BERLIN. Der Lehrkräftemangel beschäftigt Deutschlands Schulen seit Jahren. Nun wollen die Länder die Ausbildung öffnen, um mehr Personal zu gewinnen: So soll es künftig auch die Möglichkeit geben, mit nur einem Studienfach Lehrer oder Lehrerin zu werden. Die GEW zeigt sich skeptisch. Der VBE lehnt den Vorstoß ab.
Am Ende der vorvergangenen Woche trat die KMK-Präsidentin, Saarlands Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot (SPD) vor die Öffentlichkeit. „Die Länder eröffnen neue Wege in das Lehramt“, erklärte sie. „Wir öffnen den Zugang zum Beruf für neue Gruppen, wie Ein-Fach-Lehrkräfte und Quereinsteigende. Dadurch werden zukünftig mehr Lehrende mit unterschiedlichen Biografien unsere Schulen bereichern. Zudem gestalten wir das Studium praxis- und berufsorientierter, indem wir die Studien- und Vorbereitungsdienstphase stärker verschränken. So stellen wir sicher, dass künftige Lehrkräfte frühestmöglich ihr theoretisches Wissen mit praktischen Erfahrungen verbinden können. Der Weg ins Lehramt wird dadurch flexibler und lebensnaher!“
Momentan müssen angehende Lehrkräfte in der Regel auf mindestens zwei Fächer studieren. Zudem befürworten die Länder in ihrem Beschluss als zusätzlichen Ausbildungsweg auch duale Lehramtsstudiengänge und ein sogenanntes Quereinstiegs-Masterstudium für Absolventen zum Beispiel von Ingenieurwissenschaften, die sich später entscheiden, noch Lehrerin oder Lehrer zu werden. Mit den Maßnahmen solle kurz- und mittelfristig Lehrpersonal gewonnen werden, hieß es.
Die Koordinatorin der Unionsländer in der KMK, die Schleswig-Holsteinische Bildungsministerin Karin Prien, sagte nach dem Treffen, dass es sich um zusätzliche Wege handeln soll: „Wir gehen nicht ab von der grundständigen Lehrkräftebildung“, sagte die CDU-Politikerin. Man öffne aber die Ausbildung für mehr junge und auch ältere Menschen, die sich für den Lehrerberuf entschieden. „Dadurch werden zukünftig mehr Lehrende mit unterschiedlichen Biografien unsere Schulen bereichern“, sagte Streichert-Clivot.
Das Modell Ein-Fach-Lehrkraft soll es unter anderem Lehrerinnen und Lehrern aus dem Ausland mit nur einem studierten Fach leichter machen, in ihrem Beruf in Deutschland Fuß zu fassen. Auch angehende Mathematiker oder Informatiker, die Lehrer werden wollen, könnten damit angesprochen werden. Sie alle müssten dann nicht mehr ein zweites Fach nachstudieren, was möglicherweise viele davon abhält, Lehrkraft zu werden.
„Die KMK leistet sich einen Beschluss, der den Empfehlungen ihres eigenen wissenschaftlichen Beratungsgremiums zuwiderläuft“
Die Bildungsgewerkschaft VBE wendet sich gegen die Möglichkeit des dualen Studiums und grundsätzlich auch gegen Ein-Fach-Lehrkräfte. „Der Deprofessionalisierung muss Einhalt geboten werden“, sagt der VBE-Vorsitzende Gerhard Brand. „Die KMK leistet sich einen Beschluss, der den Empfehlungen ihres eigenen wissenschaftlichen Beratungsgremiums, der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK), zuwiderläuft.“ Hintergrund: Die SWK hatte duale Lehramtsstudiengänge abgelehnt, weil damit Studierende zum Unterrichten verleitet würden, bevor sie die dafür notwendigen Kompetenzen erworben hätten.
Brand: „Wir rücken kein Stück von unserer Ansage ab, dass es kein duales Studium im Sinne der Einphasigkeit geben soll. Zudem soll es grundsätzlich keine Ein-Fach-Lehrkräfte geben, wenngleich jenen, die in Mangelfächern zunächst nur in einem Fach unterrichten, eine Nachqualifizierung ermöglicht werden muss.“
Brand setzt sich nach eigenen Worten dafür ein, dass Qualität der Lehrkräftebildung gesichert und perspektivisch gesteigert wird. Sie müsse den Herausforderungen vor Ort Rechnung tragen und die angehenden Lehrkräfte optimal darauf vorbereiten, professionell zu agieren. Dafür brauche es eine angemessene Dauer des Vorbereitungsdienstes mit mindestens 18 Monaten und optimal 24 Monaten.
