Rentenstreit: Länger arbeiten? Schon jetzt scheiden fünf von sieben Lehrkräften vor dem regulären Ruhestandsalter aus

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BERLIN. Der Streit im Bundestag über das geplante Rentenpaket spitzt sich weiter zu. Die Junge Union (JU) und die Junge Gruppe in der Unionsfraktion drohen, das Gesetz scheitern zu lassen. Sie halten die vorgesehene Verlängerung des Rentenniveaus für zu teuer und fordern strukturelle Reformen – darunter eine Koppelung des Renteneintrittsalters an die steigende Lebenserwartung. Wirtschaftsministerin Katharina Reiche unterstützt diese Linie offen. Sie mahnt, die Deutschen müssten insgesamt länger arbeiten. Ein Blick auf die Berufsgruppe der Lehrkräfte zeigt allerdings, dass die Lösung so einfach nicht ist.

Lehrerin bis 70? (Symbolfoto.) Foto: Shutterstock

Für die Regierungskoalition steht viel auf dem Spiel. Das Rentenpaket soll Anfang 2026 in Kraft treten und den zentralen Kompromiss zwischen Union und SPD sichern: Stabilität beim Rentenniveau und die ausgeweitete Mütterrente. Doch die Junge Gruppe argumentiert, die Pläne führten bis 2031 und darüber hinaus zu Belastungen in Milliardenhöhe. Weil Union und SPD nur über eine knappe Mehrheit von zwölf Stimmen verfügen, könnten die 18 jungen Abgeordneten das Gesetz zu Fall bringen.

Während die SPD und große Teile der Union an dem Paket festhalten wollen, schlägt sich die Bundeswirtschaftsministerin auf die Seite der Kritiker.

Reiche legt im Streit nach: „Die Lebensarbeitszeit muss steigen“

Katharina Reiche (CDU) hatte bereits im Sommer gefordert, dass „die Deutschen“ künftig länger arbeiten müssen. Kurz vor ihrer Abreise in die Vereinigten Arabischen Emirate legte sie nun im aktuellen Streit nach. Auf die Frage eines Journalisten erklärte Reiche ausführlich, dass die umlagefinanzierte Rente angesichts der demographischen Entwicklung an ihre Grenzen stoße. Wenn immer weniger Erwerbstätige für immer mehr Rentnerinnen und Rentner aufkommen müssten, dürfe das System nicht zusätzlich durch steigende Lohnnebenkosten belastet werden. Das gefährde aus ihrer Sicht die wirtschaftliche Stabilität – gerade für jüngere Generationen, die ohnehin mit hohen Lebenshaltungskosten und einer angespannten Lage am Arbeitsmarkt konfrontiert seien.

Die Junge Gruppe habe deshalb vollkommen recht, wenn sie auf strukturelle Reformen dränge. Reiche argumentiert, die durchschnittliche Lebensarbeitszeit müsse sich verlängern, wenn das Rentensystem auch künftig tragfähig bleiben solle. Die steigende Lebenserwartung mache eine Anpassung der Regelaltersgrenze „unumgänglich“. Man könne nicht erwarten, dass ein System, das auf dem Verhältnis zwischen Beitragszahlern und Rentenbeziehenden beruht, dauerhaft funktioniere, ohne dass sich Erwerbsbiografien veränderten.

Doch so einfach ist die Angelegenheit nicht – wie ein Blick auf die große Berufsgruppe der Lehrerinnen und Lehrer zeigt. Aktuelles Beispiel Sachsen: Wie eine parlamentarische Anfrage im Landtag nun offenbarte, haben im Schuljahr 2024/2025 insgesamt 1.601 Lehrkräfte den Schuldienst verlassen – 1.377 davon vorzeitig. Das bedeutet: 86 Prozent der ausscheidenden Lehrkräfte erreichen bis Dienstende das reguläre Ruhestandsalter nicht.

Für Burkhard Naumann, Vorsitzender der GEW Sachsen, sind die Gründe eindeutig: Überlastung, zu wenig Unterstützung, steigende pädagogische Herausforderungen. Der Lehrberuf sei für viele nur noch ein Durchhalten. Zwei Drittel der Arbeitszeit bestünden aus außerunterrichtlichen Aufgaben – von digitaler Geräteverwaltung über zusätzliche Elternarbeit bis hin zur Organisation von Ausflügen. Naumann warnt: Die Bedingungen verschlechtern sich weiter, seit das Land Mittel kürzt und die Belastung steigt. Immer mehr Lehrkräfte denken über frühzeitiges Ausscheiden nach.

