Inspiring Girls – „Mädchen sollen erkennen: Die Wege stehen ihnen offen“

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BENSHEIM. Mädchen erleben noch immer zu selten Role Models in spannenden oder leitenden Berufen. Inspiring Girls Deutschland will das ändern: Der Verein bringt mit seinem für Schulen kostenlosen Angebot Schülerinnen zwischen 10 und 16 Jahren in Speednetworkings und Workshops mit Frauen aus ganz unterschiedlichen Berufsfeldern zusammen – besonders aus dem MINT-Bereich. So entstehen neue Perspektiven, Rollenklischees werden aufgebrochen, Selbstvertrauen wächst. Gründerin Sonja Scott sagt: Jede Schülerin soll erfahren, dass ihr alle Wege offenstehen – das Motto: #werdewasduwillst.

Läuft. Illustration: Shutterstock

News4teachers: Frau Scott, Sie haben 2024 Inspiring Girls in Deutschland gegründet – ursprünglich stammt die Initiative aus Großbritannien. Was war Ihr persönlicher Anstoß?

Sonja Scott: Es waren viele Anlässe, kein einzelner. Ich habe zwei Kinder, darunter eine Tochter, und war mein ganzes Leben berufstätig – zuletzt in Geschäftsleitungen großer Unternehmen. Dabei habe ich immer wieder festgestellt: Frauen in Führungspositionen sind nach wie vor keine Selbstverständlichkeit. Sowohl in Schulen als auch in Unternehmen habe ich erlebt, dass Frauen in Spitzenfunktionen eher mit Erstaunen betrachtet werden. Dabei sollte es für Mädchen völlig normal sein, den Beruf zu wählen, den sie möchten – und mutig ihren Weg zu gehen, auch wenn er manchmal steinig ist.

Ich wollte mich ursprünglich einfach bei einer entsprechenden Initiative engagieren. Bei meiner Recherche stellte ich fest, dass Inspiring Girls in Deutschland überhaupt nicht existiert. Also rief ich in London an und fragte: „Warum gibt es euch hier nicht?“ Die Antwort: „Es hat sich noch niemand getraut.“ Da dachte ich: Dann gründe ich eben selbst  den Verein Inspiring Girls Deutschland. Gemeinsam mit sechs weiteren engagierten Frauen war es dann Anfang 2024 soweit. Heute sind wir rund 60 Mitglieder und haben über 500 Rollenvorbilder bundesweit. Das verdanken wir den Netzwerken und der Begeisterung der Frauen, die das Anliegen weitertragen.

“Eine Schuhmarke veröffentlichte stolz ein Foto ihrer Geschäftsleitung – ausschließlich Männer. Und das bei einem Unternehmen, das Produkte für Frauen herstellt”

News4teachers: Sind ausschließlich Frauen im Verein aktiv?

Sonja Scott: Wir schließen Männer nicht aus, aber aktuell gibt es tatsächlich nur einen. Was Schulen betrifft, melden sich fast ausschließlich Lehrerinnen bei uns.

News4teachers: Das Thema Frauen in Führungspositionen ist ja derzeit wieder präsent. Sind männerdominierte Vorstände immer noch ein typisch deutsches Bild?

Sonja Scott: Leider ja. Auf LinkedIn gab es kürzlich ein Beispiel: Eine Schuhmarke veröffentlichte stolz ein Foto ihrer Geschäftsleitung – ausschließlich Männer. Und das bei einem Unternehmen, das Produkte für Frauen herstellt. Auch ich habe selbst erlebt, dass beim Betreten eines Raumes automatisch angenommen wurde, der männliche Kollege sei der Ranghöhere – selbst, wenn es nicht stimmte. Dieses Denken ist noch tief verankert.

News4teachers: Warum gelangen so wenige Frauen in Führungspositionen?

