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Weniger Jugendkriminalität – weil Teenager kaum noch herumlungern

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FREIBURG. Entgegen aktueller Sorgen über zunehmende Gewalt ist die Jugendkriminalität in den vergangenen 20 bis 30 Jahren in vielen Industrieländern deutlich zurückgegangen – auch in Deutschland. Das geht aus einer internationalen Auswertung eines deutsch-schwedischen Kriminologen-Teams hervor.

Die Baseballschläger-Jahre im Deutschland der 90-er werden gerne verdrängt (Symbolfoto). Foto: Shutterstock

Der langfristige Trend ist eindeutig. Seit den 1990er-Jahren ist die Jugendkriminalität in fast allen untersuchten Ländern deutlich gesunken. Polizeidaten zeigen diesen Rückgang zunächst in den USA, später auch in vielen europäischen Ländern. Auch Deutschland folgt diesem internationalen Trend. Hier setzte der Rückgang zwar etwas später ein als in einigen anderen Staaten und fiel insgesamt weniger stark aus, über die vergangenen zwei Jahrzehnte hinweg zeigt sich jedoch auch hierzulande eine klare Abnahme jugendlicher Straftaten.

Die Soziologen Prof. Dietrich Oberwittler vom Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht in Freiburg und Prof. Robert Svensson von der Universität Malmö haben dazu die vorliegende empirische Forschung zusammengetragen und ausgewertet. Berücksichtigt wurden sowohl offizielle Kriminalstatistiken als auch Dunkelfeldbefragungen von Jugendlichen. Zusätzlich flossen Daten aus einer seit 2002 laufenden internationalen Schulbefragung zum Gesundheitsverhalten von Jugendlichen ein, an der 36 Länder beteiligt sind. Neben zahlreichen europäischen Staaten wurden auch Kanada und die USA in die Analyse einbezogen.

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Die Ergebnisse zeigen: Nicht alle Deliktarten entwickelten sich dabei gleich. In vielen Ländern gingen Eigentumsdelikte deutlich stärker zurück als Gewaltdelikte. Dieses Muster zeigt sich auch in Deutschland. Während Diebstahl und andere Eigentumsdelikte spürbar seltener wurden, entwickelten sich Gewaltdelikte über längere Zeit weniger dynamisch und gingen langsamer zurück. Insgesamt bleibt jedoch auch hier der langfristige Trend rückläufig.

Parallel dazu verringerte sich in vielen Ländern der Unterschied zwischen Jungen und Mädchen bei der Jugendkriminalität. Jungen waren früher deutlich häufiger an Straftaten beteiligt als Mädchen. In den vergangenen Jahren hat sich dieser Abstand verkleinert, weil die Kriminalitätsneigung von Jungen stärker zurückging als die von Mädchen. Diese Entwicklung ist auch in Deutschland zu beobachten.

Jugendliche verbringen heute weniger unkontrollierte Freizeit mit Gleichaltrigen und konsumieren deutlich weniger Alkohol als frühere Generationen

Die Forscher führen den Rückgang der Jugendkriminalität vor allem auf veränderte Lebensbedingungen von Jugendlichen zurück. Jugendliche verbringen heute weniger unkontrollierte Freizeit mit Gleichaltrigen und konsumieren deutlich weniger Alkohol als frühere Generationen. Der Alkoholkonsum gilt als ein zentraler Einflussfaktor für delinquentes Verhalten. Dass er in vielen Ländern stark zurückgegangen ist, wird daher als ein wichtiger Erklärungsansatz für den Rückgang der Jugendkriminalität gesehen.

Zudem haben sich die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern verändert. Kinder und Jugendliche unterliegen heute einer stärkeren Aufsicht und Kontrolle durch ihre Eltern als noch vor 20 Jahren. Studien aus verschiedenen Ländern zeigen, dass elterliche Kontrolle und Bindung zugenommen haben. Dabei verbringen Eltern nicht zwingend mehr physische Zeit mit ihren Kindern. Kontrolle und Beziehungspflege erfolgen zunehmend auch über technologische Mittel, etwa durch regelmäßigen Kontakt per Smartphone.

Auch die Schule hat für Jugendliche an Bedeutung gewonnen. Bildung ist wichtiger geworden, Jugendliche verbringen mehr Zeit in schulischen Kontexten, und schulische Anforderungen sind gestiegen. Gleichzeitig verbringen Jugendliche insgesamt weniger ungeplante Zeit mit Gleichaltrigen. Der Aufstieg digitaler Medien könnte dabei ebenfalls eine Rolle spielen, auch wenn die empirischen Befunde zu den Auswirkungen digitaler Medien auf die Jugendkriminalität bislang uneinheitlich sind.

In den vergangenen Jahren gibt es Hinweise darauf, dass der langjährige Rückgang der Jugendkriminalität in einigen Ländern ins Stocken geraten sein könnte. Die Datenlage nach der Pandemie ist jedoch noch unvollständig. „Die Daten nach der Pandemie sind noch unvollständig. Wir können uns noch kein abschließendes Bild der vergangenen drei bis fünf Jahre machen“, erklären Oberwittler und Svensson.

Ob es tatsächlich zu einer Trendumkehr kommt, lässt sich derzeit nicht sicher sagen. Selbst wenn es zuletzt in einzelnen Ländern zu leichten Anstiegen gekommen sein sollte, würde dies den starken Rückgang der Jugendkriminalität in den vergangenen Jahrzehnten jedoch nicht aufheben. „Viele Fragen zu den jüngsten Entwicklungen können auf der Grundlage der vorhandenen empirischen Belege nicht beantwortet werden“, betonen die beiden Kriminologen. Welche Rolle insbesondere die zunehmende Bedeutung digitaler Medien künftig spielen wird, müsse in weiteren Untersuchungen geklärt werden. News4teachers 

Hier lässt sich die vollständige Studie herunterladen. 

Trotz Messerangriffen: Kriminologen finden keine Belege für die These, dass die Jugend brutaler geworden sei

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