Der Bürgerrat Bildung und Lernen begrüßt die jetzt veröffentlichten Empfehlungen einer von der Bertelsmann Stiftung initiierten Expert*innengruppe zur Weiterentwicklung der Lern- und Prüfungskultur – nicht nur, weil sie konkrete Impulse zur Bildungsreform geben. Sondern auch, weil sie zeigen: Zivilgesellschaft und Bildungsforschung ziehen an einem Strang.

„Es ist ermutigend zu sehen, dass viele Vorschläge des Bürgerrats von Expertinnen und Experten aus Bildungsverwaltung und Forschung geteilt werden“, sagt Dr. Karl-Heinz Imhäuser, Initiator des Bürgerrats und Vorstand der Montag Stiftung Denkwerkstatt. „Das zeigt: Die Stimme der Bürgerinnen und Bürger ist nicht nur legitim, sondern auch professionell anschlussfähig.“
Impulse aus Forschung und Verwaltung
Die von der Bertelsmann Stiftung ins Leben gerufene und vom DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation begleitete Expert*innengruppe hat über ein Jahr lang intensiv beraten. Geleitet wurde sie von Dr. Martina Diedrich (Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung Hamburg) und Prof. Dr. Kai Maaz (DIPF). Der elfköpfigen Gruppe gehörten Vertreterinnen aus Schulministerien, Landesinstituten und der Bildungsforschung an – darunter Schulpraktikerinnen, Fachleute für Diagnostik, Didaktik und Leistungsbewertung sowie Expertinnen für Governance und Bildungsmonitoring. Beteiligt waren unter anderem Personen aus vier Bundesländern, die durch ihre unterschiedlichen Perspektiven das breite Bild schulischer Praxis abbildeten.
Ziel war es, zentrale Herausforderungen im Bildungssystem zu identifizieren und praxistaugliche Empfehlungen zu erarbeiten, wie sich Lern- und Prüfungskultur so weiterentwickeln lässt, dass Schülerinnen und Schüler bestmöglich lernen und sich persönlich entfalten können. Herausgekommen ist ein Katalog von neun Empfehlungen, der sich erstaunlich gut mit den bereits im Januar veröffentlichten 19 Empfehlungen des Bürgerrats Bildung und Lernen deckt.
„Die große inhaltliche Nähe zwischen den Empfehlungen der Bildungsexpert*innen und den Ergebnissen des Bürgerrats zeigt: Zivilgesellschaft und Bildungsexpert*innen denken in dieselbe Richtung. Das geteilte Verständnis darüber, wie die Transformation hin zu einer zeitgemäßen Lern- und Prüfungskultur an Schulen gelingen kann und wo die zentralen Stellhebel liegen, ist ein starkes Signal“, stellt Dr. Chantal Lepper von der Bertelsmann Stiftung fest, die das Projekt verantwortet hat. „Jetzt kommt es darauf an, dass die Impulse nicht nur in den Köpfen ankommen, sondern dass ihre Umsetzung Schritt für Schritt ambitioniert angegangen wird.“
Sabine Milowan, Projektleiterin und Pressesprecherin des Bürgerrats ergänzt: „Uns eint das Ziel, Bildung kindgerecht, gerecht und zeitgemäß zu gestalten – vom Elementarbereich bis zur beruflichen Ausbildung. Wenn Wissenschaft, Praxis und Gesellschaft in dieselbe Richtung denken, kann sich wirklich etwas bewegen.“
Fünf zentrale Übereinstimmungen
- Individualisierung statt Gleichschritt
Beide Empfehlungspapiere fordern eine konsequente Ausrichtung schulischer Bildung auf individuelle Lernwege. Während die Expert*innengruppe fordert, dass alle Kinder sowohl grundlegende Kompetenzen sicher erwerben als auch ihr volles Potenzial entfalten können, schlägt der Bürgerrat unter anderem vor, Hausaufgaben durch Vertiefungsstunden zu ersetzen und Prüfungsformate frei wählbar zu machen. - Lernförderndes Feedback statt Zensuren
