MÜNCHEN. Bundesweit sind Hundertausende Menschen für Demokratie und gegen Rechtsextremismus auf die Straße gegangen. In München wurde die Demonstration wegen Überfüllung abgebrochen. Die Sicherheit der mindestens 80.000 Teilnehmenden sei nicht mehr zu gewährleisten, teilte die Polizei mit. Die Veranstalter sprachen sogar von 250.000 Teilnehmenden. In Berlin waren es nach Polizeiangaben rund 100.000 Menschen, die sich vor dem Bundestag versammelten. Auch in Köln waren mehrere Zehntausend Menschen unterwegs, um gegen die AfD zu demonstrieren. In Bremen und Hannover kamen jeweils rund 35.000 Menschen zusammen. Der Thüringer AfD-Führer Björn Höcke schrieb von „bestellten Massen“ – und verbreitete Desinformation. Aus Reihen der SPD kam unterdessen die Forderung nach Pflichtbesuchen von Schülerinnen und Schülern in KZ-Gedenkstätten.
Wo am Wochenende gegen rechts demonstriert wurde https://t.co/2mnJvPNFvN #Demonstration #Rechtsextremismus
— tagesschau (@tagesschau) January 21, 2024
Zehntausende Menschen sind in Berlin gegen Rechtsextremismus und für die Demokratie auf die Straße gegangen. Sie versammelten sich am Sonntagnachmittag auf dem Platz der Republik vor dem Bundestag, später zogen viele Menschen bei eisiger Kälte durch das Regierungsviertel. Wegen des großen Zustroms erweiterte die Berliner Polizei die Versammlungsfläche, so dass Demonstranten auch die Straße des 17. Juni vom Brandenburger Tor bis zur Siegessäule nutzen konnten.
Der Organisator einer Demonstration gegen Rechtsextremismus mit mindestens 80.000 Menschen in München brach die Veranstaltung ab – wegen Überfüllung. Ein Polizeisprecher erklärte, die Sicherheit der Teilnehmer sei nicht mehr zu gewährleisten gewesen. Die Polizei ging von mindestens 80.000 Demonstrierenden aus, der Veranstalter sprach von 250.000. Am Freitag war bereits eine Demonstration gegen die AfD in Hamburg wegen des großen Menschenandrangs abgebrochen worden.
Viele Demonstranten in München wandten sich auf Plakaten gegen rechtsextremes Gedankengut: „Remigriert euch ins Knie“, „Lasst uns aus der Geschichte lernen statt sie zu wiederholen“, „Keine Toleranz für Intoleranz“, „AfD – Ein Albtraum für Deutschland“ und „Braune Flaschen gehören in den Altglascontainer, nicht in den Bundestag“ war dort unter anderem zu lesen. Ähnliche Bilder in Berlin: Viele der Demonstranten hatten selbstgebastelte Schilder dabei. Auf diesen war etwa zu lesen: „Nazis raus ausm Haus“ oder „Eene Mene Meck, die AfD muss weg!“. Auf einem Plakat war ein Foto des Thüringer AfD-Vorsitzenden Björn Höcke zu sehen mit der Aufschrift „Höck’st gefährlich“.
Rund 35.000 Menschen gingen in Hannover gegen Rechtsextremismus und für die Demokratie auf die Straße. Bei einer Kundgebung auf dem komplett gefüllten Opernplatz sprachen unter anderem Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und der frühere Bundespräsident Christian Wulff (CDU). Wulff erinnerte daran, dass auf den Tag genau vor 82 Jahren die Wannseekonferenz in Berlin stattgefunden habe. Sie sei zum Symbol geplanter, systematisierter Tötung der Juden Europas geworden. „Deshalb dürfen wir nie wieder zulassen, dass in Deutschland über die Selektion von Menschen nach Herkunft, nach Aussehen, nach Religion, nach Handicap oder irgendeines Kriteriums beraten wird“, sagte Wulff.
Das frühere Staatsoberhaupt erinnerte an die Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), den Anschlag auf die Synagoge in Halle, die Morde in Hanau und die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. „Wir sollten viel häufiger an die Witwen, an die Waisen denken, die dieser rechtsextremistische Terror hervorgerufen hatte“, sagte Wulff. Die „Verharmloser der AfD“ bereiteten den Boden für Hass, deshalb seien Menschen in Deutschland gefährdet.
Niedersachsens Regierungschef Weil rief die Zuhörerinnen und Zuhörer dazu auf, im eigenen Umfeld klare Kante gegen rechts zu zeigen und für Menschenrechte und Demokratie einzutreten. „Verteidigen wir unsere Demokratie“, appellierte der Ministerpräsident. „Nie wieder ist jetzt!“ Während der Kundgebung strömten weitere Menschen auf den dicht gefüllten Opernplatz. Sie trugen Plakate mit der Aufschrift „Wir sind bunt“ oder „Faschismus ist keine Alternative“.
