KÖLN. Die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen ist nicht nur eine Frage des individuellen Wohlbefindens – sie hat auch eine hohe wirtschaftliche Bedeutung. Das zeigt eine aktuelle Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Die Kölner Forscherinnen und Forscher schlagen Alarm: Immer mehr Schülerinnen und Schüler leiden unter Ängsten, Depressionen und psychosomatischen Beschwerden – mit gravierenden Folgen für Bildung, Arbeitsmarkt und öffentliche Haushalte.

„Psychische Belastungen während der Schulzeit stellen einen bislang noch wenig beachteten Risikofaktor dar“, schreiben die Autorinnen und Autoren Dr. Christina Anger, Julia Betz und Dr. Wido Geis-Thöne. Sie fordern eine nationale Strategie, die Bildung, Gesundheit und Familienpolitik miteinander verzahnt, um die mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen nachhaltig zu stärken.
Mehr Ängste, mehr Einsamkeit, mehr Krisen
Nach Analysen des IW hat die Corona-Pandemie die psychische Gesundheit junger Menschen massiv beeinträchtigt – und viele Belastungen sind bis heute nicht abgeklungen. In der repräsentativen CoPsy-Längsschnittstudie (UKE Hamburg-Eppendorf) zeigen aktuelle Daten: Noch immer fühlen sich 21 Prozent der Kinder und Jugendlichen „manchmal“, „oft“ oder „immer“ einsam – vor der Pandemie waren es 14 Prozent. Besonders betroffen seien Mädchen. „Mit dem Ende der Pandemie sorgen sich die Kinder und Jugendlichen vermehrt um andere globale Krisen“, heißt es in der IW-Studie. Die Sorgen um Kriege, Klimakrise und wirtschaftliche Unsicherheit nähmen stetig zu.
Auch das Deutsche Schulbarometer der Robert Bosch Stiftung, auf das sich die IW-Forscher berufen, zeigt ein besorgniserregendes Bild: 21 Prozent der 8- bis 17-Jährigen schätzen sich selbst als psychisch auffällig ein, mehr als ein Viertel bewertet die eigene Lebensqualität als gering. Fast 40 Prozent sorgen sich „oft“ oder „sehr oft“ über Kriege auf der Welt – und viele auch um ihre schulischen Leistungen oder ihre Zukunft.
Hinzu kommen laut dem DAK-Präventionsradar (Schuljahr 2024/25) psychosomatische Beschwerden, Schlafstörungen und Erschöpfung: „Ein Drittel aller Befragten leidet unter Einsamkeit, 17 Prozent zeigen depressive Symptome – Mädchen deutlich häufiger als Jungen“, heißt es in der Studie. Besonders stark betroffen seien Kinder aus sozial schwachen Familien.
Familie, Mobbing, Medien: Die größten Risikofaktoren
Die IW-Autorinnen und -Autoren haben untersucht, woher diese psychischen Belastungen kommen – und benennen vor allem drei Risikofaktoren: familiäre Konflikte, Mobbing und übermäßiger Medienkonsum.
„Die größte Bedeutung maßen Psychotherapeutinnen und -therapeuten familiären Konflikten und psychischen Krankheiten in der Familie bei“, so das Ergebnis des Monitors Bildung und Psychische Gesundheit (BiPsy) aus dem Jahr 2024. Diese Befunde decken sich mit älteren Daten aus der BELLA-Studie: Konflikte in der Familie, elterliche Belastungen und beengter Wohnraum erhöhen das Risiko psychischer Auffälligkeiten deutlich. Finanzielle Armut allein spiele dagegen eine geringere Rolle – entscheidender sei das „stärker konfliktbelastete Zusammenleben in den Familien“.
Auch Mobbing gilt als wachsendes Problem: Laut DAK wird inzwischen jedes siebte Kind regelmäßig gemobbt, bei Jugendlichen aus sozial schwachen Familien sogar jeder fünfte. „Besonders problematisch ist es, wenn sowohl im familiären als auch im schulischen Umfeld Konflikte auftreten“, warnt die IW-Studie – dann fehlten „Räume, um sich zu erholen“.
Der digitale Medienkonsum sei ein weiterer Risikofaktor. „Dabei handelt es sich um ein relativ neues Phänomen“, heißt es im IW-Bericht. Smartphones, Social Media und Video-Streaming seien heute allgegenwärtig – „es gibt noch keine Erwachsenengeneration, bei der sich die Folgen eines übermäßigen Konsums des heutigen Medienangebots von (früher) Kindheit an beobachten ließe“. Fast 70 Prozent der 12- bis 13-Jährigen nehmen laut KIM-Studie ihr Smartphone mit ins Bett, und mehr als die Hälfte der Eltern kontrolliert die Bildschirmzeit ihrer Kinder nicht. Das könne gefährlich werden, mahnt das IW, verweist aber auch auf Chancen: So könnten digitale Medien Jugendlichen in besonderen Lebenssituationen, etwa bei Fragen der Identität, auch sozialen Halt bieten.