Die Expert*innengruppe plädiert für eine neue Form der Leistungsbewertung, die individuelle Entwicklung berücksichtigt und soziale Vergleiche reduziert. Der Bürgerrat empfiehlt, Noten erst ab Klasse 9 einzuführen – vorher soll es ausschließlich individuelles Feedback geben. - Multiprofessionelle Kooperation
Beide Gremien sehen in der Zusammenarbeit unterschiedlicher Professionen – von Lehrkräften über Sozialarbeiter*innen bis zu Psycholog*innen – eine zentrale Voraussetzung für ganzheitliche Förderung. - Frühkindliche Bildung stärken
Der Bürgerrat plädierte für zwei verbindliche Kita-Jahre vor der Einschulung sowie für mehr Mitbestimmung für Kinder im Kita-Alltag. Auch die Expert*innengruppe betont, wie wichtig ein durchgängiges Bildungsverständnis zwischen Kita und Grundschule ist. - Demokratiekompetenz und Partizipation fördern
Demokratiepädagogik ist beiden Empfehlungen ein Anliegen: Der Bürgerrat spricht sich für altersgerechte Mitbestimmung und Klassenräte aus, die Expert*innengruppe fordert gezielte Förderung demokratischer Kompetenzen als Teil schulischer Bildung.
Aufruf an die Politik: Impulse aufgreifen
Der Bürgerrat Bildung und Lernen versteht die Veröffentlichung der Empfehlungen der von der Bertelsmann Stiftung einberufenen Expert*innengruppe als wichtigen Beitrag zur öffentlichen Debatte über eine moderne Lern- und Prüfungskultur. Sowohl die Empfehlungen der von der Bertelsmann Stiftung initiierten Expert*innengruppe als auch die Vorschläge des Bürgerrats Bildung und Lernen regen zur öffentlichen Debatte über eine moderne Lern- und Prüfungskultur an. „Die Energie ist entfacht“, stellt die Bürgerrätin Katharina Roos fest, „und die Ergebnisse sind so gut, dass wir nicht zugucken werden, wenn sie bei denen, die das Sagen haben, in den Schubladen verschwinden.“
Druckfähige Fotos, Interviews mit Bürgerratsmitgliedern sowie die vollständigen Empfehlungen erhalten Sie auf Anfrage.
Hier lassen sich die „Empfehlungen für eine veränderte Lern- und Prüfungskultur“ herunterladen.
Hier lassen sich die aktuellen Empfehlungen des Bürgerrats Bildung und Lernen herunterladen.
Kontakt:
Sabine Milowan
Leiterin Montag Stiftung Denkwerkstatt
Pressesprecherin
Telefon: +49 (0) 228 26716-633
E-Mail: s.milowan@montag-stiftungen.de
www.buergerrat-bildung-lernen.de
Der Bürgerrat Bildung und Lernen
Der Bürgerrat Bildung und Lernen wurde von der gemeinnützigen und unabhängigen Montag Stiftung Denkwerkstatt ins Leben gerufen. Seit 2021 haben bereits 700 zufällig ausgeloste Menschen an den Sitzungen des Bürgerrats teilgenommen. Gemeinsam haben sie Empfehlungen für ein gerechteres und zukunftsfähigeres Bildungssystem entwickelt. Auch Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren arbeiten aktiv im Bürgerrat mit, indem sie ihre Perspektiven in die Beratungen des Bürgerrats einbringen.
Weitere Informationen zum Bürgerrat: www.buergerrat-bildung-lernen.de
Über die Montag Stiftung Denkwerkstatt
Die Montag Stiftung Denkwerkstatt ist eine unabhängige gemeinnützige Stiftung und gehört zu den Montag Stiftungen in Bonn. Im Sinne des Leitbilds der Stiftungsgruppe „Handeln und Gestalten in sozialer Verantwortung“ übernimmt sie die Aufgabe, gesellschaftlich relevante, zukunftsweisende Themen aufzuspüren, den konstruktiven Austausch mit Menschen aus unterschiedlichen Lebenswelten zu suchen und soziale Veränderungsprozesse anzustoßen. Die Montag Stiftung Denkwerkstatt konzipiert, moderiert und organisiert Veranstaltungen, Dialogforen und Werkstätten für unterschiedliche Teilnehmerkreise, für Expertinnen und Experten verschiedener Fachgebiete ebenso wie für die allgemeine Öffentlichkeit.
