Jugendstudie: Viele Migranten sind verunsichert, viele Ostdeutsche (sogar) verdrossen

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HAMBURG. Wie tickt die Jugend in Deutschland? Die größte und zeitaufwändigste Erhebung, die das ermitteln soll, ist die (vom gleichnamigen Ölkonzern gesponserte) Shell Jugendstudie, die nun seit 1953 bereits zum 19. Mal erschien. Sie widmet sich den Lebenswelten von 12- bis 25-Jährigen – angefangen von Familie und Freizeit über Bildungswelten und Berufswünschen bis hin zu Werten und politischen Einstellungen. Die aktuelle Ausgabe macht fünf Gruppen von Jugendlichen aus.

Jugendliche in Deutschland unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Zukunftsperspektiven. (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Einig sind sich Jugendliche weitgehend in ihrem Ziel, das sie vor Augen haben: ein hoher Lebensstandard. Nicht alle allerdings sind sicher, dieses Ziel auch erreichen zu können – was sich in ihren jeweiligen Einstellungen und ihrem Selbstverständnis gegenüber Staat und Gesellschaft ausdrückt. Die Shell-Studie macht fünf Gruppen von Jugendlichen aus, die sich in dieser Hinsicht klar voneinander unterscheiden:

Die Mainstreamer

Die größte Gruppe (38 Prozent) bilden laut Shell-Jugendstudie die Mainstream-Jugendlichen. „Sie zeichnen sich zum einen durch ihr grundsätzlich positives Staats- und Gesellschaftsbild aus, stehen aber auch vielen Dingen in Deutschland kritisch gegenüber.“ Jugendliche mit niedriger Bildung, Jugendliche aus dem Osten sowie Jugendliche mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit seien hier etwas weniger häufig vertreten. „Ansonsten ist die soziodemografische Zusammensetzung eher ausgeglichen. Ihre politische Positionierung ist, ähnlich wie bei den Jugendlichen insgesamt, leicht nach links verschoben“, so heißt es.

Die Progressiven

15 Prozent gehören der Studie zufolge zu den progressiven Jugendlichen. „Sie zeichnen sich durch ein besonders positives Staats und Gesellschaftsbild aus, und so gut wie alle begreifen die für die Moderne typischen Herausforderungen und Veränderungsprozesse als Chance. Etwa die Hälfte von ihnen kritisiert aber ebenfalls die gesellschaftliche Wirklichkeit. Der Begriff »progressiv« passt für sie auch deshalb, weil sie im Durchschnitt häufiger Sympathien für (spät)moderne Themen zeigen, die oftmals als »woke« bezeichnet werden.“ Jugendliche mit höherer Bildung gehörten im Vergleich häufiger zu dieser Gruppe. Jugendliche mit niedriger Bildung seien kaum vertreten. Ihre politische Positionierung sei deutlicher links.

Die Verunsicherten

Weitere 18 Prozent bilden der Studie zufolge die Gruppe der verunsicherten Jugendlichen. „Auch sie haben ein insgesamt positives Staats und Gesellschaftsbild. Im Unterschied sowohl zum Mainstream als auch zu den Progressiven ist in dieser Gruppe allerdings die große Mehrheit der Meinung, dass sie im Alltag benachteiligt werden. Die Besonderheit besteht hier darin, dass zu dieser Gruppe fast die Hälfte der Jugendlichen mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit gehören. Dies dürfte maßgeblich sowohl die vielen Hoffnungen als auch ihre Verunsicherung und das Benachteiligungsempfinden erklären.“ Ihre politische Positionierung sei ebenfalls „etwas nach links verschoben“.

Die Selbstbezogenen

17 Prozent lassen sich laut Shell-Studie als selbstbezogene Jugendliche charakterisieren. „Sie haben mehrheitlich Vertrauen in Staat und Gesellschaft, profilieren sich aber gleichzeitig vor allem durch ihre Kritik am Staat und an den gesellschaftlichen Verhältnissen. Ihre Haltung definieren die Selbstbezogenen vorrangig aus ihrer eigenen materiellen Perspektive. Die harsche Kritik, die sie trotz ihrer im Grundsatz positiven Sicht auf die Gesellschaft äußern, ist stark von Eigennutz und potenziellen Verlustängsten geprägt.“ Soziodemografisch betrachtet, gehörten etwas häufiger männliche Jugendliche, Jugendliche mit mittlerer oder niedriger Bildung sowie deutsche Jugendliche ohne Migrationshintergrund dazu. Politisch positionieren sie sich selbst eher in der Mitte.

