Digitaler Wandel fordert Schulen heraus: Was eine wirksame Change-Strategie ausmacht

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DARMSTADT. Der digitale Wandel stellt Schulen in Deutschland vor enorme strukturelle Herausforderungen – von KI über Lernplattformen bis hin zu BYOD-Konzepten. Wie Schulleitungen und Kollegien diese Entwicklungen nicht nur bewältigen, sondern aktiv gestalten können, erläutert Dr. Ralf Tenberg, Professor für Technikdidaktik an der TU Darmstadt, in einer dreiteiligen Reihe auf News4teachers. Aus wissenschaftlicher Perspektive und mit Blick auf erfolgreiche Praxisbeispiele zeigt er, wie Change Management digitale Schulentwicklung wirksam unterstützt.

Veränderungsprojekt. (Symbolbild.) Illustration: Shutterstock

Changemanagement-gestützte Schulentwicklung: Einstieg und Status Quo einer berufsbildenden Schule

Seit acht Jahren vollzieht die Louise-Otto-Peters-Schule (LOPS) in Waldorf-Wiesloch eine changemanagement-gestützte Schulentwicklung. Es handelt sich hier um eine große Berufsschule, verteilt auf zwei Standorte. Etwa 1100 Schülerinnen und Schüler werden hier von ca. 100 Lehrpersonen unterrichtet. Die Schule wird von einem Schulleiter (OStD Oliver Wetzel), seinem Stellvertreter (StD Markus Dietz) und einem 8-köpfigen Führungsteam geleitet.

Angesiedelt im Bundesland Baden-Württemberg unterliegt die Schule einem dezidierten Entwicklungsanspruch. Zentral ist hier das OES-Konzept (operativ eigenständige Schulen, Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, 2023), in welchem berufliche Schulen als lernende Organisationen charakterisiert werden. Hier wird u. a. von allen Schulen eine systematische Erhebung und Nutzung von Leistungs- und Prozessdaten gefordert. In diesem Zusammenhang werden regelmäßig Zielvereinbarungen getroffen und die diesbezüglichen Entwicklungen evaluiert. Zudem ist die LOPS AZAV-zertifiziert (Akkreditierungs- und Zulassungsverordnung Arbeitsförderung, Bundesagentur für Arbeit, 2012). Damit wird die Schule nicht nur für die Lernenden attraktiver (Einlösen von Bildungsgutscheinen möglich), insbesondere wird sie in der Finanzierung Ihrer Schulentwicklung unabhängiger.

Vor etwa 10 Jahren griff die Schulleitung der LOPS auf ein Angebot der Landesakademie Esslingen zu. Es handelte sich dabei um eine spezielle Schulleitungsfortbildung im Segment beruflicher Schulen zum Thema „schulisches Change-Management“. Die Fortbildung erfolgte in mehreren 2-tägigen Blöcken über ein gesamtes Schuljahr. In ihr wurde zum einen Basiswissen über Change-Management vermittelt, zum anderen auch eine Reihe von Kompetenzen für eine erfolgreiche Implementierung dieses wirtschaftlich fundierten Ansatzes in Schule. Nicht alle beteiligten Schulleitungsteams beendeten diese aufwändige Fortbildung erfolgreich, in der ein eigenständiges Veränderungsprojekt entwickelt werden musste, das Team der LOPS jedoch in hohem Maße. Sie übernahmen ihr erstes, experimentell konzipiertes Change-Konzept unmittelbar mit und setzten es an ihrer Schule um. Thema war hier die Einführung von Vergleichsarbeiten, die sich im Vorfeld der Fortbildung in verschieden Fachgruppen der Schule schwierige gestaltet hatte. Durch Umsetzung des Change Managements gelang es, dieses und weitere folgende Entwicklungsprojekte zu realisieren.

Change Management wurde in der Wirtschaft entwickelt und implementiert, um kulturell geprägte Entwicklungen in Organisationen möglichst konfliktarm zu gestalten. Das Konzept geht auf den deutschen Sozialpsychologen Kurt Lewin (1947) zurück, und hat seine Wurzeln in den 1970er-Jahren, in denen die Idee der Lernenden Organisation um sich griff und dazu führte, dass Psychologie, Soziologie und Betriebswirtschaft in einem neuen Management-Ansatz fusionierten. Der Begriff „Change Management“ tauchte erstmals systematisch in der Managementliteratur auf (z. B. Tom Peters & Robert Waterman: In Search of Excellence, 1982). In dieser Zeit ergaben sich massive Unternehmensveränderungen: Globalisierung, Digitalisierung, Reengineering. Autoren wie John P. Kotter (Harvard) prägen das Thema – z. B. mit seinem 8-Stufen-Modell (1996). Inzwischen ist Change-Kompetenz eine anerkannte und etablierte Management-Kompetenz in allen gängigen Führungsmodellen.

