BOCHUM. Auch im Bereich des sozialen Engagements steht die Gesellschaft vor großen demografischen Herausforderungen. Am Desinteresse junger Menschen liegt dies jedoch nicht, zeigt eine aktuelle soziologische Studie.
Mehr als zwei Drittel der jungen Menschen in Deutschland engagieren oder engagierten sich für das Gemeinwohl. Das ist das Ergebnis einer großen Online-Befragung von Soziologinnen und Soziologen der Ruhr-Universität Bochum in west- und ostdeutschen Großstädten und Landkreisen. Das klassische Engagement in Vereinen und Instituten liegt mit zwei Dritteln dabei vor neuen Formen des Ehrenamts wie Online-Angeboten, episodischen Tätigkeiten oder dem sogenannten Voluntourismus, der Auslandsreisen mit ehrenamtlichen Tätigkeiten verbindet. Nennenswerte Ost-West-Unterschiede fand das Team um Marc Neu, Daniel Schubert und Sören Petermann nicht.
Mehrmals pro Woche aktiv
„Wir wollten wissen, wie sich junge Menschen heute abseits klassischer ehrenamtlicher Vereinstätigkeit engagieren“, erklärt Studienautor Prof. Dr. Sören Petermann. Dabei lag ein besonderes Augenmerk auf digitalem Engagement wie etwa Online-Bewegungskursen, Games-Wikis oder Podcasts, dem sogenannten Voluntourismus, einer Kombination aus touristischer Reise und Engagement und dem episodischen Engagement, das kurzzeitig ist, zum Beispiel auf eine Veranstaltung oder ein Ereignis bezogen. „Diese neuen Formen liegen außerhalb etablierter Engagement-Strukturen, und es ist noch wenig darüber bekannt“, so Petermann.
Neu, Schubert und Petermann ermittelten ihre Daten über eine Online-Befragung unter zufällig ausgewählten Menschen im Alter von 16 bis 25 Jahren in Bochum und Leipzig sowie in einem Projekt in drei ost- und westdeutschen Landkreisen. In Bochum haben sich 1.033 Personen beteiligt, in Leipzig 952.
Quote liegt auf dem Land leicht höher
„Die Engagementquoten der jungen Befragten fallen in allen fünf Untersuchungsgebieten sehr hoch aus“, so das Fazit der Forscherinnen und Forscher. Seit ihrem 15. Lebensjahr hatten sich zwischen 68 und 73 Prozent der Befragten ehrenamtlich engagiert. „Die Quoten liegen im ländlichen Raum leicht höher als in den Städten. Wir konnten keine Ost-West-Unterschiede feststellen“, berichtet Sören Petermann.
Etwa zwei Drittel der Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtler sind in Vereinen und anderen formellen Organisationen aktiv. Daneben spielen Initiativen oder Projektgruppen mit 12 bis 24 Prozent eine Rolle; Einzelengagement macht rund 10 Prozent aus. Rund zwei Drittel üben ihre Tätigkeit stetig ein- bis mehrmals pro Woche aus. Nur 6 bis 10 Prozent waren einmalig aktiv. Fast alle Befragten – 78 bis 88 Prozent – gaben an, an ihrem Wohnort aktiv zu sein.
Was junge Leute motiviert
Der Großteil der Befragten war der Ansicht, dass ein freiwilliges Engagement von der Gesellschaft positiv bewertet wird. Die Mehrheit verband damit außerdem eine sinnvolle Tätigkeit. Wichtig war auch das Gefühl, die Möglichkeit zu haben, Dinge aktiv mitzugestalten. „Eine geringe Rolle spielt hingegen etwa die Auffassung, dass das Engagement von Vorteil für den eigenen Lebenslauf ist“, berichtet Sören Petermann. Die Wertschätzung freiwilligen Engagements von Verwandten zeigte ebenfalls einen positiven Effekt auf das Engagement junger Menschen.
