Realschullehrer kritisieren “vorherrschende Haltung, den Schülern immer weniger abzuverlangen”

24

STUTTGART. Der Realschullehrerverband Baden-Württemberg (RLV) reagiert mit scharfer Kritik auf die neuen IQB-Ergebnisse: Die jüngste Erhebung zeige erneut einen deutlichen Leistungsabfall der Neuntklässler in Mathematik und Naturwissenschaften – auch im Südwesten. „Die Schwäche der Schüler in Mathe und Naturwissenschaften im Land ist auch Resultat einer bildungspolitischen Schwäche“, heißt es in einer Stellungnahme des Verbands.

Zu viel Kuschelpädagogik? (Symbolfoto.) Foto: Shutterstock

Laut IQB-Bildungstrend 2024 verfehlt bundesweit mehr als ein Viertel der Neuntklässler die Mindeststandards für den mittleren Schulabschluss. Die Leistungen seien quer durch alle Schularten und Bundesländer gesunken, besonders betroffen seien jedoch die Schüler an nicht-gymnasialen Schulformen. „Mit der Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung und der damit verbundenen Vereinheitlichung der einstmals vielfältigen und profilierten Schularten geht es auch mit der Leistung im Land steil bergab“, so der Verband weiter.

RLV-Landesvorsitzende Karin Broszat warnt vor einem strukturellen Problem: „Nur vielfältige und sinnvoll nach Leistung ineinandergreifende Schulsysteme können großen Erschütterungen standhalten. Wer in krisengeschüttelten Zeiten auf Vereinheitlichung setzt und unbelehrbar eine Einheitsschule schafft, macht sich an den so unterschiedlichen Kindern im Land schuldig.“ Gerade bei der Integration von Kindern mit Migrationsgeschichte spiele die Differenzierung nach Leistung eine enorme Rolle, so Broszat.

„Schule ohne Leistungsorientierung kommt einer Betreuungsanstalt gleich“

Die Vorsitzende kritisiert zudem die „vorherrschende Haltung, den Schülerinnen und Schülern immer weniger abzuverlangen“. Das schade „den Kindern, der Wirtschaft, der Gesellschaft und unserer Demokratie“. Lernen müsse wieder mit Anstrengung, Übung und Konzentration verbunden werden: „Schule ohne Leistungsorientierung kommt einer Betreuungsanstalt gleich. Das kann sich ein Land wie Deutschland, das auf seine klugen Köpfe angewiesen ist, nicht leisten.“

Der Verband fordert einen klaren bildungspolitischen Kurswechsel. „Ran an die Wurzeln der Probleme, die längst bekannt sind“, heißt es in der Mitteilung. Dazu nennt der RLV vier zentrale Punkte: Verbindlichkeit statt Beliebigkeit bei der Schulwahl, Stärkung und Profilierung statt Vereinheitlichung der Schularten, passende Didaktik und Methodik an allen Schulformen sowie ein klares Bekenntnis zur Leistungsorientierung auf jedem Niveau. Das seien, so der Verband, „kostenneutrale und pragmatische Gebote der Stunde“. News4teachers 

„Das ist kein Unfall, sondern ein Fehler im System!” – Nächste Klatsche für die Bildung: die IQB-Studie (Reaktionen von Lehrern)

Anzeige

Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

24 Kommentare
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
Rüdiger Vehrenkamp
1 Monat zuvor

Dieses Statement möchte ich gerne zu 100% unterschreiben. Gerade die Realschule wurde in den letzten Jahren unnötigerweise abgehandelt und in ihrem Profil verwässert. Schade.

konfutse
1 Monat zuvor

Wir haben einfach zu leise, aber zu gut an den RS gearbeitet. Und unsere Lobby ist sehr klein….

Einer
1 Monat zuvor

Und wir Lehrer am Berufskolleg merken es genauso. In NRW kommen die Schüler kommen aus den Gesamtschulen und können nichts mehr. Sie haben alle die mittlere Reife, aber nicht mehr das damit früher einhergehende Fachwissen und Können. Das ist die Folge von zu viel Verständnis und nicht mehr Fordern dürfen.

Unfassbar
1 Monat zuvor

Die Realschule wurde als Schulform ja abgeschafft. Die guten Realien sind heute die schwachen Gymnasiasten. Die Klassen wurden dann mit Klientel der (deshalb) geschlossenen Hauptschulen aufgefüllt.

Lehrer Heinz
1 Monat zuvor

Die Vorschläge gehen in die richtige Richtung, also werden sie definitiv nicht umgesetzt.

Irgendjemand aus der Regierung wird erklären, dass die Schüler bereits heute extrem viel leisten, was in den IQB-Ergebnissen aber nicht abgebildet wird. Zukünftig müsse man den bisher eingeschlagenen Weg noch entschlossener gehen, damit sich die Erfolge zeitnah einstellen können.