Die Idee der lernenden Organisation sprang schon in den 1990er-Jahren auf die Schulen über. Grund dafür war eine Ernüchterung über die Wirkungsschwäche äußerer Schulentwicklung, also durch Curriculare Reformen oder große Bildungspläne wie z. B. vom Deutschen Bildungsrat. Daher begannen vor ca. 25 Jahren alle Bundesländer Qualitätssysteme an ihren Schulen zu erproben und einzuführen. Bezeichnend waren hier Adaptionen aus dem internationalen Bildungsraum, wie z.B. die von Herbert Altrichter aus Australien importierte Idee einer substanziellen inneren Schulentwicklung, die konkret den Unterricht in den Fokus nimmt. „Schulentwicklung gelingt dort, wo Lehrkräfte und Schulleitungen lernen, Verantwortung für die Qualität des Lernens gemeinsam zu übernehmen – unterstützt, aber nicht bevormundet von der Bildungsverwaltung.“ (Altrichter 2010). Viele der damaligen BLK-Schulversuche (QUABS, ProReKo, …) zeigten jedoch, dass es nicht so einfach war, wirksame und nachhaltige Entwicklungsimpulse auf den Unterricht auszuüben. Aus den Befunden der damaligen und folgender Forschung wurde deutlich, dass Lehrpersonen mit Entwicklungsansprüchen nicht konfrontiert werden können, sondern dafür zum einen überzeugt und zum anderen mitgenommen werden müssen. „Ohne Akzeptanz im Kollegium bleibt Qualitätsmanagement ein Verwaltungsinstrument, kein Entwicklungsinstrument.“ (Tenberg, 2005). An dieser Stelle entwickelte sich die Idee, Change Management für Schulentwicklung nutzbar zu machen. Sie wird ursprümglich auf den Kanadier Michael Fullan (University of Toronto) zurückgeführt. Er konstatierte „Change is a journey, not a blueprint“ (2001) und betonte damit, dass Veränderung an Schulen nicht verordnet werden kann, sondern entsteht, wenn Menschen Bedeutung (meaning) in der Veränderung finden. Nach Europa übertragen wurden diese Ideen vor allem von Hans-Günther Rollf, der sich intensiv mit innerer Schulentwicklung auseinandersetzte und auf den das bekannte 3-Säulen Modell einer Integration von Unterrichts-, Personal- und Organisationsentwicklung zurückgeht (Altrichter & Rollf, 1994, Rolff, 1998). Nach Huber (2003), Fullan (2008) & Rolff (2009) umfasst schulisches Change Management:

  • Vision entwickeln – Wohin soll sich die Schule verändern?
  • Partizipation organisieren – Kollegium, Schüler:innen, Eltern einbinden.
  • Strukturen anpassen – z. B. Steuergruppen, Kommunikationswege.
  • Schulkultur verändern – Vertrauen, Kooperation, Lernen im Kollegium.
  • Evaluation und Verstetigung – Veränderung als zyklischer Prozess.

