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Podcast: Warum Demokratie ohne Bildung an ihre Grenzen stößt (und was die Politik dagegen tun könnte)

BONN. Ob neue Schulformen, alternative Prüfungsformate oder Lernmethoden – wer im Bildungsbereich etwas verändern will, stößt auf Widerstände. Doch nicht nur dort: Politische Reformen stoßen grundsätzlich erst einmal auf Ablehnung. Doch woher kommt der Protest? Wie lässt er sich verringern? Und welche Rolle spielt Bildung dabei? Darüber spricht Moderator Andreas Bursche im Podcast „Bildung, bitte!“ mit Dirk Neubauer, ehemaliger Bürgermeister und Landrat, und Vincenz Kurze, Industriekletterer, Künstler und Mitglied im Bürgerrat Bildung und Lernen. Gemeinsam diskutieren sie, warum Wissen über politische Prozesse demokratieentscheidend ist.

“I love the poorly educated”: Populistische Politiker – hier: US-Präsident Donald Trump – bauen auf Unbildung. Foto: Shutterstock / Chip Somodevilla

In der Podcast-Folge „Wer bestimmt hier? Zum Umgang mit Widerständen“ des Bürgerrats Bildung und Lernen dreht sich alles um Widerstände – sowohl in der Politik als auch in der Gesellschaft. Denn Veränderungen, so notwendig sie auch sind, stoßen oftmals zunächst auf Ablehnung, erklärt Moderator Andreas Bursche (bekannt vom WDR). Wie unterschiedlich sich dieser Widerstand allerdings darstellen kann, zeigen die Erfahrungen seiner beiden Gäste.

Persönliche Anfeindungen statt sachlicher Auseinandersetzung

Dirk Neubauer erlebte als Bürgermeister von Augustusburg im Erzgebirge und als parteiloser Landrat von Mittelsachsen nicht nur massiven Widerstand, sondern auch mangelnden gesellschaftlichen Rückhalt und sogar persönliche Anfeindungen. Er beschreibt, wie sich der politische Diskurs zunehmend in Glaubensdebatten verwandelt. Dabei gehe es oft nicht mehr um politische Auseinandersetzungen: Statt sachlich über Inhalte zu streiten, würden regelrechte „Vernichtungsfeldzüge gegen Personen“ geführt.

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Ein Gegenmodell dazu bietet der Bürgerrat Bildung und Lernen, in dem sich Vincenz Kurze engagiert – zusammen mit mehr als 700 weiteren Menschen. Sie alle suchen, auf Einladung der Montag Stiftung Denkwerkstatt, gemeinsam nach Ideen, die Bildung in Deutschland zu verbessern, und erarbeiten Empfehlungen für die Politik – sachlich und konstruktiv. „In der letzten Gesprächsrunde, in der ich dabei war, haben wir festgestellt, dass wir ganz unterschiedliche politische Konzepte verfolgen, aber trotzdem alle zusammen an einem Tisch sitzen und über Dinge reden können.“

Gerade diese Diskussionskultur, die Bürgerräte ermöglichten, überzeugt auch Neubauer von diesem Beteiligungskonzept: „Dort holst du Leute per Los zu einem Thema zusammen, die wissen, das ist temporär, die behandeln eine Sachlage und gehen danach wieder auseinander.“ Dadurch gebe es keine Grundlage für jahrelange Hahnenkämpfe. Politik dagegen sei ein Berufsgeschäft geworden. „Und dort geht es um Erhalt der eigenen Person. Das ist eine Existenzfrage.“

„Das geht nur, wenn da draußen Menschen sind, die nicht wissen, wie das Ganze funktioniert.“

Aus Neubauers Sicht führe das dazu, dass etwa Kreistage als politische Bühnen missbraucht werden, um sich und Parteithemen zu inszenieren. Dabei werde oft bewusst mit populistischen Mitteln gearbeitet. „Da ist es bei uns dann so weit gekommen, dass die CDU mit der AfD beispielsweise gemeinsam vollkommen rechtswidrige Beschlüsse gefasst hat, über Dinge, die der Kreistag gar nicht entscheidet. Nur um mich dazu zu zwingen, die aufheben zu müssen. Dazu bin ich ja als Landrat verpflichtet gewesen. Um mich dann öffentlich als den großen Undemokraten zeichnen zu können.“

Neubauer sieht mangelnde politische Bildung als eine der Hauptursachen für solche Entwicklungen: „Das geht nämlich nur, wenn da draußen Menschen sind, die nicht wissen, wie das Ganze funktioniert. Dann kannst du diese Spiele machen.“ Er betont, dass ein großer Teil des Aufschwungs extremer Parteien auf dieser Unwissenheit basiert: „Ich will das nicht kleinreden, wir haben auch wirklich echte Rechte und überzeugte Rechte, das ist keine Frage, und wahrscheinlich waren die auch immer da – das ist gar nicht der Punkt. Aber Vieles lässt sich trotzdem nur über totale Unwissenheit erklären.“

Partizipation als Lösung?