Götz
1 Monat zuvor

“Anstrengung, Übung, Konzentration” – nichts ist dem Zeitgeist fremder. Und die Schule mit ihren – je nach Auslastung – überforderten und desillusionierten Kräften soll das richten? Ich kann das nur noch humoristisch auffassen.

Mondmatt
1 Monat zuvor
Antwortet  Götz

Das begann hier schon vor 20 Jahren.

Auf meine Verwunderung darüber wie schnell Spätaussiedler aus Russland die sprachlichen und fachlichen Lücken schlossen sagte ein älterer Kollege breit grinsend zu mir “Das liegt daran, dass man in Russland an den Schulen noch so unpädagogische Methoden und Ideen wie Üben, Lernen oder Fleiß anwendet.”

Siehe da, er hatte recht.

Roland
1 Monat zuvor

„Nur vielfältige und sinnvoll nach Leistung ineinandergreifende Schulsysteme können großen Erschütterungen standhalten. Wer in krisengeschüttelten Zeiten auf Vereinheitlichung setzt und unbelehrbar eine Einheitsschule schafft, macht sich an den so unterschiedlichen Kindern im Land schuldig.“

So?

Kennt der RLV etwa gar nicht die seit Jahrzehnten klaren Erkenntnisse, dass die Aufteilung der Zehnjährigen auf drei Schularten gar nicht gelingt, sondern es große Überschneidungen in den Leistungsbereichen gibt?

Und haben die noch nie was davon gehört, dass diese Aufteilung oft entlang von Herkunftsgrenzen verläuft, und nicht immer an Leistung orientiert ist?

Vermutlich wissen sie auch nicht, dass seit 2019 insgesamt 9 Gemeinschafts-/Gesamtschulen mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet wurden?

Haben die nicht schon mal in den Süden ihres Ländles nach Wutöschingen geschaut und deren Leistungen mit dem Gesamtschnitt in BW verglichen?

Könnte sein, dass “unbelehrbar” auf den RLV zurückfällt.

Und mit dem Verdikt, sich “an Kindern im Land schuldig” zu machen, sollten der Verband vorsichtiger umgehen.

ed840
1 Monat zuvor
Antwortet  Roland

Könnte man machen, aber wäre es nicht wesentlich informativer den Schnitt aller Schüler auf RS-Niveau an Gemeinschaftsschulen mit dem Schnitt aller Realschulen zu vergleichen und/oder die Schnitte besonders guter Schulen aus den beiden Schularten gegenüberzustellen?

konfutse
1 Monat zuvor
Antwortet  Roland

Die Erfahrung und jahrelange Praxis (auch im Vergleich mit anderen Schularten) lässt den RLV diese Äußerungen kundtun. Wutöschingen ist ein Vergleich von Äpfeln mit Birnen. Gehen Sie doch mal nach Mannheim oder in eine andere abgeschmiert Stadt. Da können Sie Witöschingen installieren wie Sie wollen….Es wird scheitern!

Rainer Zufall
1 Monat zuvor

“Die Vorsitzende kritisiert zudem die „vorherrschende Haltung, den Schülerinnen und Schülern immer weniger abzuverlangen“. ”

Bin da nicht vom Fach. Wo konkret wird den Schüler*innen weniger abverlangt? Ich hatte bisher angenommen, dass Lehrkräftemangel und geringere Voraussetzungen der Kinder Hauptursache wären :/

Katrin
1 Monat zuvor
Antwortet  Rainer Zufall

In RLP hat unser Sven angewiesen, dass keine unangekündigten HÜ, Tests, Abfragen, Benoten von Hausaufgaben etc. mehr gibt.

Rainer Zufall
1 Monat zuvor
Antwortet  Katrin

Und die wissenschaftliche Evidenz sagt was dazu?

Katrin Löwig- Pension lacht
1 Monat zuvor
Antwortet  Rainer Zufall

Warum fragen Sie mich das? Wenn Sie das wissen wollen, bilden Sie sich selbst fort oder erforschen die vermeintliche Lücke aus.

Küstenfuchs
1 Monat zuvor
Antwortet  Katrin

Ich glaube nicht, dass das gemeint ist. Wer heute noch Hausaufgaben benotet, ist als Lehrer ein Hinterwäldler, weil wirklich alles von der KI erledigt werden kann. Auch unangekündigte Test oder HÜ sind nur zum Faktenlernen sinnvoll, was ich heute außer bei Vokabeln kaum noch als notwendig ansehe.

Was wohl mit dem “weniger abverlangen” gemeint ist, dass man sich in vielen Fächern “rauslabern” kann. Beispielweise werden im Fach Deutsch deutlich weniger mangelhafte Noten im Zeugnis gegeben als in Mathe. Von den ganzen gesellschaftswissenschaftlichen Fächern will ich gar nicht reden. Das ist eine Frage des Anspruchs. Nur weil Heinz sich jeden Monat einmal meldet und irgendeine Banalität reproduziert, ist das gleich ausreichend? Leider viel zu oft.