Schulleitung nimmt hier eine Schlüsselrolle ein (Fullan, 2014), unterliegt damit aber weiteren Anforderungen, für welche sie im Regelfall nicht oder nur rudimentär qualifiziert ist. Zu einer wirksamen Implementierung von Change Management im Alltagsgeschäft einer Schule, das viele ineinander verschränkte Prozesse fortlaufend integriert und vorantreibt, mit vielen Protagonist:innen in Verwaltung, Kollegium und Schulleitung, hinterlegt durch vielfältige Anforderungen der Schulverwaltung und Schulaufsicht, ist es jedoch ein weiter Weg, auch wenn sich diese Prämissen klar und einfach darstellen. Auf diesem Weg steht zunächst die wissenschaftlich abgestützte, aber auch praxiserprobte Entwicklung eines schulspezifischen Change Management Ansatzes, vollzogen durch eine professionelle Change-Beratung. Dies beinhaltet eine Reihe von Informationen, Konzepten, Prozessen, Methoden und Instrumenten, die sich zum Teil generisch darstellen lassen, zum Teil aber auch schulartspezifisch angepasst werden müssen. Dieser Gesamtansatz muss dann unmittelbar an einer Schule implementiert werden. Vorausgehende Fortbildungen, wie die eingangs beschriebene können hierbei hilfreich sein, ersetzen aber keineswegs die Unterstützung in der schulischen Einführung und Verankerung. Im Zentrum steht hier die Schulleitung, die diese neue Management-Kompetenz kollektive entwickeln muss, was jedoch nur dann gelingt, wenn dabei schon konkrete Schulentwicklung mit Change Management vollzogen wird. Die Change-Beratung konzipiert und moderiert dazu grundlegende Workshops mit dem Schulleitungsteam, anschließend erfolgt die gemeinsame Auswahl eines Entwicklungsbereichs und die damit korrespondierende Zielbildung und dann wird Change Management konkret, wenn darüber nachgedacht wird, wie man die Kolleginnen und Kollegen für diesen Prozess überzeugt, gewinnt, motiviert und mitnimmt.

Im folgenden Beitrag, der in den nächsten Tagen auf News4teachers erscheint, wird ein konkretes Change Management Konzept aus Perspektive der Change-Beratung für Schulen vorgestellt und mit einem Beispielprozess illustriert.

Hier geht es zu allen Beiträgen des Themenmonats “Digital lehren und lernen”. 

Literatur

  • Altrichter, H. (2010). Schulentwicklung im Wandel von Steuerung und Governance. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-92557-1
  • Altrichter, H., & Rolff, H. G. (1994). Schulentwicklung und Schulwirksamkeit: Beiträge zur Theorie und Praxis der Schulentwicklung. Weinheim: Beltz.
  • Bundesagentur für Arbeit. (2012). Akkreditierungs- und Zulassungsverordnung Arbeitsförderung (AZAV). Berlin: Bundesministerium für Arbeit und Soziales.
  • Fullan, M. (2001). Leading in a Culture of Change. San Francisco: Jossey-Bass.
  • Fullan, M. (2008). The Six Secrets of Change: What the Best Leaders Do to Help Their Organizations Survive and Thrive. San Francisco: Jossey-Bass.
  • Fullan, M. (2014). The Principal: Three Keys to Maximizing Impact. San Francisco: Jossey-Bass.
  • Huber, S. G. (Hrsg.). (2003). Schulleitung und Schulentwicklung: Grundlagen, Praxis, Perspektiven. Weinheim: Beltz.
  • Kotter, J. P. (1996). Leading Change. Boston: Harvard Business School Press.
  • Lewin, K. (1947). Frontiers in Group Dynamics: Concept, Method and Reality in Social Science; Social Equilibria and Social Change. Human Relations, 1(1), 5–41. https://doi.org/10.1177/001872674700100103
  • Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg. (2023). Konzept „Operativ eigenständige Schule“ (OES). Stuttgart: MKJS. https://www.schule-bw.de/themen-und-impulse/oes
  • Peters, T. J., & Waterman, R. H. (1982). In Search of Excellence: Lessons from America’s Best-Run Companies. New York: Harper & Row.
  • Rhein-Neckar-Kreis. (2024). Louise-Otto-Peters-Schule, Berufliche Schule Wiesloch/Waldorf – Schulprofil. Wiesloch. https://www.lop-schule.de
  • Rolff, H. G. (1998). Schulentwicklung kompakt: Modelle, Instrumente, Perspektiven. Weinheim: Beltz.
  • Rolff, H. G. (2009). Schulentwicklung durch Dezentralisierung und innere Reformen: Theorie, Praxis, Konsequenzen (3. Aufl.). Weinheim: Beltz.
  • Tenberg, R. (2005). Erfolgreiche Implementierung schulischen Qualitätsmanagements durch Change-Management. Berufsbildung – Zeitschrift für Praxis und Theorie in Betrieb und Schule, 57(91/92), 7–12.

News4teachers bleibt auf Rekordkurs – über zwei Millionen Leser*innen im dritten Monat in Folge

 

 

 

 

 

 

 

 

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