Um daran etwas zu ändern, sei es aus Neubauer Sicht wichtig, Menschen in politische Entscheidungen einbeziehen. Im Rahmen seiner Arbeit als Politiker habe er die Erfahrung gemacht, dass Menschen, wenn sie beteiligt werden, dabei lernen, wie schwierig es ist Kompromisse auszuhandeln. Dadurch steige auch der Respekt der Menschen für politische Entscheidungsprozesse. Deshalb unterstütze er auch das Konzept der Bürgerräte, so Neubauer. „Was Besseres kann ja nicht passieren. Du holst die Bürger rein, die lernen das Pro und Kontra, die können sich tief mit einem Thema auseinandersetzen und handeln dann einen Kompromiss aus. Da steckt so viel Kraft und Arbeit drin.“

Ähnliches berichtet auch Vincenz Kurze von seinem Engagement im Bürgerrat. Kompromisse zu finden, sei ein aufwändiger Prozess, nicht alle seien mit den Ergebnissen immer hundertprozentig zufrieden, doch trotzdem setzten die Menschen ihre Arbeit im Rat dort. Vincenz erklärt sich das so: Die Beteiligung im Bürgerrat sei ja „eine Form von Ehrenamt“, in die die Bürgerrät:innen Zeit investiert hätten. „Dass das nicht umsonst war“, sei auch eine Art Motivation.

Sowohl Dirk Neubauer als auch Vincencz Kurze zeigen sich optimistisch, dass diese Form der Beteiligung auch auf der großen politischen Bühne funktionieren würde. Vorausgesetzt, es handele sich um ein ehrliches Partizipationsangebot und keine Pseudobeteiligung, die den Bürger:innen lediglich die Wahl zwischen bereits ausgewählten Optionen lasse. Dafür bräuchte es in der Politik jedoch ein Umdenken, dass Schwarmintelligenz wirklich funktioniere, so Dirk Neubauer und Vincenz Kurze.

„Wenn ich höre, ‚wir kümmern uns um Sie‘, kriege ich Angst.“

Entsprechend fordert Neubauer ein verändertes Politikverständnis. „Politik muss die Möglichkeit schaffen, dass Menschen in die Lage versetzt werden, in gemeinsamen Prozessen ihre Probleme selbst zu lösen.“

Er kritisiert das aktuelle Prinzip des „Kümmerns“: „Wenn ich höre, ‚wir kümmern uns um Sie‘, kriege ich Angst.“ Dies habe über Jahre dazu geführt, dass viele Menschen sich als passive Rezipienten fühlten und nun wütend seien, weil sie das Gefühl haben, gar keinen Einfluss mehr auf das alles zu haben, was hier passiert.“ Natürlich habe jeder Bürger die Verpflichtung, sich selbst reinzuarbeiten und Politik zu verstehen, aber trotzdem habe die Politik auch viel zu dieser Passivität beigetragen. „Für mich ist das auch eine Art von Konsumkritik“, ergänzt Vincenz. „Wenn du davon ausgehst, die Politiker machen das schon oder wir bezahlen sie ja dafür, dass sie das machen, dann kannst du dich auch sehr schön aus der Verantwortung für die ganzen Probleme ziehen, die daraus entstehen. Das ist das Schöne an diesen Rätesystemen, dass du mit in die Verantwortung genommen wirst.“

Abschließend will Moderator Andreas Bursche noch wissen, warum die Politik das Thema Bildung denn so vernachlässige, wenn sie – wie das Gespräch gezeigt habe – doch so entscheidend für das Verständnis politischer Prozesse und damit für die Demokratie sei. Eine klare Antwort darauf gibt es nicht, doch Neubauer hat eine Vermutung: „Ich glaube, es ist überhaupt nicht verstanden worden, dass wir diesen Übergang zur Wissensgesellschaft haben. Und dass das Kapital künftig noch mehr in den Köpfen der Leute steckt, als es früher der Fall war.“ News4teachers

Hintergrund

Der Bürgerrat Bildung und Lernen besteht aus mehr als 700 zufällig ausgelosten Teilnehmer*innen aus ganz Deutschland und wurde 2020 von der Montag Stiftung Denkwerkstatt ins Leben gerufen. Sie hat auch den vorliegenden Podcast bereitgestellt.

Im Sinne einer lebendigen Demokratie diskutieren die Mitglieder des Bürgerrats gemeinsam über gesellschaftliche und bildungspolitische Fragen. Welche Probleme und Herausforderungen müssen im Bildungsbereich dringend bearbeitet werden? Wie könnten bildungspolitische Reformen aussehen, die Probleme lösen und gleichzeitig in der Gesellschaft mehrheitsfähig sind? Und: Wie soll gerechte Bildung in Zukunft aussehen?

Ein umfassendes Papier mit Empfehlungen wurde unlängst erarbeitet (News4teachers berichtete). Leitthema dabei: „Chancengerechtigkeit: Wie viel Freiheit braucht das Lernen?“

Der Bürgerrat Bildung und Lernen ist aktuell der einzige Bürgerrat, der auf Bundesebene aktiv ist und auch Kinder und Jugendliche einbezieht. Die mehr als 250 Schülerinnen und Schüler kommen über sogenannte Schulwerkstätten der Bundesländer dazu und sind vollwertige Mitglieder des Bürgerrats Bildung Lernen. Darüber hinaus haben sie aber auch eigene Empfehlungen entwickelt sowie einen offenen Brief unter dem Titel „Hört und zu!“ geschrieben.

www.buergerrat-bildung-lernen.de

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