Wenn Schule krank macht – und Krankheit zum Schulabbruch führt
Besonders eindrücklich zeigt der Bericht die langfristigen Folgen psychischer Belastungen. „Wie sich die psychische Gesundheit in Kindheit und Jugend entwickelt, kann langfristig sehr weitreichende ökonomische Folgen haben“, schreiben die IW-Forscher. Bereits heute verursachten psychische Erkrankungen direkte Gesundheitskosten von 56,4 Milliarden Euro jährlich – die Gesamtkosten lägen bei rund 147 Milliarden Euro, fast fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Psychische Auffälligkeiten haben laut IW einen klaren Zusammenhang mit Schulabbruch, Ausbildungsabbruch und späteren Erwerbsausfällen. Zahlreiche internationale Studien zeigen, dass Kinder und Jugendliche mit Depressionen oder Angststörungen häufiger fehlen, schlechtere Leistungen erzielen und die Schule häufiger abbrechen. Schülerinnen und Schüler, die unter psychischen Problemen leiden, haben ein bis zu dreimal höheres Risiko, die Schule abzubrechen, so die Studie unter Verweis auf internationale Meta-Analysen.
In Deutschland fehle es bislang an vergleichbaren Untersuchungen – doch die Zusammenhänge seien offenkundig. „Psychische Belastungen bei Schülerinnen und Schülern können gravierende Auswirkungen auf ihre weitere Bildungskarriere sowie für den Übergang in den Arbeitsmarkt haben“, heißt es im Report.
„Zwei Drittel der jungen Erwerbsminderungsrenten beruhen auf psychischen Beeinträchtigungen“
Auch nach dem Schulabschluss wirken psychische Probleme fort. „Gelingt es jungen Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen nicht, eine Ausbildung aufzunehmen oder abzuschließen, geraten sie leicht in einen Teufelskreis aus Arbeitslosigkeit, Transferabhängigkeit und sozialer Isolation“, warnt das IW.
Nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung entfallen 43,3 Prozent aller Erwerbsminderungsrenten auf psychische Erkrankungen – bei den unter 30-Jährigen sogar 65,7 Prozent. Das sei, so das IW, „ein alarmierendes Bild“: „Damit sind psychische Störungen im Kindesalter Schrittmacher für Störungen im Erwachsenenalter.“ Rund die Hälfte aller psychischen Erkrankungen trete vor dem 15. Lebensjahr auf, drei Viertel vor dem 25. Geburtstag.
IW fordert: Nationale Strategie und mehr Prävention an Schulen
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des IW ziehen ein klares Fazit: „Es ist dringend geboten, die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen stärker in den Blick zu nehmen – nicht nur aus medizinischer und sozialer, sondern auch aus ökonomischer Perspektive.“
Sie fordern ein regelmäßiges Monitoring der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen, vergleichbar mit dem Gesundheitsbarometer für Erwachsene, um Trends zu erkennen und Kapazitäten besser zu planen. Die Ausbildung von Kinder- und Jugendpsychotherapeutinnen müsse ausgebaut werden – ebenso wie die Schulsozialarbeit. Schulen sollten, so das IW, stärker als bisher „auch Sozialisationsinstanzen“ sein.
Besonders wichtig sei die Stärkung von Familien: „Wichtig sind evidenzbasierte Präventionsprogramme, die niedrigschwellig Unterstützung anbieten“, heißt es im Bericht. Studien zeigten, dass Programme wie „Gesund und Glücklich Aufwachsen“ (GuG-Auf) die Häufigkeit psychischer Erkrankungen bei Kindern von depressiven Eltern signifikant senken könnten. Doch viele Familien scheuten sich aus Scham, an solchen Angeboten teilzunehmen.
Am Ende steht eine politische Forderung: „Deutschland braucht eine nationale Strategie zur Stärkung der mentalen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen“, schreiben die IW-Forscher. Gesundheit und Bildung müssten verknüpft, Prävention gestärkt und die Politik ressortübergreifend denken. „Die Bemühungen und gezielten Investitionen sollten in einer nationalen Strategie zur Förderung der mentalen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen eingebettet werden.“ News4teachers
Hier lässt sich die vollständige Studie herunterladen.









Bitte die Überschrift nochmal überdenken:”krank im Kopf” klingt für mich doch recht abwertend
Die Überschrift soll aufrütteln – weil es tatsächlich auch darum geht: psychische Erkrankungen. Herzliche Grüße Die Redaktion
Ist das jetzt als Anerkennung bestehender Probleme zu werten oder wieder ungerechtfertigte Pathologisierung?
Zum Einen wird seitens einzelner Bildungsforscher behauptet, dass die Zunahme sonderpädagogischer Förderungsbedarfe (emotional-soziale Probleme gehören in dieses Spektrum) lediglich dem Pathologisierungswahn inklusionsablehnenender Lehrkräfte geschuldet wäre, andererseits lesen wir solche Artikel.
Vielleicht sollten sich die einzelnen Forschungszweige mal diesbezüglich austauschen?