Dies ist eine Pressemeldung der Montag Stiftung Denkwerkstatt.
Hausaufgaben weg! Bürgerrat Bildung und Lernen übergibt Empfehlungen an die KMK
Die “Empfehlungen für eine veränderte Lern- und Prüfungskultur” sind schädlich.
Warum ist eigentlich an keiner Stelle eine Lehrkraft beteiligt? Die machen das ja bloß den ganzen Tag.
Wie schön…
Der einfache Bürger
und
die Experten
sind sich einig darüber,
wie Lehrer ihren Beruf ausüben sollten.
Das hätte sich ein PR -Berater gar nicht schöner ausdenken können.
PS: Vielleicht trotzdem pro forma auch mal mit nem Lehrer reden? Man könnte ja einen nehmen, der noch Ambitionen auf ne Stelle im Wasserkopf hat – dann sagt der auch „professionell Anschlussfähiges“. Nur als Anregung für die nächste Kampa…
Mit welcher Lehrkraft denn – mit einer aus der GEW oder einer aus dem Philologenverband? Führt zu sehr unterschiedlichen Perspektiven. Herzliche Grüße Die Redaktion
Man könnte z.B. mit Ludger Brüning und Tobias Saum sprechen. Die sind nun – da sie im NDS-Verlag publizieren – ja vermutlich unverdächtig dem Philologenverband anzugehören.
Ihre publizierte Literatur deckt ein interessantes und breites Spektrum ab und zeichnet sich in meinen Augen durch große inhaltliche Tiefe, gedankliche Durchdringung der Materie, sowie durch evidenzbasierte Empfehlungen und praktische Umsetzbarkeit aus.
Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere Möglichkeiten:
Die Expertise ist da – sie wird nur systematisch übergangen zugunsten von Experten, die seit Jahren nicht mehr im Klassenzimmer standen – wenn sie dort überhaupt jemals unterrichtet haben.
Man vergleiche z.B. mit Autoren wie Tom Bennett (Running the Room) und Doug Lemov (Teach like a Champion), die gerade aus der Schulpraxis heraus argumentieren.
Die “professionelle Anschlussfähigkeit”, die in der Pressmeldung der Montag Stiftung gelobt wird, besteht hauptsächlich darin, dass sich Theoretiker gegenseitig bestätigen – während die tatsächliche Unterrichtspraxis ignoriert wird.
Wird sie keineswegs. Auch Lehrkräfte und Erzieher*innen gehören dem Bürgerrat an. Darüber hinaus hat sich das Gremium fachlich beraten lassen – auch von Schulpraktiker*innen.
Die Kölner Schulleiterin Nicola Küppers berichtete zum Beispiel: “Das war ein unglaublich interessantes Setting, weil wir in einer gemischten Gruppe aus Bildungsexperten, Bürgern, die ja zufällig ausgewählt wurden, und Schülerinnen und Schülern aus ganz Deutschland diskutiert haben. (…) Und ich fand es auch hochspannend, dass sich die Empfindungen und die Eindrücke der Leute, egal woher sie kamen oder welche Expertise sie mitgebracht haben, sehr stark decken. Das heißt, es gab eine große Übereinstimmung in den Ideen, was Bildung eigentlich leisten und können muss.” Gerne hier nachlesen: https://www.news4teachers.de/2024/11/ich-wuerde-mir-noch-groessere-autonomie-wuenschen-zum-deutschen-schulleitungskongress-ein-interview-mit-einer-schulleiterin/
Herzliche Grüße
Die Redaktion
Es ist natürlich hochspannend, dass diese “Empfindungen und Eindrücke der Leute” sowohl neurowissenschaftliche als auch kognitionswissenschaftliche Studien und Erkenntnisse vollkommen ignorieren – ganz zu Schweigen von der Hattie-Studie.
