ERFURT. Erneuter Tabu-Bruch in Thüringen – auf dem Rücken der Schulen: Die CDU will ein Gesetz durch den Erfurter Landtag peitschen, das Schülerinnen und Schülern sowie Lehrkräften das Gendern mit Sonderzeichen verbietet. Der Antrag wird möglicherweise eine Mehrheit bekommen – dank der zu erwartenden Stimmen der AfD, die im Freistaat als „gesichert rechtsextremistisch“ gilt. Auf der Sachebene kann Bildungsminister Helmut Holter (Linke) kein Problem mit dem Gendern erkennen, mit dem sich Schulen nun herumschlagen müssten.
Mitte September hatte eine Abstimmung im Erfurter Landtag zur Senkung der Grunderwerbssteuer für bundesweite Aufregung gesorgt. Das Gesetz kam durch, weil – erwartungsgemäß – die AfD-Stimmen den Ausschlag gaben. Auch die FDP hatte zugestimmt Der Antrag dazu war von der CDU gekommen.
Nun sind die Christdemokraten offenbar auf den Geschmack gekommen – und wollen nachlegen. Sie arbeiten an einem Antrag, geschlechtergerechte Sprache an Schulen und in der Verwaltung zu verbieten. Eine ähnliche Regelung für Schulen wurde bereits in Sachsen-Anhalt beschlossen (News4teachers berichtete); dort allerdings war dafür nicht die Unterstützung der AfD notwendig. Das ist jetzt anders. Bisher macht der Freistaat in diesem Bereich keine Vorgaben – Schülerinnen und Schüler dürfen geschlechtergerechte Sprache verwenden und bekommen dafür keine Punktabzüge. Andererseits dürfen Lehrer ihnen das Gendern auch nicht vorschreiben.
„Thüringen ist das Land der Dichter und Denker. Deshalb braucht es klare Regeln“
Bereits vor Wochen hatte Thüringens CDU-Chef Mario Voigt durchblicken lassen, dass ihn diese Freiheit wurmt. „Wenn wir regieren, wird es klare Vorgaben geben. Thüringen ist das Land der Dichter und Denker. Deshalb braucht es klare Regeln entsprechend der Beschlüsse des Rats für deutsche Rechtschreibung“, sagte er. Hintergrund: Im kommenden Jahr wird in Thüringen ein neuer Landtag gewählt. Der Rat für deutsche Rechtschreibung stuft Genderzeichen zwar nicht als Kernbestand der deutschen Orthografie ein, betonte zuletzt aber auch, dass die „Entwicklung des Gesamtbereichs“ noch nicht abgeschlossen sei und daher „weiter beobachtet“ werde (News4teachers berichtete).
Das ficht die CDU nicht an. Sie versucht jetzt offensichtlich, sich mit Symbolpolitik im Schulterschluss mit der AfD zu profilieren. Im Entwurf zum „Korrekte-Sprache-Gesetz“ der CDU heißt es, die Verwendung gegenderter Sprache verunsichere und überfordere die Menschen und führe zu „kulturellen Konflikten“, weil sie „das tradierte binäre Geschlechtersystem von Männern und Frauen infrage“ stelle. Übliche sprachliche Genderformen wie den „Gender-Stern“, den „Gender-Unterstrich“ oder einen „Doppelpunkt im Wortinneren“ will die Thüringer CDU daher an Schulen und Behörden des Freistaates verbieten.
„Das ‚Korrekte-Sprache-Gesetz‘ gegen den Willen der rot-rot-grünen Minderheitsregierung durch den Landtag bringen zu wollen, kommt praktisch einer Einladung an die AfD zum politischen Kulturkampf gleich“, so kommentiert das die „Frankfurter Rundschau“. „An der Haltung zum Gendern wird auch deutlich, wie nahe sich CDU und AfD inhaltlich in manchen Dingen stehen.“ Das Portal „InSüdthüringen.de“ schreibt mit Blick auf die Thüringer CDU bereits von einer von einer „faktischen Kooperation mit der AfD“. Die FDP hält sich die Zustimmung zum CDU-Antrag offen.
Wohlgemerkt: Die AfD in Thüringen gilt laut Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“. Im Verfassungsschutzbericht von 2021 heißt es: „Verfassungsfeindliche Positionen, die sich gegen die Menschenwürde, das Demokratie- und das Rechtsstaatsprinzip richten, gelten als die beherrschende und weitgehend unumstrittene politische Ideologie innerhalb des Landesverbandes.“ Und weiter: „Die Islamfeindschaft des Landessprechers Björn Höcke und anderer Vertreter der AfD Thüringen speist sich nicht prinzipiell aus kultur- oder religionskritischen, sondern aus rassistischen Positionen.“
„Wir sollten keine Kulturkämpfe führen, sondern uns mit den echten Problemen beschäftigen“
Die Reaktionen in der CDU fallen zwiespältig aus. Aus der Bundestagsfraktion von CDU/CSU kommt Unterstützung. Deren parlamentarischer Geschäftsführer Thorsten Frei nennt es „sehr legitim“, dass die Thüringer CDU mit einer Klarstellung der Rechtschreibregeln eine Initiative zur Bildungspolitik vorlegen will, wie der „Tagesspiegel“ berichtet. Die liege schließlich in der Zuständigkeit der Bundesländer. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann zeigte sich, nachdem er die gemeinsame Abstimmung mit der AfD zur Grunderwerbssteuer noch verteidigt hatte, skeptischer. „Was das Gendern betrifft, finde ich, dass der Staat nicht vorschreiben sollte, wie jemand zu reden hat – aber wir sollten dieses Thema auch nicht überhöhen“, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“. „Wir sollten keine Kulturkämpfe führen, sondern uns mit den echten Problemen beschäftigen.“
Ähnlich äußerte sich Schleswig-Holsteins Bildungsministerin und stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Karin Prien, stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Karin Prien. „Solch einen Antrag jetzt durchzubringen, wäre ein Fehler.“ Es gelte „maximalen Abstand zur AfD zu halten“, so zitiert sie die „Süddeutsche“.
Thüringens Bildungsminister Helmut Holter (Linke) hatte bereits im August bekräftigt, den Schulen in Sachen Gendern weiterhin keinerlei Vorgaben machen zu wollen. „Jugendliche, mit denen ich rede, nutzen die Gendersprache. Warum soll ich denen das jetzt verbieten?“, sagte er. Veränderungen in der Sprache spiegelten sich auch in der Schule wider, argumentierte Holter. Gerade Kinder und Jugendliche seien da sehr neugierig und affin. „Das hat was mit Modernisierung der Sprache zu tun, es hat aber auch etwas mit Gleichstellung zu tun“, sagte der Bildungsminister. In den Schulen seien alle frei, in dieser Art und Weise zu schreiben oder zu sprechen. „Es darf auch niemand dafür bestraft werden, dass er gendert oder dass er nicht gendert“, sagte Holter. Das eine oder das andere dürfe nicht bewertet werden. News4teachers / mit Material der dpa
Rechtsextremismus auf dem Vormarsch: Wie ist es um die Demokratie-Bildung an den Schulen bestellt?

