STUTTGART. Der Klimawandel macht sich brutal bemerkbar: Immer häufiger werden deutsche Klassenzimmer im Sommer zu Hitzefallen. Schüler klagen über Kopfschmerzen und Kreislaufprobleme, Lehrer über sinkende Konzentration und Unterrichtsausfälle. Während Arbeitsschutzgesetze für Erwachsene klare Grenzen ziehen, bleiben Schulen und die Menschen darin oft ungeschützt. Der VBE fordert eine Sanierungsoffensive, um Schulgebäude hitzefest zu machen – der nächste Sommer kommt bestimmt.

Die Schülerinnen und Schüler des Droste-Hülshoff-Gymnasiums in Freiburg hatten genug. „Im Sommer herrschen in unseren Klassenzimmern regelmäßig Temperaturen über 30 °C und Luftfeuchtigkeit über 70 %“, schrieben sie – und starteten 2024 eine Petition mit dem Titel „Hitzeschutz jetzt – unsere Schule ist zu heiß!“. „Seit Jahren leiden wir unter unerträglicher Hitze in den Sommermonaten“, heißt es darin. „Kopfschmerzen, Übelkeit und Konzentrationsstörungen“ gehörten längst zum Alltag. Für die Abiturientinnen und Abiturienten sei das besonders dramatisch – „da sie sogar abiturrelevante Klausuren in besagter Hitze schreiben“.
Schon während einer Schulstunde kippt in vielen Klassenräumen die Luft: CO₂-Werte steigen, Müdigkeit nimmt zu, die Konzentration lässt nach. Die Folge: weniger Konzentration, mehr Belastung. Das muss nicht sein.
Der Leitfaden „Klassenräume SMART sanieren“ der Heinz Trox-Stiftung zeigt, wie Luft, Licht und Akustik gleichzeitig verbessert werden können mit wirksamen Maßnahmen wie Systemdecken, kompakten Lüftungsgeräten oder modernen LED-Leuchten. Die Praxisstudie belegt: Für rund 75 € pro Jahr und Schülerin/Schüler entstehen Lernräume, in denen Kinder, Jugendliche und Lehrkräfte spürbar entlastet werden. Frische Luft, klare Stimmen, helles Licht – so wird Unterricht wieder zum Aufatmen.
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Die Jugendlichen stellten eine durchaus berechtigte Frage: „Es gibt gute Gründe, warum solche Bedingungen für Erwachsene gemäß dem Arbeitsschutzgesetz nicht akzeptabel sind. Warum sollte dies also für uns als Schülerinnen und Schüler anders sein?“ Der Appell an den Schulträger, die Stadt Freiburg, ist deutlich: „Wir fordern dringend geeignete Hitzeschutzmaßnahmen!“ Immerhin: Über tausend Menschen haben die Petition unterschrieben. Der Protest ist Ausdruck eines Problems, das längst nicht nur Freiburg betrifft. Der Klimawandel bringt längere und intensivere Hitzewellen – und die Schulgebäude in Deutschland sind darauf kaum vorbereitet.
Hitzefrei war gestern – die Realität überhitzter Klassenräume
In vielen Städten klettern die Temperaturen in Klassenzimmern inzwischen regelmäßig über 30 Grad. In Köln etwa, so berichtete das Redaktionsnetzwerk Deutschland, wurden vor drei Jahren in einem Klassenraum sogar 46 Grad gemessen – der Unterricht musste abgebrochen werden. Die Stadt Köln hat deshalb reagiert und ein eigenes Informationsheft herausgegeben: „Gesundheitsrisiko durch Hitze und UV-Strahlung – Informationen für Schulen“.
Darin heißt es, Schulen müssten sich „auf zunehmende Hitzebelastung vorbereiten und Anpassungskonzepte erstellen“. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) warnt in zwei Stufen: ab 32 Grad gefühlter Temperatur vor „starker Wärmebelastung“, ab 38 Grad vor „extremer Wärmebelastung“. Schulen sollten die WarnWetter-App oder Newsletter des DWD abonnieren, um rechtzeitig reagieren zu können.
Das Kölner Gesundheitsamt empfiehlt, Lüftungskonzepte zu entwickeln, Innenraumtemperaturen regelmäßig zu messen und sogenannte „kühle Räume“ im Gebäude zu identifizieren. Auch sollen Rollläden, Außenjalousien, Markisen oder Begrünungen helfen, das Aufheizen der Gebäude zu mindern. Besonders wichtig: morgens und nachts lüften, tagsüber aber die Fenster geschlossen halten und verschatten – sonst komme nur noch mehr heiße Luft herein.
Zudem rät die Stadt, Trinkwasserspender zu installieren, hitzeangepasste Speisepläne umzusetzen und den Sportunterricht auf kühlere Zeiten oder Orte zu verlegen. Doch selbst in Köln, wo man inzwischen eine eigene städtische Koordinationsstelle für Hitzeschutz hat, bleibt die Realität vieler Schulen ernüchternd: baulich veraltete Gebäude, keine Lüftungssysteme, kaum Außenbeschattung – und viel zu wenig Geld.
DGUV: „Aufmerksamkeit sinkt, Unfallrisiko steigt“
Auch die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) warnt vor gravierenden gesundheitlichen und sicherheitsrelevanten Folgen von Hitze in Schulen. Hohe Raumtemperaturen führten zu einer „stärkeren Belastung des Herz-Kreislauf-Systems“ und damit zu „verringerter physischer Belastbarkeit“. Besonders gefährlich sei das beim Schulsport oder auf Ausflügen.