AfD-Politiker und Rechtsextreme verbreiteten unterdessen Verschwörungsgeschichten, wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland berichtet: Sie stellten in Posts zwei verschiedene Bilder des Hamburger Jungfernstiegs während der Demonstration am Freitag gegenüber – das eine wurde vom Hamburger Senat auf der Plattform X gepostet, das andere vom ZDF. Auf der Collage rot eingekringelt ist eine Auffälligkeit: Auf dem Senatsfoto sieht man am linken Bildrand das Wasser der Alster, auf dem ZDF-Foto sieht man dort nur eine Menschenmasse.
Die Alster sei wegretuschiert worden, stattdessen seien Menschenmaschen per Photoshop ins Bild gezaubert worden, so die Behauptung. Der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke postete das Bild auf „X“ mit der spöttischen Zeile: „Die Demonstration in Hamburg war lauf ZDF so überfüllt, daß die Menschen sogar in der Alster stehen mussten …“. In der Bildüberschrift spricht Höcke von „Bildmanipulationen“ und fragt Medien: „Warum haben sie das nötig?“
Tatsächlich wird laut Redaktionsnetzwerk auf den zweiten Blick schnell klar, warum sich die beiden Fotos so unterscheiden – und warum auf dem ZDF-Foto die Alster nicht sichtbar ist: Die Bilder wurden aus verschiedenen Blickwinkeln aufgenommen. Das Senatsfoto wurde hoch oben in der Luft geschossen, das ZDF-Bild deutlich näher am Boden. Die Alster am linken Bildrand ist wegen der Perspektive kaum zu erkennen. Die Urheberin des ZDF-Fotos, die Deutsche Presseagentur, reagierte sofort auf den Höcke-Beitrag. „Es handelt sich bei dem von @ZDFheute veröffentlichten Bild um ein Original-@dpa-Foto, an dem selbstverständlich nichts manipuliert wurde“, schrieben die Journalistinnen und Journalisten auf „X“. Gelöscht oder korrigiert wurde der Höcke-Beitrag seither nicht. Von Posts dieser Art seien derzeit mehrere im Umlauf, so das Redaktionsnetzwerk.
Es handelt sich bei dem von @ZDFheute veröffentlichten Bild um ein Original-@dpa-Foto, an dem selbstverständlich nichts manipuliert wurde. pic.twitter.com/7BnTLx72Eb
— dpa (@dpa) January 20, 2024
Die SPD-Fraktion im Landtag Baden-Württemberg fordert derweil Pflichtbesuche von Jugendlichen in KZ-Gedenkstätten. «Alle Schülerinnen und Schüler sollten während ihrer Schullaufbahn verpflichtend eine KZ-Gedenkstätte besuchen», teilte der Bildungsexperte der SPD-Fraktion, Stefan Fulst-Blei, am Sonntag mit. Das Kultusministerium hält nichts von einer Pflicht. Das geht aus einer Stellungnahme des Ministeriums von Theresa Schopper (Grüne) auf einen Antrag Fulst-Bleis hervor: Teilnehmer oder deren Eltern müssten die Kosten für eine solche außerschulische Maßnahme grundsätzlich selbst tragen. «Auch aus diesem Grund wurde davon abgesehen, den Besuch einer Gedenkstätte verpflichtend vorzuschreiben», hieß es dort.
Fulst-Blei forderte daher, dass die Landesregierung aus Grünen und CDU Mittel in die Hand nehmen soll, um das zu ermöglichen: «Wenn das, wie das Kultusministerium mitteilt, auch eine Frage des Geldes ist, sollte die Landesregierung eine Lösung erarbeiten und gegebenenfalls das notwendige Geld bereitstellen», sagte er.
Die Protestwelle wurde durch die Enthüllungen des Recherchezentrums Correctiv über ein Treffen von Rechtsextremisten in Potsdam am 25. November 2023 ausgelöst, an dem ranghohe AfD-Politiker sowie einzelne Mitglieder der CDU sowie der sogenannten „Werteunion“ teilgenommen hatten (News4teachers berichtete). Dabei sprach der frühere Kopf der rechtsradikalen Identitären Bewegung in Österreich, Martin Sellner, nach eigenen Angaben über „Remigration“. Damit meinen Rechtsextreme, dass eine große Zahl Menschen ausländischer Herkunft das Land verlassen soll – auch unter Zwang. News4teachers / mit Material der dpa

