann, scheint mir höchst fragwürdig. Schule ist kein Unternehmen. Wenn es „auf die innere Haltung der handelnden Personen ankommt“, dann natürlich auch die der Schüler und Eltern, nicht nur die der Lehrer.
  3. Wenn Herr Schleicher die asiatischen Schulsyteme bzw. die dahinter stehenden Einstellungen der Leute preist, hat das nichts mit der schulischen Realität in Deutschland zu tun, in der jede Form von Leistungsdruck inzwischen als unzumutbar gilt („widerspricht den Menschenrechten“). In Fernost gibt es diesen Leistungsdruck reichlich, mehr als genug. Dass Erfolge maßgeblich am „Einbeziehen der Lehrkräfte“ liegen, wird Schleicher nicht mal selber glauben.
  4. Wenn man aber das „Einbeziehen der Lehrkräfte“ ernst nimmt, dann muss man wohl sehen, dass in Deutschland das Gegenteil von unseren regierenden Parteien praktiziert wird. Alles wird „von oben nach unten“ mit dem berüchtigten „Change Management“ durchgedrückt, oder das wird versucht. Die Meinung von Lehrkräften zählt nichts im Vergleich zu der Meinung von Parteiideologen.
Carsten60
1 Jahr zuvor
Antwortet  Redaktion

Mit anderen Worten: Die Redaktion BEWERTET Organisationen je nach Sympathie oder Antipathie mit positiven oder negativen Begriffen. Dieser BAK vertritt die Interessen der Seminarleiter und reiht sich somit ein in die Liste der Lobbyisten-Organisationen im schulischen Bereich. Dass die Seminarleiter was falsch machen, das ist dabei wohl nicht vorgesehen. Das universitäre Studium muss ständig reformiert werden, das Referendariat auch?
„Die institutionelle Lernwirklichkeit der Schule ist mit vielen Charakteristika der Kultur der Digitalität nicht kompatibel.“
Klingt das nach blabla? Na, diese „Kultur der Digitalität“ hätte man sich zumindest mal vor Einführung des „Digitalpakts“ überlegen können.

Ron
1 Jahr zuvor

Viele Junglehrer sind selber bereits in einem schwächelnden Bildungssystem sozialisiert worden und erreichen im Bereich Allgemeinbildung und Selbstständigkeit nicht mehr das Niveau früherer Generationen. Umso wichtiger ist es, zukünftigen Berufseinsteiger aktiv in einer immer vielfältigeren Welt unterstützend zur Seite zu stehen. Nicht alle wollen oder können sich eine eigene reflektierte Meinung bilden. Hier hilft die Fortbildung stattdessen eine innere Haltung zu entwickeln. „Weltkonzerne aus dem Silicon Valley“ mit ihren Suchmaschinen und Social-Media-Plattformen wissen wie das geht. Denn wie heißt es im Artikel: „Mit seiner „Theorie U“ lieferte er eine Strategie, mit der Institutionen von Unternehmen, über Bildungseinrichtungen bis hin zu ganzen Demokratien reformiert und an die heutigen Herausforderungen angepasst werden können. Eine zentrale Erkenntnis: Auf die innere Haltung der handelnden Personen kommt es an.“

Lera
1 Jahr zuvor

Ja, ein hoher Anspruch!

Für den Anfang würde es vollkommen reichen, damit aufzuhören, angehende Lehrer mit unbeständigen, ungewissen, komplexen und mehrdeutigen Anforderungen systematisch und vorsätzlich in die Selbstaufgabe zu treiben, LIEBE AUSBILDER.

Wir können es uns schlicht nicht mehr leisten, die professionelle Entwicklung junger Lehrer auf dem Altar eurer Profilneurosen zu opfern!

Bislang seid ihr mehrheitlich einfach nur ein Klotz am Bein. Macht euch doch mal nützlich! Selbst mal in den Ring steigen und best practice vorleben statt den Leuten schlaue Ratschläge von außen zu erteilen – das würde schon helfen. Bislang wirkt das doch eher eunuchenhaft und der Verdacht drängt sich auf, dass ihr mehrheitlich gescheiterte Minderleister seid.

Weiterhin fröhliches Konferieren!

Carsten60
1 Jahr zuvor
Antwortet  Lera

„Klotz am Bein“, aber wenigstens „mit Strahlkraft“. 🙂

Schattenläufer
1 Jahr zuvor

Offensichtlich wird immer noch nicht verstanden, dass dem deutschen Bildungssystem das Wasser bis zum Hals steht.

Personalmangel.
Reformstau bei sinnvollen Reformen.
Ein Verwaltungsberg.
Uralte Gebäude jenseits der Menschenwürde (z.B. auf den Toiletten)
Ausstattung aus der Kaiserzeit.
SuS die von den Eltern ohne jegliche Vorerziehung zur Verwahrung geschickt werden.

So lange wir das alles nicht im Griff haben, macht es einfach wenig Sinn Projekte mit Strahlkraft an zu gehen. Bei uns strahlt momentan rein Garnichts.
Ein Vergleich zu Asien ist auch nicht angebracht. Die sind eben komisch die Asiaten. Tun so merkwürdige Dinge wie Geld für Bildung ausgeben und Kinder erziehen.

Projekte mit Strahlkraft sind bestimmt sinnvoll, bei uns aber Känguru-Reformen.
Große Sprünge mit einem leeren Beutel.

Sorry so ist das eben.

Mag noch so schön klingen, ist aber letztendlich nur eine der heiß geliebten Nebelbomben zur Verschleierung der Realität im Bildungswesen.

Wenn es in einem Haus durchs Dach regnet und der Schimmel in allen Räumen blüht, dann macht es eben wenig Sinn sich zu überlegen, wie toll es wäre, wenn man die Einfahrt mit Marmor pflastern würde.