Die DGUV schreibt weiter: „Erhöhte Luft- und Raumtemperaturen in der Schule können dazu führen, dass die Aufmerksamkeit der Schülerinnen und Schüler verringert ist. Dies kann sich dadurch äußern, dass sie schlechter dem Unterricht folgen können. Außerdem kann eine verringerte Aufmerksamkeit das Unfallrisiko bei praktischen Unterrichtseinheiten erhöhen.“ Denkbar sei auch „verstärktes aggressives Verhalten, wenn schulische Anforderungen aufgrund von Konzentrationsschwierigkeiten schlechter erfüllt werden können.“
Als technische Schutzmaßnahmen nennt die DGUV vor allem bauliche Lösungen: Schulgebäude sollten so gestaltet sein, „dass eine starke Aufheizung im Sommer möglichst vermieden wird“. Dazu gehören außenliegender Sonnenschutz, geeignete Baumaterialien, individuell regelbare Temperaturen und eine „gute Luftqualität“. Auch Wasserspender und eine ausreichende Anzahl von Handwaschbecken seien Teil eines funktionalen Hitzeschutzkonzepts. Die Botschaft ist eindeutig: Lüften, Beschatten, Bauen – und zwar nachhaltig.
„Ein Klassenzimmer wie ein Backofen“ – der VBE fordert verbindliche Standards
Oliver Hintzen, stellvertretender Landesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung Baden-Württemberg (VBE), beobachtet die Situation mit Sorge. „Extreme Hitzewellen haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen und stellen Schulen in Baden-Württemberg vor immer größere Herausforderungen“, sagt er. „In den Sommermonaten gleichen viele Klassenzimmer regelrechten Backöfen.“
Temperaturen jenseits der 30-Grad-Marke seien keine Seltenheit – „insbesondere in schlecht gedämmten Altbauten oder Containerschulen“. Lehrkräfte berichteten ihm von Schwindel, Kopfschmerzen und Erschöpfung – und von Schülern, die sich kaum noch konzentrieren könnten. „Unterrichtsausfälle und frühzeitige Unterrichtsenden im Sommer sind keine Ausnahme mehr“, so Hintzen.
Trotzdem fehle es vielerorts an verbindlichen Maßnahmen. „Während in Büros die Raumtemperatur dauerhaft 26 Grad nicht überschreiten soll, gibt es für Schulen keine verpflichtenden Vorgaben“, kritisiert der VBE-Vize. Zwar empfehle das Kultusministerium in Stuttgart, „ab 27 Grad flexibilisierte Unterrichtsformen wie Hitzefrei in Betracht zu ziehen“, doch das bleibe eine freiwillige Option – ohne rechtliche Grundlage.
Hinzu komme ein gravierender Unterschied in der baulichen Praxis: „Bürogebäude werden heute selbstverständlich mit Sonnenschutzsystemen, automatischer Lüftung und Wärmeschutzverglasung ausgestattet“, sagt Hintzen. „In Schulen hingegen sind solche Standards die Ausnahme. Es fehlt an Dämmung, modernen Fenstern und mechanischer Lüftung. Oft bleibt nur Stoßlüften – das bringt an heißen Tagen jedoch wenig, im Gegenteil: Es lässt noch mehr warme Luft herein.“
Der VBE fordert deshalb verbindliche Vorgaben zur maximalen Raumtemperatur sowie Förderprogramme für energetische Sanierung und technische Nachrüstung. Außerdem brauche es flächendeckend Sonnenschutzsysteme und moderne Lüftungsanlagen, idealerweise gekoppelt an Photovoltaik oder Kühldecken. Auch Notfallpläne für Hitzetage sollten laut Hintzen in jeder Schule Pflicht werden. Und: „Die Unterrichtsorganisation muss an klimatische Gegebenheiten angepasst werden – etwa durch flexiblere Tageszeiten oder projektorientiertes Arbeiten in kühleren Räumen.“
Wenn Kommunen handeln – und wenn nicht
Hintzen verweist auf Kommunen, die bereits handeln: „Einige Städte setzen auf Passivhaus-Standards, automatische Belüftung oder Begrünung von Schulhöfen.“ Solche Maßnahmen wirkten nachweislich – sie senkten die Temperatur im Gebäude, verbesserten die Luftqualität und damit das Lernklima. Doch der Ausbau gehe zu langsam. „Viele Schulen wurden nach alten Richtlinien gebaut oder saniert – der Hitzeschutz blieb dabei außen vor.“
Auch deshalb fordert der VBE: „Wir müssen Schulen endlich wie Arbeitsplätze behandeln. Kinder und Lehrkräfte haben ein Recht auf gesunde Lern- und Arbeitsbedingungen.“ Der Verband sitzt seit Kurzem im Beratergremium Bildung der DGUV, um dort genau das einzubringen: praxistaugliche, verbindliche Regelungen.
Zurück nach Freiburg – und die Frage nach der Verantwortung
Zurück zum Droste-Hülshoff-Gymnasium. Die Schülerinnen und Schüler äußern in ihrer Petition einen Wunsch, der eigentlich selbstverständlich sein sollte: „Wir wollen eine Schule, in der wir ganzjährig lernen können.“ Dabei war ihr Gebäude erst zwischen 2003 und 2009 generalsaniert worden (was durchaus noch als moderner Standard gelten darf). Allerdings: Lüftung und/oder Sonnenschutz – gab es nicht. News4teachers
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