DÜSSELDORF. Ranga Yogeshwar, Deutschlands wohl bekanntester Wissenschaftsjournalist, ist in dieser Woche zu Gast beim Deutschen Schulleitungskongress (der am morgigen Donnerstag, 27. November 2025, in Düsseldorf beginnt). Im Vorfeld seines Auftritts spricht er im Podcast „Hey Diggis! So geht Lernen heute“ über die zentralen Herausforderungen des Bildungssystems – von sozialer Ungleichheit über den Lehrkräftemangel bis zum Einfluss von KI – und fordert nichts weniger als eine grundlegende Erneuerung der Schule.

In der neuen Folge des Wissenspodcasts „Hey Diggis! So geht Lernen heute“, die in Kooperation mit dem Deutschen Schulleitungskongress entstanden ist, begrüßen Viola Patricia Herrmann und Gert Mengel einen Gast, der für viele Bildungsinteressierte prägend war: den Wissenschaftsjournalisten Ranga Yogeshwar. Herrmann erinnert sich daran, wie sie als Kind vor dem Fernseher saß und seine Sendungen („Quarks“) verfolgte – weil dort Naturwissenschaften endlich so erklärt wurden, dass „auch der Normalbürger es verstehen konnte“.
Der Podcast nimmt eingangs Bezug zu Yogeshwars Vortrag „Emils Welt“, benannt nach seinem 2020 geborenen Enkel – stellvertretend für junge Menschen, die die Folgen heutiger Entscheidungen tragen werden. „Für uns ist das ganz weit weg, für diese Generation wird es Gegenwart sein“, sagt er und fordert, Probleme nicht länger in die Zukunft zu verschieben.
Die Corona-Pandemie markiert für Yogeshwar einen Wendepunkt: Sie habe das Leben, Arbeiten und Lernen dauerhaft verändert. „Das war vor Corona eher die Ausnahme“, sagt er mit Blick auf digitale Vernetzung. Zugleich seien Familien durch Homeoffice, Homeschooling und veränderte Tagesabläufe stärker in die Lernprozesse ihrer Kinder einbezogen worden. Das habe unmittelbare Folgen für Schulen gehabt: Lernorte, Zuständigkeiten und Erwartungen hätten sich verschoben – und viele Kinder hätten erstmals erlebt, dass Lernen nicht ausschließlich an den Schulraum gebunden ist.
„Wir haben heute quasi neue Lehrer“ – Lernvideos und KI-Tools, die individuell unterstützen können
Ausführlich geht Yogeshwar auf den Einfluss digitaler Medien und der KI ein. „Wir haben heute quasi neue Lehrer“, sagt er – Lernvideos und KI-Tools, die individuell unterstützen können. Dass diese Entwicklung kein Selbstläufer ist, unterstreicht er mit einem Verweis auf sein Projekt „Quarks at School“, das Schulen vor Jahrzehnten per VHS-Kassette mit Lernmaterial versorgte. Wissen müsse für alle zugänglich sein: „Bildung darf kein Preisschild haben.“ Dass viele seiner Erklärvideos bis heute im Unterricht genutzt werden, bestätigt der langjährige Schulleiter Gert Mengel.
Von hier führt das Gespräch zu einer Grundsatzfrage: Welche Verantwortung trägt eine Gesellschaft für Bildung? „Es braucht ein ganzes Land, um die nächste Generation zu erziehen“, sagt Yogeshwar. Deutschland aber schneide seit Jahren mittelmäßig ab. Der Grund: soziale Ungleichheit. „Das Portemonnaie der Eltern entscheidet über die Bildungskarrieren“, sagt er. Gymnasialempfehlungen seien unfair, weil sie Herkunft reproduzierten. „Deutschland ist ein Land, bei dem diese soziale Schieflage ziemlich groß ist“, so Yogeshwar. Dass jährlich rund anderthalb Milliarden Euro in Nachhilfe fließen, sei dafür ein deutliches Zeichen – allerdings kaum von den Familien, die am dringendsten Unterstützung bräuchten.
Trotz jahrelanger öffentlicher Debatten habe sich wenig verbessert. Warum? „Ich glaube, das ist ein Mentalitätsproblem in Deutschland“, sagt Yogeshwar. Man habe sich an Defizite gewöhnt – in der Infrastruktur, bei Zukunftstechnologien und ebenso in der Bildung. Doch ohne Kurswechsel drohten gravierende Folgen.
