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Streit um Schülerleistungen: “Warum ich bei Eltern immer wieder anecke” – ein Hauptschullehrer antwortet einer Mutter

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DÜSSELDORF. Der Streit um den Absturz der Schülerleistungen in Deutschland kocht weiter hoch. Eine Mutter hatte auf News4teachers den Schulen vorgeworfen, den gesellschaftlichen Wandel zu ignorieren – und von Eltern nach wie vor ein Engagegement wie zu Zeiten, in denen die allermeisten Frauen nicht berufstätig waren, zu verlangen (hier geht’s hin). Darauf gab es zahlreiche Reaktionen, darunter den überaus lesenswerten Post eines Hauptschullehrers, den wir im Folgenden noch einmal als Gastkommentar veröffentlichen.

“Ich mache diesen Job nun seit fast 20 Jahren.” Illustration: Shutterstock

SB HS Lehrer 03.01.2023 um 18:23 Uhr

Ja es gibt einen gesellschaftlichen Wandel, liebe Autorin – jedoch geht dieser noch über die gestiegene Doppelerwerbstätigkeit der Elternschaft hinaus.

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Und das ist das Problem, an das die Gesellschaft sich aktuell nicht rantraut.

In ihrem Artikel sprechen Sie viele Dinge an – die richtig sind. Corona hat vieles verschlimmert und uns als G7-Land auch mal aufgezeigt, wo wir wirklich stehen. In vielen Bereichen sind wir nur noch Mittelmaß – zu Tode reformiert, kaputt gespart oder aufgrund politischer Differenzen und der Ausrichtung nach schnellem politischen Erfolgen (da bald wieder irgendwo eine Wahl vor der Haustür steht) weit weg von dem, was wir uns vorstellen.

Einige Dinge muss man Ihnen aber auch entgegnen:

Ihre Kinder sind erstmal Ihre Kinder und nicht die Kinder des Staates – das würden Sie auch nicht wollen, dass nur noch der Staat die Erziehung übernimmt. Der Staat hat einen Erziehungsauftrag (das stimmt), der so auch im Gesetz steht, jedoch ist der Hintergrund, dass man die jungen Menschen zu mündigen Mitbürgern in einem demokratischen Staat erziehen möchte. Und hier beginnt die Erziehungspartnerschaft zwischen Schule und Elternhaus.

“Beide Seiten – sowohl Schule als auch Elternhaus -, begehen seit Jahren den Fehler, dass man gegenseitig nur mit dem Finger aufeinander zeigt”

Jedes Elternteil hat doch auch eigene Wertvorstellungen, die sie in ihrer Familie ausleben. Und das ist auch gut, sie fördert doch genau das: Individualität in Persönlichkeit und Gesellschaft.

Beide Seiten – sowohl Schule als auch Elternhaus -, begehen seit Jahren den Fehler, dass man gegenseitig nur mit dem Finger aufeinander zeigt. Gleichzeitig sind oft diejenigen, die Diskussionen zu dieser Partnerschaft führen, diejenigen, bei denen es funktioniert.

Hier im Artikel ist es genauso. Ich gehe davon aus, dass die Autorin mit beiden Beinen fest im Berufsleben steht, gemeinsam mit Partner oder Partnerin die Familie managed, die sie gemeinsam gegründet haben, und genaue Erwartungshaltungen und Vorstellungen für die Entwicklung ihrer Kinder hat.

Und jetzt kommt leider das Aber….

Aber – es gibt in Schulen mittlerweile eine unglaubliche Vielfalt an Kindern mit den unterschiedlichsten Bedürfnissen. Studien und Aussagen aus dem Bereich der Bildung beziehen sich seltenst auf einzelne Kindern, sondern legen den Finger in die Wunde oder zeigen auf, wo die größten Probleme sind. Und daran scheitert die Diskussion, weil die meisten Eltern ihr Kind sehen, aber nicht die komplette Klasse, die vor uns Lehrern sitzt.

Ich mache diesen Job nun seit fast 20 Jahren. Ich bin Hauptschullehrer und arbeite unglaublich gerne mit den mir anvertrauten Kindern.

Ich bin bewusst Hauptschullehrer geworden, weil ich selber keinen Bock auf Schule hatte, weil ich ein schwieriger Schüler war und mein Abi nur geschafft habe, weil es einige wenige Lehrer*innen gab, die sich für mich eingesetzt haben und unter die Oberfläche geschaut haben und genau das wollte ich meinen Kids auch bieten.