Sonja Scott: Da kommen viele Dinge zusammen. Kinderbetreuung ist ein großes Thema – sie ist zeitlich oft nicht so organisiert, wie Führungsjobs es erfordern. Netzwerken findet meist abends statt, was viele Mütter schlicht nicht leisten können. In meiner Karriere gab es viele Männer, die mich auf meinem Weg unterstützt haben – es ist immer ein Miteinander. Ich wünsche mir, dass Frauen mutiger werden, dass sie die Hand heben und  sagen: Ich kann das! Vielen fehlt leider dieses Selbstvertrauen.

News4teachers: Und dort setzt Inspiring Girls an?

Sonja Scott: Genau. Wir wollen Mädchen Mut machen. Wichtig ist uns auch zu zeigen, dass Lebensläufe nicht immer geradlinig sind. Viele der Rollenvorbilder haben Umwege gemacht oder Hürden überwunden. Mädchen sollen erkennen: Die Wege stehen ihnen offen – sie müssen sich nur trauen.

News4teachers: Sie sprechen strukturelle Probleme an – aber gleichzeitig auch fehlendes Zutrauen. Wo liegt das Hauptproblem?

Sonja Scott: Beides spielt eine Rolle. Wenn beispielsweise nur 17 Prozent der MINT-Berufe von Frauen ausgeübt werden, kann das nicht daran liegen, dass Mädchen weniger talentiert sind. Vieles passiert in den Köpfen – und leider gibt es immer noch Lehrkräfte, die Mädchen bestimmte Fächer nicht zutrauen. Wir hören von Schülerinnen: Es gibt immer noch männliche Lehrer, die sagen: „Chemie oder Physik – das ist nichts für Mädchen.“

News4teachers: Um in einer Karriere voranzukommen, braucht es ja auch Durchsetzungsstärke. Müssen Mädchen stärker zu „Ellbogen“ ermutigt werden?

Sonja Scott: Absolut. Viele Jungen haben sie. Mädchen sollten sie sich ebenfalls zugestehen. Sie müssen laut werden dürfen, zeigen, was sie können.

“Die Rückmeldungen der Schülerinnen sind überwältigend: ‘Sie haben mir eine neue Welt eröffnet’, schreiben manche.”

News4teachers: Welche Frauen treten bei Ihnen als Role Models auf?

Sonja Scott: Es melden sich Frauen aus ganz unterschiedlichen Bereichen – akademische Berufe, Handwerk, Führungspositionen, Auszubildende. Wir sprechen mit allen Bewerberinnen, inzwischen in Onboarding-Gesprächen in Gruppen. Neben Berufen aus dem MINT-Bereich fokussieren wir uns auch auf Handwerkerinnen: Viele Mädchen glauben immer noch, man müsse studieren, um gut zu verdienen. Wenn dann eine selbstständige Handwerkerin erzählt, was sie verdient, sind die Mädchen oft völlig überrascht.

News4teachers: Wie läuft ein Besuch an einer Schule ab?

“Wir nehmen Lehrkräften Arbeit ab”: Sonja Scott. Foto: Inspiring Girls

Sonja Scott: Unsere Einsätze an Schulen sind immer vor Ort und persönlich. Schulen binden uns entweder in die Berufsorientierung ein oder schaffen Raum dafür. Wir bilden Kleingruppen von fünf bis sechs Schülerinnen. Manchmal sind auch Klassen mit Jungen dabei, die dann aber in eigenen Gruppen und getrennt von den Mädchen eingeteilt werden. Mädchen trauen sich einfach mehr Fragen zu stellen, wenn sie in reinen Mädchengruppen und dadurch in einem geschütztem Raum sind. Ein Role Model spricht 25 Minuten mit einer Gruppe und wechselt dann weiter. So entstehen sehr persönliche Gespräche. Die Rückmeldungen der Schülerinnen sind überwältigend: „Sie haben mir eine neue Welt eröffnet“, schreiben manche.