Dazu zählt er auch die Strukturen des Bildungsföderalismus: „Bildung ist immer Ländersache und das ist absurd.“ Unterschiedliche Standards in Mathe oder Biologie erschwerten Mobilität und erzeugten Bürokratie. Gleichzeitig treffe der Lehrkräftemangel das System mitten ins Mark. „Wir haben sehr nachlässig Lehrernachwuchs gefördert“, sagt er. Während die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen, fehlten junge Lehrkräfte – obwohl das Problem lange bekannt sei. Die Folgen reichten von verspäteten Einschulungen bis zu jährlich rund 50.000 Jugendlichen ohne Abschluss.
„Es gibt heute keinen Abschluss mehr“, sagt er – Lernen endet nicht mit einem Zeugnis
Yogeshwar fordert deshalb eine grundlegende Reform: „Wir brauchen eine Art Bildungsrevolution.“ Das preußische System, geprägt von Gehorsam und Gleichschritt, passe nicht mehr in eine Welt, in der Kreativität, soziale Fähigkeiten und lebenslanges Lernen entscheidend seien. „Es gibt heute keinen Abschluss mehr“, sagt er – Lernen ende nicht mit einem Zeugnis.
Besonders kritisch sieht Yogeshwar das Prinzip des Gleichschritts in Schulen: Prüfungen zur gleichen Zeit für alle, starre Erwartungen, wenig Raum für individuelles Lernen. Lernen funktioniere aber emotional – eine Erinnerung, die er aus Rückmeldungen zu seinen Sendungen kennt: Menschen, die in der Schule Physik abwählten, entdeckten durch Erklärvideos plötzlich Interesse.
Einen zentralen Verlust erkennt er in der mangelnden Förderung von Neugier: „Wir werden neugierig geboren“, sagt er – doch in Schulen werde diese Offenheit oft „pulverisiert“. Statt Fragen zu stellen, gehe es allzu oft um das Pauken für Noten. Allerdings nicht immer: Eine Lehrerin habe einmal seine Tochter aufgefordert: „Guck mal aus dem Fenster, wo siehst du überall Mathematik?“ Für Yogeshwar ein gutes Beispiel, wie Schule immer sein müsste: Lernen als Prozess, nicht als Prüfung.
Auch KI spielt in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle. Zwar ermögliche sie schnelle Antworten, aber Lernen bestehe aus Fehlern, Umwegen und eigenen Entdeckungen. KI könne Bekanntes reproduzieren, aber nichts Neues schaffen. Gleichzeitig sei ihr Energieverbrauch enorm. Rechenzentren verschlängen immense Mengen Strom, während das menschliche Gehirn mit „20 Watt“ arbeite. Die Herausforderungen seien klar: technologische Entwicklung und ökologische Verantwortung müssten zusammengedacht werden.
Ein weiterer Schwerpunkt des Gesprächs sind Fake News und Deepfakes – ein wachsendes Problem für Schulen. KI sei ein „gigantischer Verstärker“ für falsche Nachrichten; Studien zeigen, dass sich diese schneller verbreiteten als korrekte Inhalte. Besonders ältere Menschen fielen darauf herein, während Jüngere sensibler seien. In dieser Lage bekämen Schulen eine besondere Bedeutung: „Das ist einer der ganz wenigen Orte, wo man weiß, da wird nichts verkauft“, sagt Yogeshwar. Vertrauen werde zur zentralen Ressource – auch im Umgang mit KI, deren Ergebnisse stets überprüft werden müssten. Andernfalls drohe ein Zeitalter des „digitalen Orakels“.
Zum Abschluss lenkt der Podcast den Blick auf Yogeshwars Keynote beim Deutschen Schulleitungskongress. Dort will er für eine neue Haltung in der Bildung werben. Bildung dürfe nicht wie eine Raststätte verstanden werden, die man schnell hinter sich lassen wolle. Entscheidend sei der Prozess: „Der Weg, der zu einem Ergebnis führt.“ Für die kommenden Jahre fordert er ein Bildungssystem, das diese Perspektive ernst nimmt – für Emil, seine Enkelinnen und die gesamte nächste Generation. News4teachers / Nina Odenius
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