Wen auch immer sie gefragt haben, die Ergebnisse sind nicht sehr sinnvoll. Es wäre in meinen Augen auch besser nicht zu fragen “was wir lernen und wie wir lernen wollen” (Bürgerrat Bildung), sondern “Was ist sinnvoll zu lernen?” und “Wie ist es am sinnvollsten zu lernen?”
Das “Was” ist Bestandteil gesamtgesellschaftlicher Diskussionen, und hier hat ein Bügerrat – der im weiteren keine weitere demokratische Legitimation als die (pseudo) zufällige Auswahl von Menschen hat – sicherlich auch eine Berechtigung als eine weitere Stimme von vielen. (Pseudo zufällig, da der Anteil von Menschen mit Hochschulabschluss deutlich größer ist als im Querschnitt der Bevölkerung)
Beim “Wie” hingegen sollten keine erziehungswissenschaftlichen Mythen und subjetiv empfundene Wahrheiten eine Rolle spielen, sondern empirisch nachgewiesenermaßen wirksame Methoden.
Die wahrgenommene Stagnation und Reformunfähigkeit des Bildungssystems sind ohne Zweifel seit langem drängende Fragen, auf die es bisher keine befriedigenden Antworten gibt. Es fehlt aber an einer von wissenschaftlichen Kriterien geleitete Suche nach einer reproduktionsfähigen Antwort, also an Strukturen und Methoden, die unter Berücksichtigung der beschränkten Ressourcen sich in der Breite zuverlässig umsetzen lassen.
Vielleicht mit je einer oder gar mehreren? Wäre das nicht viel besser als mit lauter Abgehobenen, die schlicht keine Ahnung von der Realität in der Praxis haben?
Im Bildungsbereich ist das konsequente Ignorieren von Praktikern und stattdessen das Hören auf Theoretiker und “von der Bertelsmann Stiftung einberufenen Expert*innengruppen”, die sich am Schreibtisch ausdenken, wie Lehrkräfte in Zukunft arbeiten sollten, eine wahre Pest und ein gezielter Schlag ins Gesicht für die Lehrkräfte, die Tag für Tag in den Klassenzimmern stehen und eine Wochenarbeitszeit haben, die weit über einer 41-Stunden-Woche der Beamten z. B. in BW liegt. In der Vorstellung oder gar Vision dieser “Experten” sind Kinder Lebewesen, die nur nach Lernangeboten lechzen… Aber die Realität zeigt, dass die Bereitschaft zum Lernen, das auch Anstrengung und Leistung erfordert, leider nicht so verbreitet ist. Zitat aus den Materialien: Kinder “sollten Schule und Unterricht als offenes, gestaltbares Angebotssetting erleben, in dem sie möglichst selbstorganisiert, selbstbestimmt und partizipativ ihren je eigenen Lernweg bestimmen. Darin sollten sie von Pädagog:innen als gleichwertiges Gegenüber anerkannt sein..” Einfache Frage: Ist es einem Kind/Jugendlichen mit seinen bisherigen Lebenserfahrungen, d. h. z. B. im Alter von 6-12 Jahren, wirklich möglich, sich die für das Leben oder für eine spätere berufliche Ausbildung notwendigen “Lernangebote” selbst zu bestimmen? Nur leere Worthülsen oder in Wahrheit unterlassene Hilfeleistung auf dem Weg ins Leben der Kinder?
Mit solchen Konzepten wird es zukünftig noch weniger Interesse für den Lehrberuf geben.
Den Begriff “professionell Anschlussfähiges” werde ich mir auch merken 😉 ,falls es mal besonders klug daherkommen soll.
Nebenbei dachte ich bisher immer, dass jemandes Profession das ist, was er so Zag für Tag ausübt. (Nennt man auch Beruf, und damit ist der Lehrer deutlich näher dran als ein Bildungs”experte”.)