didacta – Prompten als Dienstleistung: Wie ein Lehrer (als Gründer eines Startups) den Kollegen Künstliche Intelligenz nahebringt

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STUTTGART. Künstliche Intelligenz ist Schwerpunktthema auf Europas größter Bildungsmesse, der heute in Stuttgart beginnenden didacta. Steffen Brill, Lehrer und Mitgründer des Startups Eduhu, erklärt im Interview, er mit Fortbildungen und einer Plattform Lehrkräften hilft, die Technik sinnvoll in den Unterricht zu integrieren. Dabei zeigt er auf, wo KI bereits echten Mehrwert bietet – und wo noch Nachholbedarf besteht. Fachjournalist Volker Jürgens (früher selbst Geschäftsführer eines IT-Bildungsunternehmens) sprach für News4teachers mit Brill.

KI kann Lehrkräfte in ihrem Berufsalltag unterstützen – das entsprechende Know-how vorausgesetzt. (Symbolbild). Illustration: Shutterstock

Volker Jürgens: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Lehrkräften KI nahezubringen?

Steffen Brill: Wir haben Eduhu vor gut zwei Jahren gegründet. Das entstand ursprünglich aus einer Motivation heraus, die meine Mitgründerin Michelle Wothe und ich aus unserer Perspektive als Lehrkräfte hatten. Wir waren beide zu der Zeit im Schuldienst tätig und hatten den Eindruck, dass uns ein Fortbildungsformat fehlt, das sehr nahe an der schulischen Praxis ist.

“Die letzten zwei Jahre waren sehr dynamisch”: Steffen Brill. Foto: Sandra Brill

Oft ist es so, dass man auf eine Fortbildung geht, die dann ein bisschen im luftleeren Raum stattfindet. Wir wollten etwas schaffen, das am nächsten Tag tatsächlich schon einen Unterschied im Unterricht machen kann, und zwar im Sinne von zeitgemäßem, modernerem Unterricht. Aus diesem Wunsch heraus haben wir gemeinsam mit anderen Mitstreitern, einem Software-Entwickler und einem Wirtschaftsinformatiker, Eduhu gegründet.

Ein Hauptschwerpunkt von uns sind Fortbildungen. Gleichzeitig ist in den letzten zwei, drei Jahren das Thema Künstliche Intelligenz ein Riesenthema geworden – nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in der Schule. Wir haben gemerkt, dass in diesem Bereich viel Dynamik herrscht und Schulen großes Interesse daran haben, diese neue Technologie kennenzulernen und als Ausgangspunkt für Veränderungen zu nutzen. Deshalb schulen wir heute fast ausschließlich im Bereich Künstliche Intelligenz in der Schule, insbesondere im Bereich der Unterrichtsvorbereitung.

Unser zweites Produkt neben den Fortbildungen ist eine Plattform, mit der Lehrkräfte mithilfe von Künstlicher Intelligenz ihren Unterricht vorbereiten können. Die Idee dazu entstand aus unserer eigenen Erfahrung als Lehrkräfte sowie aus den Fortbildungen. Wir haben festgestellt, dass Lehrkräfte bei den Fortbildungen oft zu ähnlichen Schlussfolgerungen kommen, was gut mit KI funktioniert. Diese Best Practices wollten wir einer größeren Anzahl von Lehrkräften zugänglich machen. Deshalb haben wir eine Plattform entwickelt, die die Arbeit vereinfacht und das Gelernte übersetzt, damit nicht jede Lehrkraft bei null anfangen muss. Auf diese Weise können sie von dem profitieren, was sie in den Fortbildungen gelernt haben.

Volker Jürgens: Das sehe ich genauso. Man gibt sozusagen eine Hilfestellung. Produkte, die den Arbeitsalltag erleichtern, finden in der Lehrerschaft auch eine entsprechende Resonanz, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Wie sehen Sie die Entwicklung von KI? Für mich ist es ein wichtiges Thema, zu beurteilen, wie exponentiell oder eben nicht exponentiell diese Entwicklung verläuft.

Steffen Brill: Künstliche Intelligenz ist eigentlich schon seit Jahrzehnten ein Forschungs- und Entwicklungsthema. Aber so richtig ins Bewusstsein von uns Otto-Normal-Techniknutzer*innen ist es erst mit ChatGPT gekommen. Seitdem hat man schon den Eindruck, dass die Entwicklung exponentiell verläuft. Oft denkt man: „Das ist schon super, aber der nächste Schritt wird sicher eine Weile dauern.“ Doch dann tritt dieser viel schneller ein, als man erwartet hätte.

