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„Waren auf uns allein gestellt“: Gewalt an Schule eskaliert, Schulleiterin reagiert

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WAHLSTEDT. An einer Gemeinschaftsschule in Schleswig-Holstein wächst seit Monaten die Gewalt – dann kommt es zum Angriff auf Erwachsene auf dem Schulgelände. Die Schulleiterin fühlt sich von Behörden und Politik alleingelassen. In einem eindringlichen Appell fordert sie klare Handlungsstrukturen, mehr Personal und regelmäßige Krisengespräche. Ein Runder Tisch markiert nun einen möglichen Wendepunkt.

Jugendgewalt nimmt zu (Symbolfoto). Foto: Shutterstock

Es war nicht der erste Vorfall an der Poul-Due-Jensen-Schule – aber einer, der viel veränderte: Ende Juni wurden zwei Erwachsene auf dem Gelände der Gemeinschaftsschule von mehreren Schülern angegriffen. Eine körperliche Auseinandersetzung, ein Rettungswagen, Ermittlungen – und eine Schulleiterin, die die Eskalation kommen sah. „Wir hatten schon lange ein wachsendes Problem mit Gewalt“, sagt Annette Grosse gegenüber dem NDR. Jetzt will sie nicht mehr nur reagieren – sondern strukturell etwas verändern.

Bedrohungslage seit Monaten: “Lehrkräfte fühlen sich teilweise bedroht”

Annette Grosse ist seit Jahren Leiterin der Gemeinschaftsschule in Wahlstedt, Kreis Segeberg. Was sie in den letzten Monaten erlebt hat, belastet sie schwer. „Wir hatten Vandalismus, eingeschlagene Scheiben, Beleidigungen – und Kolleginnen und Kollegen, die sich bedroht fühlen.“ Der Vorfall mit der Softair-Waffe vor einigen Monaten war ein erstes Alarmzeichen. Damals fühlten sich Reinigungskräfte und andere Kinder bedroht, berichtet Grosse gegenüber dem Sender. Sie reagierte mit Hausverboten am Nachmittag für die betroffenen Schüler – doch mehr sei ihr nicht möglich gewesen.

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Die Erklärung des Schulamts: Da es sich um Vorfälle außerhalb des Unterrichts gehandelt habe, könnten keine schulischen Ordnungsmaßnahmen ergriffen werden. Auch der Schulträger, die Stadt Wahlstedt, konnte keine Lösung anbieten. „Es war einfach keinerlei Handhabe für solche Situationen vorhanden“, kritisiert die Schulleiterin. Sie habe sich zunehmend alleingelassen gefühlt.

Am 24. Juni kam es zur Eskalation (News4teachers berichtete). Ein 14-jähriger Schüler schubste nach einem Streit einen Sicherheitsmitarbeiter in ein Gebüsch. Als ein 33-jähriger Helfer eingreifen wollte, wurde auch er attackiert – offenbar von einem 13-jährigen Schüler, der ihn würgte. Ein drittes Kind, zwölf Jahre alt, war ebenfalls beteiligt. Die Polizei ermittelt wegen Körperverletzung, ein Strafverfahren gegen den strafmündigen 14-Jährigen wurde eingeleitet. Die beiden jüngeren Beteiligten sind strafunmündig – gegen sie wurde ein Hausverbot ausgesprochen.

Für Grosse ist klar: Dieser Vorfall war nur die Spitze des Eisbergs. „Die Angst und Sorgen vor einer weiteren Eskalation belasteten die gesamte Schulgemeinschaft. Lehrer, Schüler und Eltern wurden immer unsicherer.“

Maßnahmen des Ministeriums – „uns nicht bekannt“

Das schleswig-holsteinische Bildungsministerium verweist auf ein bereits beschlossenes Maßnahmenpaket gegen Jugendgewalt. Unter anderem seien Leitfäden zu Ordnungsmaßnahmen an alle Schulen verschickt worden, außerdem Hinweise zum Umgang mit extremistischem Verhalten sowie eine Broschüre zur Zusammenarbeit von Behörden. Zudem gebe es Fortbildungen am Institut für Qualitätsentwicklung (IQSH).

Doch Grosse sagt: „Diese Maßnahmen sind mir nicht bekannt – und auch im Austausch mit anderen Schulleitungen war das bisher kein Thema.“ Was sie stattdessen fordert, ist konkret: „Wir brauchen mehr Schulsozialarbeit, mehr Lehrerstunden – und wir brauchen multiprofessionelle Teams, die unterstützt und gefördert werden.“

Einen Anfang hat Grosse selbst gemacht. Gemeinsam mit dem Bürgermeister, der Schulaufsicht, Polizei, Jugendamt, Schulsozialarbeit und Streetworkern organisierte sie einen Runden Tisch. Knapp 40 Personen nahmen teil, um Lösungen zu finden. Mehr als drei Stunden wurde gesprochen – nicht nur über die akute Lage, sondern über Strukturen, Zuständigkeiten und notwendige Veränderungen.

„Wir als Schulleitung haben die aktuelle Situation geschildert, dann haben wir uns zu den unterschiedlichen Themen ausgetauscht“, sagt Grosse. Ihr Ziel: Solche Treffen sollen künftig vierteljährlich stattfinden. Damit könne ein kontinuierlicher Austausch ermöglicht und Maßnahmen immer wieder angepasst werden.

GEW: Gewalt kein Einzelfall – Lehrkräfte allein gelassen

Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) unterstützt den Kurs der Schulleiterin. Landesvorsitzende Franziska Hense spricht von einem strukturellen Problem: „Wir beobachten eine deutliche Zunahme von Gewalt an Schulen.“ Wachsende soziale Ungleichheit und gesellschaftliche Spaltung seien zentrale Faktoren. Die Politik tue zu wenig, das vorhandene Personal werde mit den Problemen alleingelassen.

Die GEW fordert daher zusätzliche Kräfte in Schulen, Kitas, der offenen Jugendarbeit, Jugendhilfe und Jugendgerichtsbarkeit. Nur mit besserer Verzahnung aller Beteiligten und gezielter Förderung benachteiligter Kinder und Jugendlicher lasse sich die Gewaltspirale brechen.

Für Annette Grosse ist klar: Die Ereignisse in Wahlstedt dürfen nicht folgenlos bleiben. „Die Erfahrungen, die wir jetzt hier gemacht haben, sollten wir nutzen und daraus lernen – um eine Eskalation, wie wir sie hier erlebt haben, an anderen Schulen zu verhindern.“ News4teachers / mit Material der dpa

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