Ob junge Menschen ehrenamtlich aktiv sind, hängt am stärksten vom Bildungsniveau ab: Jemand, der ein (Fach)Abitur hat, ist den Befragungsergebnissen zufolge mit höherer Wahrscheinlichkeit aktiv als jemand, der den Abschluss nicht hat. Ist ein Elternteil ehrenamtlich aktiv, erhöht das auch die Wahrscheinlichkeit eines eigenen Engagements. Überraschend für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler war, dass junge Menschen, die Familiensorgearbeit leisten, also etwa eigene Kinder erziehen, häufiger freiwillig aktiv waren als andere. „Wir hatten vermutet, dass die Zeit für freiwilliges Engagement dann fehlen würde“, berichtet Petermann. „Das Gegenteil ist aber der Fall. Vermutlich liegt das daran“, so der Leiter des Bochumer Lehrstuhls für Soziologie/Stadt und Region, „dass das Engagement mit der Familiensorge inhaltlich verbunden ist, etwa über Fördervereine von Kindergarten und Schule, und dass ein generelles Verständnis für Gemeinschaft und Gemeinwohlorientierung durch die Familiensorgearbeit gefestigt wird.“
Was neue Formen des Engagements begünstigt
Digitales Engagement war in städtischen Räumen deutlich häufiger als auf dem Land. Die individuelle sozioökonomische Lage spielte jedoch nur eine geringe Rolle. Das episodische Engagement war in jüngeren Altersgruppen verbreiteter als in älteren (ab 22). Auch diese Form des Engagements wird durch eigene Familiensorgearbeit begünstigt. Der Voluntourismus war vor allem bei jungen Menschen mit Migrationshintergrund häufiger. Menschen, die sich auf diese Weise engagierten, hatten tendenziell eine niedrigere Bildung. (zab, pm)
Soziales Engagement für viele junge Muslime ein Integrationsfaktor
Ich finde den Anteil 2/3 sehr hoch, was aber an der Definition des ehrenamtlichen Engagements liegen kann. Eine einmalige Teilnahme am örtlichen Dreck-weg-Tag würde ich nicht dazu zählen, es müsste schon regelmäßig sein, z. B. bei den Pfadfindern, im Sportverein oder ähnliches.
Ja, wie ich oben schrieb, rechnet man auch die Freizeitbetätigung in einem Sportverein dazu. Ich fühle mich veräppelt!
Trainer im Sportverein zählt für mich, reiner Teilnehmer nicht. Aber so kann man die Statistik heben
Finde ich auch. Es ist aber kaum vorstellbar, dass 34% – 46% der Kinder und Jugendlichen Trainer in einem Sportverein sind. (siehe Zitat bei Autobahnabfahrt)
“Seit ihrem 15. Lebensjahr hatten sich zwischen 68 und 73 Prozent der Befragten ehrenamtlich engagiert…. Etwa zwei Drittel der Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtler sind in Vereinen und anderen formellen Organisationen aktiv.”
Das erstaunt mich enorm. Denn das nehme ich ganz anders wahr. So habe ich mal in die verlinkte Studie geschaut. Da steht auf S. 27:
“Die meisten der jungen Menschen geben an, sich im Bereich „Sport und Bewegung“ zu engagieren (34% bis 46%). Bei der Datenaufbereitung wurde sorgfältig darauf geachtet, dass Sport treiben nicht mit freiwilligem Engagement im Bereich Sport und Bewegung gleichgesetzt wird. Dennoch wird dieser Bereich mit Abstand am häufigsten genannt. Das wird auch durch Ergebnisse des FWS gestützt. Vergleichsweise hohe Engagementquoten sind in den Bereichen „Freizeit und Unterhaltung“ (17% bis 26%) und „(Hoch-)Schule und außerschulisches Lernen“ (18% bis 26%) festzustellen.”
Ist die Aktivität in einem Fußballverein ein ehrenamtliches Engagement nach unserem landläufigen Verständnis? Für die Studien-Macher ja. Aber ich meine, ehrenamtliches Engagement ist darauf gerichtet, etwas für andere zu tun und nicht in erster Linie etwas für sich selbst zu tun.
“Dabei lag ein besonderes Augenmerk auf digitalem Engagement wie etwa Online-Bewegungskursen, Games-Wikis oder Podcasts, dem sogenannten Voluntourismus, einer Kombination aus touristischer Reise und Engagement und dem episodischen Engagement, das kurzzeitig ist, zum Beispiel auf eine Veranstaltung oder ein Ereignis bezogen. „Diese neuen Formen liegen außerhalb etablierter Engagement-Strukturen, und es ist noch wenig darüber bekannt“ seeeehr weit gefasst die Definition. Darunter wäre dann auch ein junger Mensch, der fürs Geocaching Kapseln in die Bäume hängt.
Na vor allem ist doch soziales Engagement etwas für andere und nicht etwas für sich selbst. Da stimme ich den Vorrednern allen zu. Hier wurde eine Statistik ja offenbar sehr fantasiereich “aufgehübscht”.
In unserem Kreis stellen wir fest, dass es immer schwieriger wird, für ehrenamtliches soziales Engagement Nachwuchs zu bekommen. Besonders wenn es zeitlich sehr aufwändig ist, wie bei der freiwilligen Feuerwehr und dem Kathastrophenschutz wie THW und SEG.
Es ist auch kaum möglich, hier auch nur annähernd divers zu besetzen.
Zu fast 99% sind es “Kartoffeln ohne Abi”, die sich die vielen Wochenendlehrgänge/- dienste und die Feiertagsdienste antun.
Es wird zwar, besonders an Schulen, auf jedem Stadtfest und im Lokalblatt massiv geworben, der Erfolg ist allerdings überschaubar. Und Angriffe, verbal sowie physisch, auf Einsatzkräfte nehmen zu, was das Engagement nicht attraktiver macht.
Was sind denn “Kartoffeln ohne Abi”? Die sogenannten Bio-Deutschen?