Die Verdrossenen

Die restlichen 12 Prozent sind der Untersuchung zufolge die verdrossenen Jugendlichen. „Sie zeichnen sich durch ihre durchgängig kritisch-verdrossene Einstellung gegenüber Staat und Gesellschaft aus. Die Verdrossenen sehen sich als abgehängte und benachteiligte Modernisierungsverlierer. Sie positionieren sich konträr zu allem, was modern erscheint oder pluralisierten Lebensstilen entspricht. Soziodemografisch betrachtet, gehören Jugendliche aus dem Osten sowie vor allem Jugendliche mit niedriger Bildung häufiger zu dieser Gruppe. Die Anteile bei den männlichen und weiblichen Jugendlichen sind hingegen ausgeglichen, und auch hinsichtlich eines Migrationshintergrundes finden sich hier keine Besonderheiten.“ Die politische Positionierung sei bei ihnen im Vergleich deutlich rechts.

Was die meisten Jugendlichen eint

„Robuster Materialismus“ gewinnt den Studienautorinnen und -autoren als Wertemuster an Bedeutung. Fast drei Viertel (73 Prozent) der Jugendlichen streben demnach einen hohen Lebensstandard an. Hieran hat sich im Zeitverlauf bis auf einen leichten Anstieg nichts Grundlegendes geändert; junge Männer und Frauen lägen hier gleichauf. „Das individuelle Streben nach einem hohen Lebensstandard korreliert mit den Wertorientierungen »Macht und Einfluss haben« sowie »Sich und seine Bedürfnisse gegen andere durchsetzen«. Kommen diese Dinge zusammen, dann sprechen wir vom Wertemuster Materialismus“, so heißt es. Seine Bedeutung sei bei beiden Geschlechtern im Vergleich zu 2019 angestiegen, wobei das Bedürfnis nach Macht und Einfluss bei den jungen Männern (43 Prozent) deutlich stärker ausgeprägt sei als bei jungen Frauen (32 Prozent).

Was die Geschlechter trennt

Themen, die in der öffentlichen Debatte häufig als »progressiv« eingeordnet werden, finden bei der Studie zufolge bei jungen Frauen deutlich mehr Beachtung als bei Männern. „Ihnen ist Feminismus wichtiger (59 Prozent zu 20 Prozent), ebenso eine vielfältige, bunte Gesellschaft (72 Prozent zu 56 Prozent) und auch vegane Ernährung (21 Prozent zu 7 Prozent). Für junge Männer sind andere Themen relevant: Männlichkeit (67 Prozent zu 20 Prozent), sportliche Autos oder Motorräder (48 Prozent zu 14 Prozent), Wettbewerb (44 Prozent zu 36 Prozent) und Markenkleidung (44 Prozent zu 35 Prozent)“, so heißt es. 33 Prozent der jungen Frauen sprechen sich für das Gendern aus, aber nur 12 Prozent der jungen Männer. News4teachers

Hier lässt sich eine Zusammenfassung der Shell-Jugendstudie herunterladen.

Rechtsruck unter Jugendlichen? Fehlanzeige! Studie stuft sie als „leicht links“ ein

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Rainer Zufall
1 Jahr zuvor

Und jetzt?
Abstiegsängste, Verteilungskampf und eine unsichere Zukunft sind jetzt nichts unbedingt Neues oder überraschend.

Die Lösungen liegen weiterhin auf der Hand, geliefert wird aber weiterhin Migrationsfeindlichkeit (also auch Wahlkampf für die AfD) 🙁

Lisa
1 Jahr zuvor

Interessant erscheint mir die verschiedenene Werteorientierung bei jungen Männern und Frauen. Kommen sie dennoch zusammen? Oder ist ein Zusammenleben gar nicht mehr möglich?

Hysterican
1 Jahr zuvor
Antwortet  Lisa

Ich vermutet letzteres.

Daraus sollten wir auf jeden Fall den Schluss ziehen, dass wir in der nördlichen Hälfte unseres schönen Landes die Jungs / Männer a siedeln und in der südlichen Hälfte die Mädels / Frauen.

Warum diese Aufteilung?
Mädels / Frauen frieren erfahrungsgemäß mehr und schneller als Männer und im Süden ist es ja bekanntermaßen wärmer als im Norden.

😉

dickebank
1 Jahr zuvor

Und was ist jetzt mit den “ostdeutschen” (Binnen-)Migranten?

Hysterican
1 Jahr zuvor

… und wahrscheinlich sind 95% der Jugendlichen nicht befragt worden, woraus man dann -rein spekulativ- formulieren könnte, dass diese im Falle einer Befragung alles ganz toll finden, wie es gerade läuft und sie sich ansonsten keiner der benannten Gruppen zugehörig fühlen und auch keinen Bock haben, auf dusselige Befragungen zu antworten. 😉

Hysterican
1 Jahr zuvor
Antwortet  Redaktion

Vielen Dank, dass ihr über das Stöckchen gesprungen seid, das ich euch hingehalten habe.

Spricht nicht für die Funktionstüchtigkeit eures Ironie-Detektors. 😉