Die letzten zwei Jahre waren sehr dynamisch. Aber jetzt haben wir das Gefühl, dass sich die Entwicklung ein wenig verlangsamt. Der nächste große Versionssprung lässt auf sich warten. Das liegt vielleicht auch daran, dass die Entwickler vorsichtiger geworden sind, weil wir ein Niveau erreichen, das der menschlichen Intelligenz immer näher kommt. Man spricht hier von AGI (Artificial General Intelligence), also von einer Intelligenz, die den Menschen übertrifft. Trotzdem bleibt die Dynamik hoch. Gleichzeitig sehen wir, dass die Diskrepanz zwischen dem, was die Technologie bietet, und dem, was Lehrkräfte darüber wissen, oft groß ist. Viele Lehrkräfte haben sich bisher noch gar nicht mit den Technologien auseinandergesetzt.

Volker Jürgens: Dann stellt sich direkt die Frage nach dem leidigen Thema Datenschutz, das ja oft als vorgeschobenes Argument dient, wenn man bestimmte Dinge nicht umsetzen möchte. Wie sieht es diesbezüglich bei Plattformen aus?

Steffen Brill: Viele Anbieter kommen aus dem außereuropäischen Raum und unterliegen daher nicht den europäischen Datenschutzrichtlinien. Für Lehrkräfte ist das vergleichbar mit der privaten Nutzung von Instagram oder Facebook: Man geht ein eigenes Risiko ein, da andere Regeln für Datenverarbeitung, Speicherung und Nutzung gelten.

Bei der Nutzung durch Schülerinnen und Schüler sieht das natürlich anders aus. Hier müssen höhere Standards erfüllt werden. Es gibt mittlerweile Möglichkeiten, Software so zu gestalten, dass keine direkte Datenvermittlung zwischen Nutzer*innen und Dienstleister*innen stattfindet. Es gibt auch Anbieter, die speziell den Schulkontext im Blick haben und besondere Datenschutzregeln einhalten.

Wir bei Eduhu-KI arbeiten nur mit Lehrkräften und haben es so gelöst, dass kein direkter Datenaustausch mit amerikanischen Servern stattfindet. Dadurch stellt sich die Datenschutzproblematik in unserem Fall nicht.

Volker Jürgens: Können Sie noch einmal den Mehrwert von KI für den Schulalltag erläutern und dabei zwischen Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern sowie Verwaltungsaufgaben differenzieren?

Steffen Brill: Gerne. Fangen wir mit der Verwaltung an: Viele der sogenannten „Fleißaufgaben“ lassen sich gut mit Sprachsystemen erledigen. Zum Beispiel, wenn ich klare Vorstellungen habe, was ein Text enthalten und welchen Ton er haben soll, kann ich diese Informationen als Stichpunkte eingeben und das System einen Fließtext erstellen lassen.

Für Lehrkräfte sehe ich den größten Mehrwert in der Co-Kreation mit KI-Tools – also in der Zusammenarbeit bei der Unterrichtsvorbereitung. Man kann die Tools als Sparringspartner oder „Critical Friend“ nutzen, um Ideen zu prüfen, sich inspirieren zu lassen und Feedback zu erhalten. Besonders hilfreich ist das bei der Differenzierung. KI kann dabei helfen, Unterrichtsmaterialien für verschiedene Leistungsniveaus schnell und passgenau zu erstellen. In der Eduhu-KI gelingt das in wenigen Sekunden mit einem Knopfdruck.

Auf Schülerseite geht es vor allem darum, die Systeme kennenzulernen und ihre Stärken und Schwächen zu reflektieren. Schülerinnen und Schüler sollten lernen, Ergebnisse der KI kritisch zu hinterfragen und mit anderen Quellen zu vergleichen. Das ist wichtig, weil die Systeme manchmal falsche Informationen liefern.

Volker Jürgens: Das klingt sehr sinnvoll. Differenzierung hatten Sie als einen wichtigen Mehrwert genannt. Können Sie das noch weiter ausführen?

Steffen Brill: In allen Schulformen ist Differenzierung wichtig, weil die Heterogenität der Schülerinnen und Schüler in den Klassen groß ist. Differenzierung bedeutet oft, individuelle Arbeitsaufträge oder Materialien bereitzustellen, die auf das Leistungsniveau der jeweiligen Schülerinnen und Schüler abgestimmt sind. Das ist sehr arbeitsintensiv für Lehrkräfte.

Mit KI kann man Materialien, die bereits vorhanden sind, einfach anpassen, ohne dass das Risiko von Falschinformationen besteht. Wenn ich als Lehrkraft genau beschreiben kann, wie ein Text für einen bestimmten Schüler aussehen soll, kann ein KI-System wie ChatGPT diesen Text gut erstellen. So lässt sich mit viel weniger Aufwand ein passendes Lernangebot schaffen.

