BERLIN. Dezent geht anders. Ein „Festival für Finanzbildung“ (nichts Geringeres) sollte es werden, vollmundiger Titel: „Mit Geld und Verstand“. Bundesfinanzminister Lindner und Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger, beide FDP, hatten dazu eingeladen – und 600 „Lehrende“ folgten dem Aufruf. Die GEW sieht die Initiative überaus kritisch. Sie mahnt: „Öffentliche Bildung nicht missbrauchen, um die Finanzmärkte anzukurbeln!“
„Vom Handyvertrag über die eigene Wohnung bis zur Altersvorsorge – wer klug spart, kalkuliert und finanziert kommt besser durchs Leben. Finanzielle Bildung ist Lebensbildung und sollte allen offen stehen. Beim Festival für Finanzbildung ‚Mit Geld und Verstand‘ wollen wir darauf hinarbeiten – mit Ihnen.“ Mit diesen Worten hatte Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner eingeladen. Zielgruppe laut Ministerium: „Lehrende allgemein, alle Schulformen, Erwachsenenbildung, Fortbildungseinrichtungen und Orte der frühkindlichen Förderung sowie aus dem thematisch relevanten Hochschulbereich“.
Mehr noch: Lindner hat dafür eigens ein „Finanzbildungsstärkungsgesetz“ auf den Weg gebracht. Damit soll „durch Einrichtung einer Stiftung ‘Finanzbildung, Geld und Währung’ die Grundlage für eine dauerhafte Verbesserung der finanziellen Bildung in Deutschland gelegt werden. Die Stiftung soll künftig insbesondere die Umsetzung von bundesweiten Maßnahmen und Strategien zur Stärkung der finanziellen Bildung in Deutschland in enger Abstimmung mit den Stakeholdern der finanziellen Bildung koordinieren und darüber hinaus auch eigene Finanzbildungsinhalte entwickeln, von pädagogischen Ressourcen bis hin zu Sensibilisierungskampagnen“, wie es im Erklärtext zum Entwurf heißt.
„Hervorragende Projekte, Unterrichtsmaterialien, Bildungsansätze und Methoden“
Immerhin, rund 600 Menschen folgten am Dienstag Lindners Einladung und bekamen auf dem „Festival“ im Berliner Kulturzentrum „Radialsystem“ auf insgesamt fünf Bühnen, 400 Quadratmetern Ausstellungsfläche und in über 50 Programmpunkten rund um die Themen Finanzgrundbildung, Sparen und Altersvorsorge, Forschung, Digitale Finanzdienstleistungen, Kapitalmarkt, Kreditnutzung und Nachhaltigkeit laut Ministerium „hervorragende Projekte, Unterrichtsmaterialien, Bildungsansätze und Methoden präsentiert“. Gleich zwei Bundesminister waren anwesend: neben Lindner auch Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger, ebenfalls FDP.
Friede, Freude, Eierkuchen? Mitnichten. „Öffentliche Bildung darf nicht auf ein Instrument zur Wirtschafts- und Finanzmarktförderung reduziert werden“, sagt Maike Finnern, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), mit Blick auf das Finanzbildungsfestival. Sie betont, dass die GEW die Initiative, die von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) unterstützt wird, „äußerst kritisch sieht“.
„Wer junge Menschen unterm Strich als künftige Käuferinnen und Käufer auf Finanzmärkten oder privater Altersvorsorgeprodukte in den Fokus stellt, betreibt ideologische Schmalspurbildung“, spitzt Finnern das Anliegen Lindners zu. Diese formuliere „Wirtschaftswachstum“, eine „höhere Bereitschaft und Fähigkeit zur Partizipation am Kapitalmarkt“ sowie eine Verbesserung des individuellen Wohlergehens explizit als Ziele. Damit werde die Verantwortung für den eigenen und den gesellschaftlichen Wohlstand letztlich sogar für die Finanzmarktstabilität zur persönlichen Angelegenheit der Lernenden erklärt.
„Wenn auf der einen Seite das Bürgergeld schlechtgeredet und entkernt, die Kindergrundsicherung bis aufs Skelett kleingespart, auf der anderen Seite aber die Finanzbildung als Motor für ‚Chancengerechtigkeit‘ und Wohlstand ausgerufen wird, ist das zynisch“, betont Finnern. Zugleich kritisiert sie die dem Vernehmen nach geplanten Haushaltskürzungen des Bundes bei Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) und Verbraucherbildung.
„Die Kinder und Jugendlichen müssen in öffentlichen Einrichtungen vor Werbung, Kommerz und Wirtschaftslobbyismus geschützt werden“
„Gerade Verbraucherbildung und BNE sind für die Bildungsziele Mündigkeit, Kritikfähigkeit und Urteilskompetenz zentral. Besonders wenn es um Finanzmärkte, Wirtschaft oder Globalisierung geht. Wenn jedoch stattdessen neun Millionen Euro jährlich in eine Stiftung für Finanzbildung gesteckt werden, wie dies der Gesetzesentwurf vorsieht, ist das ein Zeichen für das reduzierte Bildungsverständnis und die Einseitigkeit dieser Initiative“, unterstreicht die Gewerkschafterin. Das Projekt habe erhebliche Defizite mit Blick auf Wissenschaftsbezug, Pluralität und Kontroversität. Diese seien aber die Grundprinzipien nicht nur der schulischen, sondern der gesamten öffentlich verantworteten Bildung.
Finnern sieht die Gefahr, dass über die ministerielle Finanzbildungsinitiative, zum Beispiel mit der geplanten sogenannten „Finanzbildungsplattform“ (News4teachers berichtete), künftig noch mehr unausgewogene Inhalte und privatwirtschaftliche Interessen in Schulen Einzug halten, wie es bereits insbesondere seit der Wirtschafts- und Finanzkrise zu beobachten sei. Die GEW-Chefin meint: „Das Lernen sowie die Kinder und Jugendlichen müssen in öffentlichen Einrichtungen vor Werbung, Kommerz und Wirtschaftslobbyismus geschützt werden. Das ist bei dieser Initiative nicht gewährleistet.“ News4teachers
