„Worte haben Wirkung“ – Schulleitungsverband kritisiert Kanzler Merz für seine Aussagen zum „Stadtbild“

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BERLIN/OLDENBURG. Eine Äußerung von Bundeskanzler Friedrich Merz über Migration im Stadtbild sorgt weiter für Empörung – auch in Schulen. Der Vorsitzende des Allgemeinen Schulleitungsverbands Deutschlands (ASD), Sven Winkler, warnt vor den Folgen einer solchen Rhetorik: Wer Probleme pauschal bestimmten Bevölkerungsgruppen zuschreibt, riskiert gesellschaftliche Spaltung.

“Ich habe gar nichts zurückzunehmen”: Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU). Foto: Shutterstock / EUS-Nachrichten

Auslöser der Debatte war ein Satz, den Merz in der vergangenen Woche bei einem Termin in Potsdam sagte. Auf die Frage eines Reporters nach dem Erstarken der AfD erklärte der CDU-Chef, man korrigiere nun frühere Versäumnisse in der Migrationspolitik und mache Fortschritte. „Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem“, so Merz. Deshalb sei der Bundesinnenminister dabei, „in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen“.

Diese Aussage löste scharfe Kritik aus. Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge fragte im Bundestag: „Wie sieht man denn das ‘Problem’ außer an der Hautfarbe der Menschen?“ Die Aussage sei „verletzend, diskriminierend und unanständig“. Auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Natalie Pawlik (SPD), warnte: „Migration darf nicht durch verkürzte oder populistische Schnellschüsse stigmatisiert werden – das spaltet die Gesellschaft noch mehr.“

Unterstützung erhielt der Kanzler dagegen von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), der Merz im Spiegel verteidigte: Es gehe „nicht um Zuwanderung an sich, sondern um die Einhaltung gemeinsamer Werte“.

Sven Winkler: „Schulen sind ein Spiegel unserer Gesellschaft“

Der Vorsitzende des ASD, Sven Winkler, sieht in der Wortwahl des Kanzlers dagegen weit mehr als eine parteipolitische Zuspitzung. In einer Stellungnahme erklärt er: „Die jüngsten Äußerungen des Bundeskanzlers, in denen die Sichtbarkeit von Migration im ‘Stadtbild’ mit einem gesellschaftlichen Problem in Verbindung gebracht wurde, haben bundesweit eine Debatte ausgelöst. Als Vorsitzender des Allgemeinen Schulleitungsverbands Deutschlands sehe ich darin weit mehr als eine parteipolitische Auseinandersetzung – es geht um die Frage, wie wir als Gesellschaft über Vielfalt sprechen und welche Signale wir damit senden.“

Winkler betont: „Schulen sind ein Spiegel unserer Gesellschaft. In unseren Schulen lernen täglich Kinder und Jugendliche unterschiedlichster Herkunft miteinander. Vielfalt gehört für uns zum Alltag – sie ist Chance, Herausforderung und Realität zugleich. Wenn der öffentliche Diskurs Vielfalt indirekt problematisiert, spüren wir die Auswirkungen unmittelbar im Schulklima: Schüler*innen mit Migrationsgeschichte fühlen sich verunsichert oder ausgegrenzt. Andere fühlen sich in Vorurteilen bestätigt.“

Darum sei Demokratiebildung kein Randthema, sondern „Kernauftrag“. Sprache präge Wahrnehmung, so Winkler: „Wer Probleme pauschal bestimmten Bevölkerungsgruppen zuschreibt, riskiert gesellschaftliche Spaltung. Demokratiebildung bedeutet, genau hier gegenzusteuern: mit Dialog, Reflexion, Ambiguitätstoleranz und der klaren Unterscheidung zwischen Meinung und Menschenwürde.“

Der ASD-Vorsitzende fordert von der Politik „Verantwortung in der politischen Sprache“, eine „Stärkung der Demokratiebildung“, „rechtliche Klarheit im Umgang mit kontroversen gesellschaftlichen Debatten“ und mehr „gesellschaftliches Vertrauen in Schulen“. „Schulen müssen Orte sein, an denen alle Kinder und Jugendlichen – unabhängig von der Herkunft – lernen, dass sie Teil dieser Gesellschaft sind und sie mitgestalten dürfen. Das ist gelebte Demokratie“, so Winkler.

