Bedroht die Brombeere die Gemeinschaftsschule? Streit ums Sitzenbleiben kocht hoch

9

ERFURT. Das Thüringer Bildungsministerium will die Schulordnung ändern – und stößt auf Widerstand vieler Gemeinschaftsschulen. Nun gab es eine Demonstration vor dem Landtag.

Die Brombeere regiert Thüringen. Foto: Shutterstock

Schüler, Eltern und Lehrer haben vor dem Thüringer Landtag gegen eine von der Landesregierung geplante Änderung der Schulordnung demonstriert. Die etwa 150 bis 200 Demonstranten wandten sich unter anderem gegen die geplante Neuregelung von Versetzungsentscheidungen und die mögliche Wiedereinführung von Kopfnoten. Beides sieht der aktuelle Regierungsentwurf vor. Schulen sollen unter anderem verpflichtet werden, Nicht-Versetzungen bereits ab der sechsten Klasse vorzusehen.

Bildungsstaatssekretär Bernd Uwe Althaus sagte, er nehme den Protest ernst, habe aber ein Problem damit, wenn man Kinder während des Schultags zu Demonstranten stelle und ihnen Plakate in die Hand drücke. Schüler hielten während der Kundgebung Plakate hoch, auf denen zum Beispiel stand «Kopfnoten? Erst mal Kopf anschalten!» oder «Ich will lernen, keine Noten jagen».

Gerade eine Versetzungsentscheidung ab Klasse 6 ist bei vielen Gemeinschaftsschulen im Freistaat umstritten, weil diese nach ihren Schulkonzepten erst später mit der Notenvergabe beginnen beziehungsweise Versetzungsentscheidungen treffen. Die jeweiligen Schulkonzepte waren in der Vergangenheit von den einzelnen Schulkonferenzen beschlossen worden.

«Keine einzige Schule ist in Gefahr, keine Schulart wackelt, wird benachteiligt oder gar abgeschafft, sodass die ausgerufene Rettung des Thüringer Schulfriedens überhaupt nicht notwendig ist»

Kurz nach Beginn der Demonstration befasste sich der Bildungsausschuss des Landtags mit der geplanten Änderung. Nach Angaben der Linke-Bildungspolitikerin Ulrike Grosse-Röthig beantragte ihre Fraktion, den entsprechenden Tagesordnungspunkt öffentlich zu behandeln. Dafür fand sich im Ausschuss keine ausreichende Mehrheit. Der Tagesordnungspunkt wurde deshalb hinter verschlossenen Türen behandelt.

Die Thüringer Grünen kritisierten, dass die entsprechende Diskussion nicht-öffentlich geführt werde. «Es ist mehr als heuchlerisch, auf der Demonstration Dialogbereitschaft und Transparenz zu versprechen und dann eine öffentliche Behandlung im Ausschuss zu verhindern», sagte die Grüne-Landessprecherin Ann-Sophie Bohm. Die umstrittene Änderung der Schulordnung solle offenkundig ohne Beteiligung der Betroffenen durchgewinkt werden. Die Grünen sind nicht mehr im Landtag vertreten. Thüringen wird von einer sogenannten Brommbeer-Koalition aus CDU, BSW und SPD regiert.

Bei der Kundgebung kritisierten Redner, das Bildungsministerium versuche mit dem Entwurf für die neue Schulordnung unter dem Deckmantel einer angeblichen Gleichbehandlung der verschiedenen Schulformen in Wahrheit Gleichmacherei zu betreiben. Damit drohe vielen Gemeinschaftsschulen im Freistaat in ihrer bisherigen Form das Aus.

Staatssekretär Althaus wies das zurück. Er halte diese Kritik für nicht gerechtfertigt, sagte er. Es sei nötig, mit Schulgesetz und Schulordnung Vorgaben für die Schulen zu machen, die dann noch immer genügend Raum für individuelle Schulkonzepte ließen.

Auch die bildungspolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion, Carolin Gerbothe, versuchte Vorwürfe zu zerstreuen, es drohten mit einer neuen Schulordnung Schließungen von Gemeinschaftsschulen. «Keine einzige Schule ist in Gefahr, keine Schulart wackelt, wird benachteiligt oder gar abgeschafft, sodass die ausgerufene Rettung des Thüringer Schulfriedens überhaupt nicht notwendig ist», sagte sie. Die Diskussion um eine Novelle dieser Verordnung habe gerade erst begonnen. Für die CDU gehörten Fördern und Fordern aber zusammen. «Deshalb ist das Vorhaben zur Versetzungsentscheidung und Einführung von Kopfnoten richtig.»