Ein Blick auf Deutschland insgesamt: Lehrkräfte halten bis zur Rente selten im Dienst durch

Und das ist nicht auf Sachsen beschränkt. Für ganz Deutschland gilt: Auf zwei Lehrkräfte, die regulär in Ruhestand gehen, kommen inzwischen fünf, die den Schuldienst vorzeitig verlassen. Der Bildungsforscher Dieter Dohmen spricht von einem dramatischen Trend. Die Gründe seien klar: hohe Belastung, wenig Unterstützung, Dauerstress, große Klassen, heterogene Schülergruppen und ein Arbeitsvolumen, das weit über einer normalen Vollzeitstelle liegt.

In manchen Bundesländern liegt der Anteil jährlich ausscheidender Lehrkräfte seit Jahren bei über zehn Prozent. Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und mehrere ostdeutsche Länder stechen besonders hervor. Selbst Länder mit besseren Werten – wie Hamburg oder Hessen – kämpfen damit, genügend Personal im System zu halten.

Eine Untersuchung der Universität Göttingen zeigt, wie sich diese Bedingungen gesundheitlich auswirken. Zwei Drittel der befragten Berliner Lehrkräfte arbeiten im roten Bereich. Fast ein Viertel hat ein deutlich erhöhtes Depressionsrisiko. Viele berichten, dass der ständige Druck, fehlende Unterstützung und der nicht endende Stress ihre Motivation aufzehren. Lehrerin Caroline Muñoz del Rio beschreibt die Situation so: Der Beruf werde gerne ausgeübt – aber die Bedingungen seien zu schlecht, um ihn lange durchzuhalten.

Die GEW spricht von gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen und fordert: kleinere Klassen, mehr multiprofessionelle Teams, Entlastung bei Korrekturen und Prüfungen, funktionierende Digitalisierung und eine echte Reform der Arbeitszeitmodelle.
Kurzum – während Teile der Union eine Anhebung des Rentenalters fordern, zeigt der Alltag der Schulen: Viele Lehrkräfte schaffen es schon jetzt nicht bis zur heutigen Regelaltersgrenze. Der Beruf ist zu belastend, das System zu angespannt, der Lehrkräftemangel zu groß, die gesundheitlichen Folgen zu gravierend.

In der aufgeheizten Debatte meldet sich nun auch die Bundesbildungs- und -familienministerin (sowie CDU-Vize-Vorsitzende) Karin Prien zu Wort. Wie das Handelsblatt meldet, plädiert sie im Streit um das geplante Rentenpaket der Bundesregierung dafür, die Abstimmung im Bundestag zu verschieben. „Was die konkrete Frage nach dem Rentensystem angeht: Es ist wichtig, dass im Parlament gerechte Lösungen für die breite Mehrheit gefunden werden“, sagte Prien der Zeitung. Deshalb müsse die Bundesregierung im Bundestag weiter das Gespräch „über die Generationen hinweg“ suchen.

Dem Handelsblatt sagte Prien nun: „Wir müssen über mehr reden als nur die Rentenformel.“ Deshalb sei ihr als Senioren- wie als Jugendministerin gleichermaßen wichtig, „dass wir ältere Menschen nicht nur als Kostenfaktor sehen, sondern dafür sorgen, dass sie auch im Ruhestand ein aktiver Part der Gesellschaft bleiben – mit Erfahrung, Lebensklugheit und dem Wunsch, sich einzubringen.“

Zudem sagte die Ministerin: „Wir, die wir jetzt im Beruf stehen, wir Boomer und die Alten müssen dazu beitragen, die Jungen fit zu machen für all diese Herausforderungen.“ Prien plädierte für einen neuen Generationenvertrag: „Wenn wir unseren Kindern auch künftig etwas weitergeben wollen, damit es ihnen besser geht; wenn wir ein Land sein wollen, das seinen Kindern und Jugendlichen ein verlässliches Aufstiegsversprechen gibt, dann müssen wir neue Schwerpunkte für einen neuen Generationenvertrag setzen.“ News4teachers / mit Material der dpa

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2 Kommentare
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Unfassbar
1 Stunde zuvor

Jede Rentenreform im Sinne von länger arbeiten ist faktisch eine Rentenkürzung. Bei der aktuellen Lebenserwartung muss man dann auch schauen, wie viele Menschen überhaupt so lange in Rente sind, dass sie ihre eingezahlten Beiträge als Leistung rausbekommen, geschweige denn mit Inflationsausgleich verzinst herausbekommen. Und anschließend schauen wir, wie das bei Männern und Frauen getrennt betrachtet aussieht.

dickebank
1 Stunde zuvor

Was Frau reiche meint aber nicht sagt:

Karōshi (過労死)