Katrin Löwig- Pension lacht
1 Monat zuvor
Antwortet  Küstenfuchs

Wenn sie es denn täten- Fakten zu lernen, die Aufgaben mithilfe von KI erledigen. (Übrigens ist es auch eine Frage, welche konkrete Aufgabe gestellt wurde.) Warum verbessern sie ihre korrigierten Aufsätze nicht mit KI- klappt ausgezeichnet. Nein, unsere Schüler:innen bereiten nicht mehr vor oder nach, machen keine Aufgaben mehr- Noten müssen ja angekündigt werden. Und in der Klassenarbeit? Drittelgrenze immer reißen? Will man das? Hat man so viel Zeit, neu zu schreiben und zu korrigieren?
Was sinkt also: der Anspruch.

konfutse
1 Monat zuvor
Antwortet  Rainer Zufall

Wer seit 15-30 Jahren dabei ist, weiß, dass das Niveau unter die unterste Schublade bzw unter die Kommode mit Schublafen gesunken ist. Das neue Schulgesetz wird das unglaublich gesunkene Niveau noch zementieren. Es gilt neuerdings: Gymnasien und Restschulen. Ich bin vom Fach, bald 30 Jahre dabei und weiß, wovon ich rede.

Rainer Zufall
1 Monat zuvor
Antwortet  konfutse

Möchten Sie dies dann konkretisieren, ich bin nicht aus diesen Schulen und habe da keine wissenschaftlichen Referenzwerte

Kalle
1 Monat zuvor
Antwortet  Rainer Zufall

Um zu konkretisieren müsste man fast schon ein Buch schreiben. Und eigentlich wollen Sie es doch gar nicht wissen. Das ist jedenfalls mein Eindruck.
Sie sind dauernd hier bei n4t und kommentieren am laufenden Band. Dennoch wollen Sie aus den vielen anderen Kommentaren noch immer nicht mitgekriegt haben, was Lehrer bemängeln und wo sie gewaltige Defizite bei den Schulen sehen?

Rüdiger Vehrenkamp
1 Monat zuvor
Antwortet  Kalle

Danke!
Ich sehe das als Elternteil (gemeinsam mit vielen anderen Elternteilen) ebenfalls so. Wir möchten wieder leistungsstärkere Schulen, die den Kindern etwas abverlangen und wo es neben dem Fördern wieder echte Konsequenzen gibt. Immer wieder lesen wir, wie herausfordernd die Zukunft werden wird. Wie soll eine Gesellschaft, die nie gelernt hat mit Druck umzugehen, dort handelsfähig bleiben?

Unfassbar
1 Monat zuvor
Antwortet  Rainer Zufall

Sie kritisieren oft Kommentare über fehlende Fertigkeiten der Schüler, falsche Schulformwahl seitens der Eltern. Gute Fühlis gibt es auch mit guten Noten usw. Für alles andere zitiere ich die Drohne: Geliefert wie bestellt.

blau
1 Monat zuvor

Was soll ich sagen? Ich unterrichte an einer Gesamtschule in NRW. Wir haben eine Übersicht bekommen. In Fächern, die im Klassenverband unterrichtet werden, soll eine 1- einer 3 am Gymnasium entsprechen. Und das ist dann auch der Anspruch. Obwohl wir also Kinder mit Gymnasialempfehlung haben, unterrichten wir sie in den E-Kursen auf gutem Realschulniveau und in den Nebenfächern weit unter Gymnasialniveau. Sie können dort nur das Mindeste lernen, nicht aber das, was möglich wäre. So sind bei uns die Hauptschüler oft überfordert und die Gymnasiasten unterfordert. Der Übergang zur Oberstufe ist für Letztere dann ziemlich hart, weil plötzlich alle Fächer auf Gymnasialniveau unterrichtet werden.

Torben
1 Monat zuvor
Antwortet  blau

Ist an Realschulen in NRW nicht viel besser. Jeder wird (egal welche Empfehlung) aufgenommen und kann dann mindestens 3 Jahre die Schule besuchen, sein eigenes Selbstwertgefühl auf das unterste minimieren und die Lernwilligen 5. und 6. Klässler vom Lernen abhalten.
Schaffen dann in einer Klasse mal über 10 Schüler die 6. Klasse nicht, wird man schief angeschaut.

Mangelnde Fähigkeiten in den Abschlussprüfungen können die Kollegen einfach durch entsprechende Vornoten ausgleichen. In Vornoten jedem Kind nur eine 1-4 geben und dann, wenn 2/3 der Klasse in der Abschlussprüfung eine 5 schreiben, jedem noch eine 4 oder 3 geben und etliche Nachprüfungen durchführen.
Alles schon gehabt, solange die Noten zum besseren manipuliert werden können, beschwert sich niemand und greift auch niemand ein, andersherum wäre dies garnicht möglich.

Unfassbar
1 Monat zuvor
Antwortet  blau

Nicht ohne Grund sind 1er-Abiture an den Gesamtschulen eher selten und der Notendurchschnitt deutlich geringer als an den Gymnasien.