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Antisemitismus im Schulalltag verunsichert Lehrkräfte – Kann ein Zusatzstudiengang helfen?

WÜRZBURG. Seit dem 7. Oktober, dem Tag des Terrorüberfalls der Hamas auf Israel, haben in Deutschland antisemitische Vorfälle zugenommen. Auswirkungen, so zeigen Medienberichte immer wieder, sind auch an den Schulen zu spüren – und stellen Lehrerinnen und Lehrer vor Herausforderungen. „Lehrkräfte berichten, wie Schüler*innen plötzlich mit terrorverharmlosenden, israelfeindlichen, antisemitischen und unverrückbaren Positionen zum Nahost-Konflikt in die Schule kommen“, teilte die Bildungsstätte Anne Frank jüngst Erfahrungen aus ihrer Bildungsarbeit (News4teachers berichtete). Die Universität Würzburg will angehende Pädagoginnen und Pädagogen auf solche Situationen im Praxisalltag vorbereiten – mit einem Zusatzstudiengang zu antisemitismuskritischer Bildung.

Der Nahost-Konflikt kocht hoch und lässt hierzulande einen verbreiteten Antisemitismus erkennen – der stellt auch Lehrkräfte vor Herausforderungen. Foto: Shutterstock

Vom 7. Oktober bis Ende Januar registrierte das Bundeskriminalamt mit über 2200 antisemitisch motivierten Straftaten fast so viele wie im gesamten vergangenen Jahr. Das berichtete der Beauftragte der Bundesregierung für den Kampf gegen Antisemitismus, Felix Klein, laut Tagesschau. Und auch «an den Schulen kocht manchmal der Nahost-Konflikt im Kleinen hoch», sagt Ilona Nord. Sie ist Professorin für Evangelische Theologie an der Universität Würzburg, hat dort ein Zentrum für antisemitismuskritische Bildung (CCEA) initiiert und einen Zusatzstudiengang aufgebaut namens Zabus (Zertifikat der Antisemitismuskritischen Bildung für Unterricht und Schule). «Wir sehen Antisemitismus immer mehr in der Mitte der Gesellschaft», so Nord. Dabei würden viele Menschen ihre Äußerungen selbst nicht als antisemitisch bezeichnen. Antisemitismus könne auch subtil sein.

Zabus soll angehende Lehrerinnen und Lehrer für Antisemitismus sensibilisieren und ihnen zeigen, wie sie reagieren können. Dafür schauen sich die Studierenden schon mal zusammen antisemitische Tiktok-Videos an und überlegen, was sie tun könnten, wenn ihre Schülerinnen und Schüler solche Videos anschauen. Gemeinsam erarbeiten sie, wie sie Kinder auf immer noch kursierende antisemitische Karikaturen vorbereiten – wie als vor einigen Jahren Meta-Gründer Mark Zuckerberg als Krake dargestellt wurde. «Das sind Bilder, die man nicht vergisst und die sich in die Seele einbrennen», meint Professorin Nord.

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Zabus gibt es seit dem Wintersemester 2022/2023. Laut Universität gab es bisher zum Teil deutlich mehr Bewerberinnen und Bewerber als Plätze. Das Los entscheidet, wer teilnehmen darf. Die ersten Studierenden machen gerade ihren Abschluss. Laut Experten handelt es sich um einen bundesweiten Vorreiterstudiengang.

Anstieg antisemitischer Vorfälle

Seit dem 7. Oktober, dem Tag des Anschlags der Hamas und anderer extremistischer Palästinenserorganisationen auf Israelis, haben antisemitische Vorfälle dem Bayerischen Antisemitismusbeauftragten Ludwig Spaenle zufolge deutlich zugenommen. Sowohl Spaenle als auch Nord betonen, dass Antisemitismus überall vorkomme, nicht nur an Schulen. Doch Bildungseinrichtungen stehen im jährlichen Bericht der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias) in Berlin an dritter Stelle der Tatorte, nach Internet und Straße. «Schulen sind Kristallisationsorte, an denen die gesellschaftlichen Probleme und Tendenzen deutlich sichtbar und auch ausgetragen werden», sagt Spaenle. Lehrkräfte müssten dafür gut aus- und fortgebildet sein.

Positive Rückmeldungen der Studierenden

«Ich fand das Thema super spannend, weil es sonst im Studium gar nicht vorkommt», sagt die 24-jährige Studentin Anna Eberl, die 2022 mit dem Zusatzstudiengang begonnen hat. Jetzt würde sie viel schneller antisemitische Parolen als solche erkennen. «Als hilfreich habe ich dabei die Biografiearbeit erlebt, also nachzuforschen, was eigentlich meine Familie im Nationalsozialismus gemacht hat und wie wir damit heute umgehen. Leider habe ich dabei ein großes Schweigen erlebt», sagt Eberl. Das neugewonnene Wissen wirke sich auch auf ihren Umgang mit dem derzeitigen Krieg aus. «Bei Social Media habe ich stark aussortiert», sagt sie. Nach den Angriffen vom 7. Oktober habe sie von manchen Menschen Dinge gelesen, die sie nicht gutheißen könne. Eine eigene Haltung entwickelt zu haben, hilft laut Professorin Nord vielen der bisherigen Studierenden.

