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Bürgerforum votiert dafür: G9 bringt Kretschmann zunehmend ins Schleudern

STUTTGART. Nach mehr als 100.000 Unterzeichnern eines Volksantrags spricht sich auch ein Forum aus zufällig ausgewählten Bürgern für die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium aus – und erhebt weitergehende Forderungen an die grün-schwarze Landesregierung. Deren Chef Kretschmann gerät beim Thema G9 immer stärker unter Druck.

“Hochgradig finanzrelevant”: Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Foto: Staatsministerium Baden-Württemberg

Es ist ein selbstbewusster Auftritt mit dem das Bürgerforum zur Zukunft des Gymnasiums am Montag seine Empfehlungen an die Politik übergibt: Das Gremium dürfe keine «Alibiveranstaltung» gewesen sein, wird ein Teilnehmer zitiert. «Wir würden uns schon sehr wünschen, dass wir ernst genommen werden», sagte Ursula Dow eine der Sprecherinnen des Forums. Ihre Kollegin Tuğba Veli ging sogar noch weiter: «Die Politik muss uns hören.»

Und was die Sprecherinnen und Sprecher des Forums zu sagen haben, hat es in sich: Die zufällig ausgewählten Bürgerinnen und Bürger empfehlen der Landesregierung, wieder ein neunjähriges Gymnasium in Baden-Württemberg einzuführen. 49 der 55 Zufallsbürger sprechen sich dem Gutachten zufolge dafür aus, dass ein «neues G9» zum Regelfall an den Gymnasien im Land wird, gepaart mit G8-Schnellläuferzügen, mindestens einem pro Landkreis.

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Noch deutlicher ist die Mehrheit für eine weitere Feststellung: «Wir halten es alle für wichtig, dass es mehr Zeit zum Lernen, Üben und Vertiefen des Unterrichtsstoffs gibt», sagte Tuğba Veli. Darin sind sich sogar alle 55 Zufallsbürger einig.

Derzeit ist in Baden-Württemberg das achtjährige Gymnasium Standard. Es war einst eingeführt worden, um die Schüler international wettbewerbsfähiger zu machen. G9 gibt es nur noch als Modellprojekt an 44 staatlichen Schulen und an einigen Privatschulen.

Seit September hatten anfangs 64 und am Ende 55 zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger in sechs Sitzungen über die Zukunft des Gymnasiums debattiert. Dabei erarbeiteten die Bürger nicht nur eine Empfehlung für die Dauer der Zeit bis zum Abitur, sondern brachten auch konkrete Forderungen zu inhaltlichen Reformen zu Papier. Insgesamt listen die Zufallsbürger in ihrem Gutachten 48 Empfehlungen an die Landesregierung auf. Darunter:

  • 48 der 55 Bürgerinnen und Bürger halten eine gestaffelte Einführung ab Klasse 5 für sinnvoll.
  • 51 fordern für ein überarbeitetes G9 neue kreative Unterrichtsformate, die den Schülern dabei helfen sollen, Sozialkompetenzen zu entwickeln.
  • 52 halten mehr Praxisbezug für wichtig und empfehlen mehr Kooperationen etwa mit dem Handwerk, Naturwissenschaften oder digitalen Berufen.
  • 53 empfehlen eine Umstrukturierung des Haushaltes zugunsten der Bildung und plädieren dafür, die Summen für eine Rückkehr zu G9 zu investieren.
  • 49 sprechen sich zudem für eine «ganzheitliche, schulartübergreifende Schulreform» aus, die Belastungen reduzieren soll und für eine bessere Umsetzung der Bildungsziele und mehr Bildungsgerechtigkeit sorgen soll.
  • Nur 14 Teilnehmerinnen und Teilnehmer wünschen sich aber ein schlankeres Bildungssystem mit weniger Säulen.

Das Gutachten des Bürgerforums setzt die Landesregierung nochmals unter Druck, sich in der Bildungspolitik zu bewegen. Eigentlich hatte Grün-Schwarz im Koalitionsvertrag vereinbart, keine Strukturdebatten führen zu wollen. Ob sich diese Vereinbarung halten lässt, ist mehr als fraglich.

Der CDU-Partei- und Fraktionschef Manuel Hagel forderte am Montag bereits eine Reform. «Wir brauchen für unser Bildungssystem ein ganzheitliches Update», sagte Hagel. Die Schulen in Baden-Württemberg müssten wieder Spitze werden. «Ich werbe dafür, dass wir uns alle wesentlichen Bildungsbereiche anschauen und auf diese Vision ausrichten.»

Neben dem Bürgerforum drängt noch eine Elterninitiative: Für einen Volksantrag hatten die Initiatorinnen mehr als 100.000 Unterschriften eingesammelt und an den Landtag übergeben. Mit dem Antrag muss sich nun das Parlament voraussichtlich im kommenden Jahr befassen. Lehnt es den Gesetzentwurf der Initiative ab, können die Initiatorinnen ein Volksbegehren beantragen. Dann müssten sie erneut Unterschriften sammeln, in dem Fall aber von einem Zehntel der Wahlberechtigten, derzeit rund 770.000.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), selbst erklärter Gegner von G9, hat die deutliche Ansage des Bürgerforums offenbar vernommen. Er verspricht ihm am Montag: «Meine Koalition wird sich die Empfehlungen und den Bericht des Bürgerforums nun genau anschauen und wir werden uns intensiv mit den Argumenten und Ideen auseinandersetzen.» Gleich am Dienstag wollen die Spitzen der Koalition über das weitere Vorgehen beraten.

Allerdings hatte er vor zweieinhalb Wochen die Hoffnungen auf eine schnelle Rückkehr bereits gedämpft. Die Rückkehr zu G9 wäre eine sehr tiefgreifende Strukturreform, die auch «hochgradig finanzrelevant» wäre, sagte er. Reformen, die nicht im Doppelhaushalt für die Jahre 2023 und 2024 hinterlegt seien, könnten erst vorgenommen werden, wenn der neue Haushalt vorliege. Das gelte erst Recht für eine Reform der Gymnasien. News4teachers / mit Material der dpa

„Hochgradig finanzrelevant“: Kretschmann dämpft Hoffnung auf schnelle Rückkehr zu G9

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