Ein Kommentar von Volker Jürgens.
BERLIN. Die FDP und ihre Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger sind mal mit dem Anspruch angetreten, „weltbeste Bildung für jeden“ zu ermöglichen. Sie scheitern allerdings derzeit sogar schon daran, ihre eigenen Versprechungen in Sachen Digitalisierung der Schulen umzusetzen. Der Digitalpakt 2.0, von der Ampel in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt und von Stark-Watzinger zu verantworten, droht auf den letzten Metern zu scheitern.
Die Situation ist verfahren, die Fronten sind verhärtet, obwohl die Zeit drängt: Bund und Länder scheinen beim Digitalpakt 2.0 für nächstes Jahr nicht zueinander zu finden. Die Folgen für die Schulen wären fatal. Investitionen in deren digitale Ausstattung liegen seit Monaten brach. Die für insgesamt 6,5 Milliarden Euro angeschaffte Infrastruktur beginnt bereits zu bröckeln.
Knackpunkte der Verhandlungen: Kompetenzen und Geld. In einem Interview mit der ARD versuchte Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) am Wochenende nun einmal mehr, den Kultusministern den Schwarzen Peter zuzuschieben: „Wir vom Bund sind klar aufgestellt.“ 2,5 Milliarden Euro als Angebot würden auf dem Tisch liegen, jetzt komme es darauf an, „dass die Länder eben auch sagen, welchen Beitrag sie leisten wollen“.
Wen sie mit „wir vom Bund“ meint? Aus Reihen der Koalitionspartner mehren sich die kritischen Stimmen an Stark-Watzingers Kurs. Es ist offensichtlich, dass Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner hier die Strippen zieht.
So lässt sich die Geschichte auch ganz anders erzählen: Der Streit zwischen Bund und Ländern um den Digitalpakt tobt seit sage und schreibe zwei Jahren – und die Bundesbildungsministerin scheint gewillt zu sein, daraus ein absurdes Theaterstück zu machen. So fragte sie die Kultusministerinnen und Kultusminister noch im vergangenen Juli (wohlgemerkt: nach bereits 18 Monaten Verhandlungen!), wie viel Geld sie denn eigentlich wollen. Das wiederholt sie seitdem immer wieder.
In ihrem Koalitionsvertrag hat die Ampel den Digitalpakt 2.0 angekündigt – ohne jegliche Einschränkung
Dabei ist die Sache klar. Der erste Digitalpakt Schule zum technischen Ausbau der Einrichtungen lief von 2019 bis Mai dieses Jahres. Das Programm zur Finanzierung von schuleigenem WLAN oder für die Anschaffung von interaktiven Tafeln, Laptops und Tablets hatte ein Volumen von mehr als sechs Milliarden Euro. Hier trug der Bund 90 Prozent der Kosten, die restlichen zehn Prozent steuerten Länder und Kommunen bei. Grundsätzlich sind Schulen zwar Ländersache und nicht Sache des Bundes. In ihrem Koalitionsvertrag hatte die Ampel aber angekündigt, mit den Ländern ein Anschlussprogramm, eben den Digitalpakt 2.0, mit einer Laufzeit bis 2030 auf den Weg zu bringen – ohne jegliche Einschränkung.
Die hat allerdings Stark-Watzinger dann einseitig den Ländern vor den Latz geknallt. Ein vertraulicher Entwurf des Bundesbildungsministeriums – der der Redaktion von News4teachers vorliegt – beinhaltet, dass der Bund seinen Finanzierungsanteil am neuen Digitalpakt von bislang 90 auf 50 Prozent senkt. Zudem will der Bund die Förderung ab 2030 komplett einstellen. Welche Summe das Projekt insgesamt umfassen soll, bleibt offen. „Dafür investieren Bund und Länder über die Laufzeit dieser Vereinbarung insgesamt bis zu X Mrd. Euro zu gleichen Teilen”, so heißt es wörtlich in dem Papier.
Last but not least sollen die Länder dann auch noch schwören, nach Ende der Laufzeit niemals mehr Geld vom Bund für die Digitalisierung der Schulen zu verlangen. Im Wortlaut: „Die Länder stellen sicher, dass zum 31.12.2029 eine mit den Schulträgern abgestimmte verbindliche Planung eines jeden Landes zur dauerhaften Finanzierung der genuinen Länderaufgabe digitaler Bildung vorgelegt wird. Dazu gehören vor allem die dauerhafte Sicherstellung der Administration der Schul-IT durch Kapazitäten von Ländern und Kommunen, die Gewährleistung der Interoperabilität und Anschlussfähigkeit der IT-Infrastruktur durch einheitliche Standards sowie in eigener Zuständigkeit unterhaltene Service-, Beratungs- und Vernetzungsangebote für Schulen und Schulträger für die Zeit nach der Förderung dieser Gegenstände durch den Digitalpakt 2.0.“
Statt nun daran zu gehen, die Schwachstellen des ersten Digitalpakts auszubessern, setzt die Bundesbildungsministerin noch erkennbaren Unfug obendrauf
Nun gilt der erste Digitalpakt zwar als Erfolgsmodell. Verbesserungsmöglichkeiten gäbe es aber durchaus. Zentrale Kritikpunkte:
- Die Umsetzung des Digitalpakts gestaltete sich aufgrund föderaler Strukturen und regionaler Unterschiede als schwierig und langwierig. Einige Bundesländer konnten schneller auf die bereitgestellten Mittel zugreifen und nutzen, während Schulen andernorts noch immer auf grundlegende Infrastruktur wie schnelles Internet und WLAN warten.