«Wir wollen aber nicht nur die Feuerwehr ausbilden», so Nord. Das heißt Lehrerinnen und Lehrer sollen nicht nur wissen, wie sie mit antisemitischen Vorfällen umgehen können. «Sie sollen strukturellem Antisemitismus auch proaktiv vorbeugen und jüdisches Leben sowie antisemitismuskritische Bildung in den Schulalltag einbinden.» Manche der Zabus-Studierenden haben in Praktika schon erste Erfahrungen gesammelt. Der 27-jährige angehende Realschullehrer Lucas Gäde berichtet, dass er Vorträge über Antisemitismus an der Schule gehalten habe. «Dabei wurde teilweise völkisches Denken bei den Schülerinnen und Schülern zutage gebracht», so Gäde. Leider reiche der zeitliche Rahmen bisher nicht immer aus, um darauf einzugehen.

Als hilfreich erleben die Studierenden nach eigenen Angaben auch, nun ein Netzwerk zu haben, mit dem sie sich künftig bei Vorfällen austauschen können. Auch kennen sie andere Hilfsangebote, etwa die Website «Bayern gegen Antisemitismus». Dort finden Lehrkräfte eine Vielzahl von Hilfen wie Handlungsempfehlungen, Ansprechpartner und Projektideen.

«Uns erreichen zuhauf Anfragen von Schulen»

Mehr Hilfen für Lehrende scheinen dringend nötig. «Uns erreichen zuhauf Anfragen von Schulen, wie sie mit Antisemitismus umgehen sollen», sagt CEEA-Co-Leiterin Judith Petzke. Petzke würde am liebsten längst ansetzten, bevor es zu offensichtlichen Problemen kommt. «Wir haben schon ein Problem, wenn Schülerinnen und Schüler ein Schulbuch aufschlagen und dort Juden-Karikaturen aus der NS-Zeit sehen.» Bei vielen Kindern und Jugendlichen sei das der erste Kontakt zum Judentum: Juden als Opfer der Shoah. Über aktuelles jüdisches Leben erführen sie wenig.

Auch Professorin Nord wünscht sich eine Abkehr von einer «Betroffenheitsdidaktik», bei der Schülerinnen und Schüler stark emotional mit Geschichten über Jüdinnen und Juden als Opfer konfrontiert werden. Dies könne dazu führen, dass die Kinder und Jugendlichen des Themas irgendwann überdrüssig seien. Zudem entstehe aus emotionaler Betroffenheit oft keine souveräne Handlungskompetenz.

Wichtig: Intervention und Prävention

Doch wie sollen Lehrerinnen und Lehrer nun mit antisemitischen Äußerungen umgehen? Laut Petzke hängt die Antwort immer von der Situation ab. Lehrkräfte müssten deutlich machen, dass bestimmte Äußerungen nicht geduldet werden. «Gleichzeitig kann die Wahrnehmung, dass es ein Tabu gibt und die freie Meinungsäußerung eingeschränkt sei, noch mehr Ressentiment hervorrufen», sagt Petzke. Das nenne man paradoxe Effekte. Die Pädagoginnen und Pädagogen sollten daher aktiv über Antisemitismus mit den Schülerinnen und Schülern sprechen. Am besten sei es, wenn Schulen bereits vorab eine Interventionskette überlegt hätten. Zudem sei viel Beziehungsarbeit nötig.

Für Ilona Nord ist Solidarität wichtig. Sie berichtet, dass Antisemitismus derzeit auch an Hochschulen präsent sei. «Nicht zuletzt durch rechtspopulistische AfD-nahe Gruppen», so Nord. Jüdische Studierende seien nach dem 7. Oktober aufgerufen worden, zur Sicherheit zu Hause zu bleiben. «Das möchten wir nicht hinnehmen», sagt Nord. Nicht mehr am öffentlichen Leben teilnehmen zu dürfen, sei eine harte Beschneidung.

Weitere Studienmöglichkeiten

Der Studiengang in Würzburg hat Vorbildcharakter, aber auch in anderen Städten können Studierende sich auf Antisemitismus an Schulen vorbereiten. Die Universität Augsburg bietet ein Ergänzungsstudium Interreligiöse Mediation an. Beim Jüdischen Museum Franken in Fürth können bereits praktizierende Lehrerinnen und Lehrer an einer Fortbildung unter dem Titel «Tacheles reden!» teilnehmen. Die Pädagogische Hochschule Ludwigsburg hat seit vergangenem Jahr ein Studienprofil «Antisemitismuskritische Bildungsarbeit».

In Würzburg wird derweil bereits an einer Ausweitung gefeilt: Es gäbe nicht nur Anfragen zur Fort- und Weiterbildung bestehender Lehrkräfte, heißt es von der Uni. Auch die Nachfrage in anderen Studienfächern wie Rechtswissenschaften, Pädagogik und Diversitätsmanagement sei groß. Künftig könnte das Zusatzstudium daher auch für angehende Diversitätsmanagerinnen und -manager in Unternehmen offen sein. News4teachers / mit Vanessa Köneke (dpa)

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