Merz legt nach: „Ich habe gar nichts zurückzunehmen“

Statt einzulenken, verschärfte Kanzler Merz seine Position. Nach einer CDU-Präsidiumsklausur in Berlin erklärte er: „Ich habe gar nichts zurückzunehmen. Im Gegenteil, ich unterstreiche es noch einmal: Wir müssen daran etwas ändern.“

Merz sagte weiter, wer Töchter habe, werde „auf die Frage, was er mit seinen Äußerungen gemeint habe, vermutlich eine ziemlich klare und deutliche Antwort bekommen“. Angesprochen auf eine Demonstration unter dem Motto „Brandmauer hoch! Wir sind das Stadtbild“, bei der Hunderte Menschen gegen Rassismus protestiert hatten, erklärte Merz, er habe davon wegen der Beratungen nichts mitbekommen. Dann fügte er hinzu: „Wer es aus dem Lebensalltag sieht, weiß, dass ich mit dieser Bemerkung Recht habe. Ich habe sie übrigens nicht das erste Mal gemacht und ich habe sie auch nicht als einziger gemacht.“

Über die Demonstrierenden sagte Merz: „Wer dagegen demonstrieren will, der soll es tun. Der setzt sich dann allerdings auch der Frage aus, ob er ein Interesse daran hat, ein Problem zu lösen – oder ob er eher ein Interesse daran hat, möglicherweise den Keil in unsere Gesellschaft zu treiben.“

Zwischen Schulrealität und politischem Diskurs

Widerspruch zu den Aussagen kommt unterdessen auch aus Merz’ eigener Partei. „Berlin ist eine vielfältige, internationale und weltoffene Stadt. Das wird sich immer auch im Stadtbild abbilden“, sagte Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) dem Tagesspiegel. Es gebe ein Problem „mit Gewalt, Müll und Kriminalität in der Stadt. Aber das kann man nicht an der Nationalität festmachen“.

Der Chef des CDU-Sozialflügels, Dennis Radtke, wandte ein: „Natürlich haben wir an vielen Stellen ein verstörendes Stadtbild, aber zu suggerieren, dies würde sich durch Abschiebungen ändern, ist zu kurz gesprungen, erweckt unerfüllbare Erwartungen und wird der Komplexität des Problems nicht gerecht. “Radtke räumte gegenüber der Funke Mediengruppe zwar ein, dass es Herausforderungen gebe. Aber: „Probleme wie Drogensucht, Obdachlosigkeit oder Mackertum bei Jugendlichen lassen sich nicht abschieben, sondern müssen angepackt werden“, sagte Radtke, der Vorsitzender der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft Deutschlands (CDA) ist.

Für Sven Winkler und den ASD stehen unterdessen fest: Schulen leisten täglich Integrations-, Präventions- und Demokratiearbeit – und sie brauchen dafür Anerkennung und Rückhalt, keine Querschüsse aus dem Bundeskanzleramt. In seiner Erklärung ruft Winkler die Politik auf, sich dieser Verantwortung bewusst zu werden: „Eine Gesellschaft, die Vielfalt als Stärke begreift, braucht Schulen, die genau das vorleben – und eine politische Sprache, die sie darin bestärkt.“ News4teachers / mit Material der dpa

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3 Kommentare
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dickebank
2 Stunden zuvor

Der kennt doch originär nur Dorfbild.
Ansonsten scheint die Sicht aus der Bundeswaschmaschine oder den Fraktionsräumen der CDU/CSU stark beschränkt.

Hans Malz
1 Stunde zuvor

Recht hat er. Problem erkannt und benannt. Jetzt bitte den Schaum vor dem Mund abwischen und über Lösungsvorschläge reden. Das versäumen leider gerade alle Seiten.

Jeder wirft dem anderen Spaltung vor und hat dabei wahrscheinlich ein Stück weit recht. Das langweilt aber auf Dauer.

LehrerBW
1 Stunde zuvor

Wo Merz richtig liegt, da liegt er richtig