- Schulen und Schulträger beklagten, dass die Mittelverwendung oft an komplexe bürokratische Auflagen gebunden sei. Dadurch wurde die Umsetzung erschwert und verzögert. Viele Schulleitungen wünschten sich flexiblere Regeln für die Mittelverwendung, um besser auf die spezifischen Bedürfnisse vor Ort eingehen zu können.
- Länder und Schulträger bemängelten, dass die Bereitstellung der Mittel einmalig und nicht nachhaltig geplant sei. Es wurde früh die Sorge geäußert, dass der fortlaufende Finanzbedarf für Wartung, Erneuerung und Lizenzen nicht gedeckt werden kann, wenn die Mittel des Digitalpakts aufgebraucht sind – zurecht, wie die Diskussion um den Digitalpakt 2.0 belegt.
- Es wurde häufig kritisiert, dass Lehrkräfte nicht genügend Zeit und Ressourcen haben, um sich in die neuen digitalen Werkzeuge einzuarbeiten. Fortbildungen müssen in den regulären Arbeitszeiten der Lehrkräfte stattfinden. Der bereits bestehende Lehrkräftemangel macht dies jedoch schwierig, und viele Lehrerinnen und Lehrer beklagten eine zusätzliche Arbeitsbelastung.
- Es fehlt bis heute an qualifiziertem IT-Personal in den Kollegien. Schulen berichten von einer unzureichenden Unterstützung bei der Wartung und dem Betrieb der digitalen Technik. Viele Lehrkräfte fühlen sich oft auf sich allein gestellt, wenn technische Probleme auftreten.
Schulen werden aber nun kaum ein ausreichend großes Reservoir an qualifizierten Technikerinnen und Technikern vorhalten können. Die sucht selbst die Wirtschaft, die weitaus bessere Gehälter bieten kann, händeringend. Hier sind Dienstleister gefragt, die den Support stemmen können. All das, was in den letzten Jahren in den Schulen an digitaler Infrastruktur verbaut wurde und derzeit genutzt wird, bedarf der Wartung und Pflege und der regelmäßigen Erneuerung. Das alles können Schulen und Kommunen allein nicht leisten (auch wenn manche Schulträger das vielleicht glauben mögen). Heißt: Ohne Dienstleister wird es keine nachhaltige digitale Transformation geben.
Statt nun aber daran zu gehen, diese Schwachstellen des ersten Digitalpakts auszubessern – was zweifellos ein honoriges Ansinnen wäre –, setzt die Bundesbildungsministerin noch erkennbaren Unfug obendrauf: Als weitere Zumutung fordert sie von den Ländern ein „zusätzliches Engagement für die Qualifizierung des pädagogischen Personals“, genauer: „Ab 2026 mindestens durch die Einführung einer Fortbildungsverpflichtung für Lehrkräfte insbesondere im Bereich digitales Lehren und Lernen von 30h p. a. durch individuelle Teilnahme an zertifizierten Angeboten oder schul-/schulverbundinternen Fortbildungen (gemäß Empfehlung der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der KMK), finanziell unterlegt durch eine Anhebung von Fortbildungs-/Qualitätsbudgets auf Schulebene um 500 Euro pro Schule und 40 Euro pro Lehrkraft.“
Was die Länder, grob überschlagen, nochmal rund 50 Millionen Euro pro Jahr extra kosten würde – also in der Laufzeit des Digitalpakts satte 250 Millionen Euro. Gravierender noch: Mit der Vorgabe würden Lehrerinnen und Lehrer, an deren Engagement die Digitalisierung der Schulen bislang nicht gescheitert ist, mit einer beispiellosen bürokratischen Fortbildungspflicht überzogen. Dies dürfte die Motivation kaum steigern. Kein Wunder also, dass der Lehrerverband VBE in Stark-Watzingers Kurs eine „klare Verzögerungstaktik“ sieht. Verzögerung – oder gar Verhinderung? Fakt ist: Die FDP führt kein einziges Kultusministerium in Deutschland. Sie selbst hätte von einem erfolgreichen Abschluss in den Verhandlungen zum Digitalpakt deshalb im eigenen Kalkül wohl am wenigsten.
Stark-Watzinger will mehr Kompetenzen des Bundes in der Bildung – allen Ernstes
Kein Witz: Stark-Watzinger, die auch stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende ist, fordert im aktuellen ARD-Interview, in dem sie sich der Verantwortung für den Digitalpakt entzieht, stattdessen mehr Verantwortung für den Bund bei der Bildung insgesamt.
Sie spricht sich für eine „klare Aufgabenteilung“ aus, um die Umsetzung zu beschleunigen und Zuständigkeiten zu schaffen – eben auch über das Thema Digitalisierung hinaus: mit einheitlichen, verbindlichen Standards bei Bildungsabschlüssen. Das sei „ein großer Wunsch der Familien in unserem Land“, damit es eine Vergleichbarkeit zwischen den Bundesländern gebe: „Wir wollen ja mobil sein mit unseren Bildungsabschlüssen.“ Wäre der Bund für diese übergeordneten Themen bei der Bildung zuständig, so hätten die Menschen auch einen Ansprechpartner, der in der Verantwortung stehe, so Stark-Watzinger.
Haben Sie das? Stand jetzt haben die Bürgerinnen und Bürger eine Bundesbildungsministerin, die nicht mal ihren im Koalitionsvertrag selbst gesetzten Ansprüchen gerecht wird.
Der Autor Volker Jürgens war selbst Geschäftsführer eines IT-Unternehmens in der Bildungsbranche. Er ist heute als Fachjournalist tätig.