Ein besonderes Anliegen ist dem VBE zudem, die fortlaufende Qualifizierung der Lehrkräfte sicherzustellen. „Dafür muss zum einen die Kohärenz über alle Phasen der Lehrkräftebildung sichergestellt werden. Zum anderen muss sichergestellt werden, dass ausreichend zeitliche und finanzielle Ressourcen bestehen, als dass Lehrkräfte innerhalb der geregelten Arbeitszeit qualitativ hochwertige Fort- und Weiterbildungsangebote wahrnehmen können. Damit wird das Berufsfeld attraktiver und so können auch wieder mehr Menschen für die Arbeit im Bildungssystem gewonnen werden“, erklärt Brand.
„Um mehr Menschen für den Lehrberuf zu gewinnen oder in diesem zu halten, müssen sich sowohl die Arbeitsbedingungen in den Schulen als auch die Bedingungen in der Ausbildung der Lehrkräfte enorm verbessern“
Die GEW warnt unterdessen vor Tücken in den Details der Neuregelungen. „Der Knackpunkt: Der konkrete Umsetzungsbeschluss fehlt noch, so dass aktuell nicht zu beurteilen ist, welche Auswirkung diese Maßnahmen insbesondere auch auf die Qualität der Lehrkräftebildung haben. Die KMK hat sich zudem nicht einmal auf einen weiteren Ausbau der Ausbildungskapazitäten an den Universitäten und im Vorbereitungsdienst verständigt“, sagt Anja Bensinger-Stolze, GEW-Vorstandsmitglied Schule. „Mit ihren Vorschlägen springt die KMK viel zu kurz! Der Lehrkräftemangel wird nicht in seiner gesamten Tragweite erfasst. Er kann nicht erfolgreich bekämpft werden, wenn keine für alle Länder verbindlichen mittel- und langfristigen Maßnahmen vereinbart werden. Die aktuellen Absprachen werden weder den Pädagoginnen und Pädagogen, die an den Schulen mit hohem Engagement arbeiten, gerecht, noch den Zukunftsaussichten der Kinder und Jugendlichen“, kritisiert die Gewerkschafterin.
Sie betont: „Um mehr Menschen für den Lehrberuf zu gewinnen oder in diesem zu halten, müssen sich sowohl die Arbeitsbedingungen in den Schulen als auch die Bedingungen in der Ausbildung der Lehrkräfte enorm verbessern.“ Beides müsse attraktiver werden. „Es geht einerseits um die Reduzierung von Arbeitszeit, kleinere Klassen und die Entlastung der Lehrkräfte von reinen Verwaltungstätigkeiten, umso mehr Zeit für die pädagogische Arbeit zu haben. Andererseits müssen die Ausbildungskapazitäten an den Universitäten ausgebaut sowie bessere Studien- und Ausbildungsbedingungen geschaffen werden. Theorie und Praxis müssen besser verzahnt, die Qualifizierung der Quer- und Seiteneinsteigenden vorangetrieben sowie die Fort- und Weiterbildung gestärkt werden“, so Bensinger-Stolze.
Der Lehrkräftemangel wird die Schulen besonders oberhalb der Grundschulen nach Prognosen von Experten und Berechnungen der Länder noch über Jahre beschäftigen. Die KMK hatte in ihrer im Dezember veröffentlichten regelmäßigen Dokumentation zum Lehrkräfteeinstellungsbedarf und -angebot steigende Schülerzahlen durch Zuwanderung als einen Grund genannt, dazu kommen ein steigender Personalbedarf durch den Ausbau der Ganztagsbetreuung und erhöhte Anforderungen etwa bei Inklusion und Sprachförderung. Und auch auf dem Lehrkräftearbeitsmarkt schlägt sich die Bevölkerungsentwicklung nieder: Die «Baby-Boomer-Generation» verlasse das Berufsleben, wobei die nachrückende Generation viel kleiner sei. News4teachers / mit Material der dpa
Wie lassen sich Lehrkräfte gewinnen? SWK: Neuer Zugang – verkürztes Referendariat