In der Praxis wird Differenzierung oft stiefmütterlich behandelt, weil der Aufwand so hoch ist. Mit KI haben Lehrkräfte die Möglichkeit, differenzierten Unterricht mit deutlich weniger Arbeitsaufwand umzusetzen.

 „Ich sehe in Plattformen, die speziell für Lehrkräfte aufbereitet sind, ein riesiges Potenzial“

Volker Jürgens: Dann würde ich gerne eine Lanze für die Lehrerinnen und Lehrer brechen. Die Klassen sind doch einfach zu groß, um großartig zu differenzieren – dafür fehlt schlicht die Zeit. Das ist ein grundlegendes Problem, das wir generell in der deutschen Schullandschaft haben: erstens zu wenig Lehrerinnen und Lehrer, und zweitens zu große Klassen. Daher finde ich es toll, wenn Technik dabei helfen kann. Jetzt sehe ich schon, dass Schüler*innen ChatGPT, Copilot und ähnliche Tools auch eigenständig nutzen können, ohne eine Plattform zu brauchen. Wie sehen Sie die Vorteile einer gut durchdachten und betreuten Plattform?

Steffen Brill: Ich habe ja auch einen Hintergrund in der Bildungsforschung und arbeite seit gut zwei Jahren an einem Projekt, das sich mit der Frage beschäftigt, wie Transfer gelingen kann. Es geht darum, wie man gute, empirisch validierte Konzepte aus der Wissenschaft in die Praxis bringen kann, sodass Schulen tatsächlich davon profitieren. Das Problem ist nämlich nicht, dass wir nicht wissen, wie es geht, sondern dass wir es nicht umsetzen können.

Ähnlich sehe ich das bei der Schulausstattung: Wir haben großartige Anbieter mit tollen Tools. Aber die Frage ist, wie diese Tools tatsächlich genutzt werden. Ich fand es schön, dass Sie die Lehrkräfte erwähnt haben. Ich bin ja selbst Lehrkraft und weiß aus eigener Erfahrung, dass es nicht daran liegt, dass Lehrer*innen keinen guten Unterricht machen oder keine Technologie einsetzen möchten. Es ist vielmehr eine Frage der Zeit und Priorisierung. Da bleibt viel auf der Strecke.

Deswegen sehe ich in Plattformen, die speziell für Lehrkräfte aufbereitet sind, ein riesiges Potenzial. Sie müssen einfach gut zugänglich sein, damit sie genutzt werden können. Unser Ziel ist es, dass Lehrkräfte sie problemlos verwenden können. Wir legen deshalb großen Wert darauf, dass die Systeme intuitiv bedienbar sind, gut funktionieren und keine wochenlangen Schulungen erfordern. Und genau dieses Feedback erhalten wir auch von Lehrkräften bei der Nutzung der eduhu-KI.

Volker Jürgens: Das heißt, die Plattformen übernehmen sozusagen das “Prompten” als Dienstleistung?

Steffen Brill: Genau. Unsere Plattform erstellt Prompts basierend auf den Eingaben der Nutzer*innen, deren Lehrstil und den spezifischen Anforderungen ihrer Lerngruppen. Natürlich kann man sich auch selbst intensiv mit ChatGPT und Prompt-Engineering beschäftigen und ähnliche Ergebnisse erzielen, wenn man viel Zeit investiert.

Wir glauben jedoch, dass wir das effektiv leisten können, weil unsere Prompts flexibel und passgenau gestaltet sind. Sie berücksichtigen, wer die Lehrkraft ist, wie sie unterrichten möchte und welche Bedürfnisse die Lerngruppe hat. Diese Informationen fließen direkt in die Prompts ein.

Es ist sehr anspruchsvoll, solche Prompts für jeden Fall selbst zu erstellen. Außerdem nutzen wir zusätzliche Quellen, nicht nur ChatGPT. Unser Ziel ist es, ein Produkt zu bieten, das sofort für Lehrkräfte und ihre Lerngruppen funktioniert. Wir übernehmen dabei die technische Detailarbeit.

„Die IT-Affinität ist tatsächlich weniger eine Altersfrage, sondern eher eine Frage der Offenheit für Innovationen und Technologien“

Volker Jürgens: Sie haben Fortbildungen für Lehrkräfte erwähnt. Was lernen diese dort konkret? Geht es darum, wie sie die richtigen Prompts schreiben, oder darum, die Plattform zu bedienen?

Steffen Brill: Grundsätzlich sind das zwei getrennte Bereiche. Der Inhalt der Fortbildung hängt stark vom Bedarf der jeweiligen Schule ab. Meistens bieten wir eine grundlegende Einführung in die Technologie an. Das ist so grundlegend, dass es auch bei Weiterentwicklungen wie einem neuen Versionssprung von ChatGPT relevant bleibt. Es geht darum, das grundlegende Prinzip der wahrscheinlichkeitsbasierten Generierung von Texten und Material zu verstehen.