Darüber hinaus engagieren wir uns auch am Girls’Day. So kommen wir am Girls’ Day mit unserem Angebot auch an Schulen und stellen somit die Verbindung zwischen dem Girls‘Day Konzept und den Schulen direkt her. Auch die Organisation übernehmen wir dann komplett. Aber auch gemeinsam mit Unternehmen führen wir den Girls’Day bundesweit durch. Wichtig bei allen unseren Girls’Day Veranstaltungen, aber auch generell für unsere Arbeit ist, dass sich der Fokus auf die klischeefreie Berufsorientierung für Mädchen – und damit auf die Ursprungsidee des Girls’Day – richtet.

News4teachers: Welche Altersgruppen erreichen Sie?

Sonja Scott: Vor allem die Klassen 8 und 9 – 13- bis 15-Jährige. Jüngere ab Klasse 5 sind ebenfalls dabei. In der Oberstufe ist es meist schon zu spät, weil Leistungskurse feststehen.

News4teachers: Wie reagieren Lehrkräfte?

Sonja Scott: Durchweg positiv – und sehr dankbar. Viele betonen, wie wichtig es ist, dass die Mädchen reale Vorbilder sehen. Entscheidend: Wir sind neutral, unabhängig, deutschlandweit aktiv – und kostenlos für Schulen.

News4teachers: Haben Sie schon Erkenntnisse über nachhaltige Wirkungen?

Sonja Scott: Zum einen sind wir erst zwei Jahre aktiv, da ist es noch zu früh über Erkenntnisse zu sprechen. Zum anderen ist es schwierig, eine langfristige Evaluationsstruktur zu etablieren. So dürfen wir aus Datenschutzgründen keine Schülerdaten speichern. Wir sehen aber die Wirkung unserer Arbeit vor allem im unmittelbaren Feedback. Und wir haben derzeit eine 16-jährige junge Botschafterin, die uns seit einem Jahr begleitet und deren Begeisterung bis heute anhält. Aber eine langfristige Evaluationsstruktur wäre wünschenswert. Dieses Projekt gehen wir im nächsten Jahr an.

“Egal ob Generation Z oder Alpha, wir erleben sie anders als ihr Ruf. Viele sind dankbar, höflich und hochmotiviert”

News4teachers: Wie erleben Sie die Generation Z?

Sonja Scott: Wir haben sogar schon die Generation Alpha, also die nach 2010 geborenen zu tun. Egal ob Generation Z oder Alpha, wir erleben sie anders als ihr Ruf. Viele sind dankbar, höflich und hochmotiviert. Besonders an Förder- und Gesamtschulen erleben wir große Offenheit. Wir waren an einer Schule im Ruhrgebiet, in der Mädchen kaum arbeitende Frauen in ihrem Umfeld kennen. Für manche ist das einzige weibliche Vorbild die Lehrerin. Eine Lehrerin bat uns: „Egal welcher Beruf – zeigen Sie ihnen einfach, was es alles gibt.“ Genau dafür sind wir da.

News4teachers: Wie gut funktioniert Berufsorientierung an Schulen aus Ihrer Sicht?

Sonja Scott: Sie steht und fällt mit dem Engagement der Lehrkräfte. Wenn Schulen uns aktiv anfragen, läuft es sehr gut. Wenn wir selbst Schulen kontaktieren, ist es dagegen schwierig – oft erhalten wir gar keine Rückmeldung. Viele Lehrkräfte sind überlastet; Berufsorientierung kommt zu kurz oder bleibt ganz auf der Strecke. Wir füllen diese Lücke  und nehmen Lehrkräften Arbeit ab und entlasten sie.

News4teachers: Welche Botschaft würden Sie einem 13-jährigen Mädchen mitgeben?

Sonja Scott: Unser Hashtag sagt es: #werdewasduwillst. Lass dir nicht von anderen einreden, was du kannst oder nicht kannst. Finde heraus, was du willst – und folge diesem Weg. Ich selbst habe mich in der Schule oft nach meinen Freundinnen gerichtet. Das war Quatsch! Wichtig ist, auf die eigene Stimme zu hören. News4teachers / Andrej Priboschek führte das Interview. 

Hier können Schulen mit Inspiring Girls Deutschland direkt Kontakt aufnehmen.

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