“Erziehung ist anstrengend heutzutage – wir Lehrer sehen das täglich und bekommen auch die Probleme zu Hause mit. Meistens sind wir ja auch selber Eltern”

Für mich zählt im Klassenzimmer immer zuerst der Mensch. Und alle Schüler, die bei mir Unterricht haben, kapieren ziemlich schnell, was ich verlange und erkennen, was ich vorlebe:

  • Lebe jeden Tag so, dass die Welt ein kleines bißchen besser wird – und wenn es nur ist, dass du jemanden zum Lächeln bringst.
  • Wer immer sagt, ich kann das nicht – hat keine Lust sich anzustrengen. “Ich kann das nicht” heißt höchstens – ich schaff das nicht allein.
  • Es gibt Dinge, die man tun muss, obwohl sie Scheiße sind und keinen Spaß machen – ich hasse z. B. Rasenmähen…

Das sind die Dinge, die ich meinen Kids immer wieder sage und die verstehen ziemlich schnell den Sinn dahinter.

Warum schreibe ich das jetzt?

Weil ich genau damit immer wieder bei Eltern anecke – die oft Angst haben, dass ihre Kids zu wenig lernen, die sich ständig mit anderen vergleichen, die oft nicht sehen, was für tolle sie Kinder sie eigentlich haben, weil zu wenig Zeit da ist.

Gleichzeitig erhalte ich aber Gegenwind, wenn ich mal unpopuläre Entscheidungen treffe, wenn ein Kind mal etwas „aushalten“ muss, weil es vielleicht nicht neben der besten Freundin sitzen kann, weil ich erziehe und Dinge auch sanktioniere – weil ich drauf bestehe, dass an Tagen, an denen etwas abzugeben ist, das dann auch da ist (und wenn man es abends noch in den Briefkasten der Schule werfen muss…)

Erziehung ist anstrengend heutzutage – wir Lehrer sehen das täglich und bekommen auch die Probleme zu Hause mit. Meistens sind wir ja auch selber Eltern und haben die gleichen Pubertiere zu Hause.

Und da sind wir wieder am Anfang – die Gesellschaft.

Unsere Gesellschaft hat sich gewandelt und das nicht zum Besten. In vielen Dingen sind wir souveräner und toleranter geworden, haben Mitmenschen endlich Freiheiten ermöglicht, die jahrelang unterdrückt, verfolgt, belächelt oder beleidigt wurden.

“Heutzutage gibt es nur noch Erwartungshaltungen – und die Individualität und das Erlebnis des Einzelnen steht im Vordergrund”

In vielen Dingen haben wir aber auch abgebaut – der gesellschaftliche Zusammenhalt bröckelt. Heutzutage gibt es nur noch Erwartungshaltungen und die Individualität und das Erlebnis des Einzelnen steht im Vordergrund. Dass man mal einen Schritt zurücktritt, wartet oder einer Sache Zeit gibt, das gibt es doch nur noch bei wenigen Menschen.

Führe ich Elterngespräche (wobei ich mich oft frage warum, weil das, was ich vorschlage, zu Hause eh nicht umgesetzt werden kann, da viele Eltern ihre Kinder fast gar nicht mehr erleben…), merke ich das oft. Dass viele erstaunt sind, welch einfachen Dinge ich von den Kids erwarte. Und warum das schon oft konfliktbehaftet ist.

Die Fehler unserer Gesellschaft sind, dass wir Kinder mittlerweile zu früh erwachsen werden lassen, dass wir Vorstellungen haben, die wir selber nicht mehr vorleben, dass wir unsicher darin geworden sind, Dingen Zeit zu geben und dass wir immer erst beim Nachbar in den Garten schauen, bevor wir vor der eigenen Haustür kehren.

Ja, die heutige Zeit ist unglaublich herausfordernd.

Als Eltern muss jeder arbeiten gehen, um einen gewissen Wohlstand zu erwerben und genau das macht man ja auch für seine Kinder…

Als Lehrer hetzt man durch den Alltag und versucht nur noch Lücken zu stopfen und muss oft sagen, hierfür habe ich keine Zeit und Kraft mehr…

Als Gesellschaft muss man endlich mal wieder miteinander reden und bereit sein, füreinander etwas zu tun….

In 20 Jahren Lehrer hab ich nunmehr hunderte von Gesprächen und Telefonaten geführt und Eltern und Unterstützung angeboten, Probleme aufgezeigt, vorsichtige Kritik geführt und Eltern in ihrem Handeln bestätigt… In 20 Jahren hat bisher genau einmal ein Elternteil gefragt “Wie kann ich Ihnen helfen – was kann ich tun…“.

Aber vielleicht ist das auch nur in meinem Arbeitsalltag so….

Frohes neues Jahr….

PS: Heute schon jemanden zum Lächeln gebracht….. News4teachers

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