Dieses Wissen hilft, die Stärken und Schwächen verschiedener Tools besser einzuschätzen. Danach zeigen wir konkrete Anwendungsfälle für den Unterricht. Hierbei kann unsere Plattform genutzt werden, aber auch andere. Die Fortbildung soll Lehrkräften Beispiele geben, wie sie solche Systeme nutzen können, und sie ermutigen, ihre eigenen Präferenzen und Arbeitsweisen zu reflektieren.

Zusätzlich bieten wir optional an, über weiterführende Themen zu sprechen: Wie können Schüler*innen mit diesen Tools arbeiten? Was bedeutet das für das Schulkonzept, Richtlinien oder Prüfungen? Der Fortbildungstag ist flexibel und richtet sich nach den Wünschen der Lehrkräfte.

Volker Jürgens: Wie haben sich die KI-Kompetenzen an deutschen Schulen aus Ihrer Sicht in den letzten zwölf Monaten entwickelt? Es gibt die Profis, aber auch die weniger IT-affinen Lehrkräfte.

Steffen Brill: Das stimmt. Die IT-Affinität ist tatsächlich weniger eine Altersfrage, sondern eher eine Frage der Offenheit für Innovationen und Technologien. Momentan sehen wir in den Kollegien ein ähnliches Bild: Etwa zehn Prozent sind wirkliche „Heavy User“, die viel mit ChatGPT oder ähnlichen Tools arbeiten, auch im Unterricht. Am anderen Ende gibt es ebenfalls etwa zehn Prozent, die noch nie in Kontakt mit diesen Tools gekommen sind.

Die Mehrheit, also etwa 80 Prozent, hat schon erste Erfahrungen gemacht, nutzt diese aber noch nicht systematisch. Die meisten haben zumindest einen Aha-Moment erlebt, verfolgen das Thema aber nicht weiter.

In Studien sehen wir, dass die Gruppe derjenigen, die keinen Kontakt mit KI haben, immer kleiner wird. Aktuell nutzen etwa 50 Prozent der Lehrkräfte KI regelmäßig.

Volker Jürgens: Ich persönlich denke, dass Fort- und Weiterbildungen in diesem Bereich extrem wichtig sind. Ich habe gerade einen Artikel über Berlin gelesen, wo flächendeckend Copilot angeboten wird – zumindest als Option für Lehrkräfte. Das ist wohl mit umfangreichen Schulungen verbunden, um die Lehrerinnen und Lehrer an diese Thematik heranzuführen. Ich glaube, das ist das A und O. Das betrifft aber viele IT-Anwendungen in Schulen: Es müssen entsprechende Fortbildungsangebote geschaffen werden, und es wäre wichtig, dass sie auch wahrgenommen werden. Gibt es noch etwas, das Sie hinzufügen möchten?

Steffen Brill: Ja, vielleicht noch ein Gedanke: In Schulen gibt es grundsätzlich sehr viele Themen, zu denen man sich regelmäßig fortbilden sollte. In der Regel hat eine Schule zwei Fortbildungstage im Jahr sowie die individuelle Fortbildungsverpflichtung der Lehrkräfte. Vielleicht schafft die Schulleitung auch zusätzlichen Raum dafür. Das reicht aber einfach vorne und hinten nicht, unabhängig davon, um welches Thema es geht.

Auch wenn wir ein Tool entwickeln, das Lehrkräften KI zugänglicher machen soll, bleibt es wichtig, dass Lehrkräfte selbst eine gewisse KI-Kompetenz aufbauen – also auch eigenständig prompten können. Deswegen ist das Prompting Teil unseres Fortbildungstages, und wir bieten den Lehrkräften Möglichkeiten, dranzubleiben.

Trotzdem sehe ich, dass es angesichts der Vielzahl an Aufgaben, die Lehrkräfte bewältigen müssen, schwierig ist, noch mehr zu verlangen. Deshalb verfolgen wir ein Zwei-Gleise-Prinzip: Einerseits legen wir großen Wert auf Fortbildung, um KI-Kompetenzen zu vermitteln. Andererseits wollen wir die Vorteile von KI und anderen Technologien auch möglichst niederschwellig zugänglich machen, um gleichzeitig den Unterricht zu verbessern und die Lehrkräfte zu entlasten. News4teachers

Eduhu ist auf der didacta als Mitaussteller vertreten: Halle 1, Stand 1E62.

didacta-Sonderschau: Wie KI im Unterricht sinnvoll eingesetzt wird (und: Wie nicht)

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