Bildungsminister Christian Tischner (CDU) war nicht zu den Demonstranten gekommen und nahm auch nicht an der Sitzung des Bildungsausschusses teil. Nach Angaben seines Ministeriums war er im Zuge der Koalitionsverhandlungen von CDU/CSU und SPD auf Bundesebene in Berlin.

„Zurück ins Bildungssystem der 80-er Jahre“: Brombeere für Sitzenbleiben und Kopfnoten

Anzeige

Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

9 Kommentare
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
Uhrmacher
6 Monate zuvor

Nur wenn man das Sitzenbleiben als Strafe auffasst, kann man es schlimm finden. Man kann es aber auch als zweite Chance sehen. Kinder, die von der Einschulung zurückgestellt werden, bleiben ja auch in gewisser Weise “sitzen”. Das sieht niemand kritisch, glaube ich. Die haben einfach noch mal ein Jahr Zeit.

In Brandenburg gibt es ein neues Kopfnotenmodell mit Kategorien, die auf das Arbeitsleben vorbereiten. Nehme man doch das.

Illuminator
6 Monate zuvor
Antwortet  Uhrmacher

Jemanden ein Schuljahr wiederholen zu lassen, obwohl er mit entsprechender Förderung – und dies vermutlich auch nur in einer begrenzten Anzahl an Fächern – den Anschluss hätte halten können, kann durchaus eine Strafe sein. Wenn Lehrkräfte nur noch mit der Androhung des Sitzenbleibens als Strafmaßnahme schulische Leistungen einfordern können/wollen, läuft einiges schief – und nicht nur auf Schülerseite. Zusätzlich angesetzte Förderstunden wären für Schüler übrigens in dieser Denke auch schon eine “Zeitstrafe”, ohne dass diese deswegen ein ganzes Jahr wiederholen müssten.

Rüdiger Vehrenkamp
6 Monate zuvor

Ich kann wieder nur für BW sprechen: Gemeinschaftsschulen waren hier nicht die erhoffte Lösung. Die Einführung kam damals über viele Köpfe hinweg – man drohte Hauptschulen, sie zu schließen, wenn sie sich nicht auf den Weg zur Gemeinschaftsschule machen. Neues Label, mehr Arbeit für die Lehrkräfte, schlechtere Leistungen der Schülerinnen und Schüler. Verbessert hat sich nichts.

In Thüringen will man nun mit Kanonen auf Spatzen schießen, vor allem wenn man sich die Diskussion anschaut, die im Dezember 2022 in Thüringen geführt wurde, vgl.:
https://www.sueddeutsche.de/bildung/bildung-kontroverse-debatte-ueber-geplantes-schulgesetz-in-thueringen-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-221209-99-838367

Die jetzigen Demonstranten demonstrieren gegen nichts Geringeres als das Leistungsprinzip. Wohin uns das brachte, sehen wir alljährlich bei PISA und im Bildungsmonitor.

Rainer Zufall
6 Monate zuvor

Daumendrück für die Betroffenen!

Caro
6 Monate zuvor

Die Brombeere: Je mehr Rot, desto unausgereifter.

Lera
6 Monate zuvor
Antwortet  Caro

Ja, genau, weil schwarz ja für langfristig ausgereifte Positionen steht, wie man aktuell sieht. LÖL

Herbert Schmidt
6 Monate zuvor
Antwortet  Lera

Wie man aktuell sieht, bedeutet schwarz auch nur rot.

Realist
6 Monate zuvor

Sitzenbleiben kostet Geld und Lehrkräfte. Wenn nur einer pro Klasse sitzen bleibt, braucht man ca. 4% mehr Lehrkräfte. Das will die Politik vermeiden. Also schwafelt man sich zusammen, dass Sitzenbleiben “pädagogisch unsinnig” sei oder einen “Strafcharakter” habe.

Ist doch ganz einfach.

Marie
6 Monate zuvor
Antwortet  Realist

Wenn nur einer pro Klasse sitzen bleibt, braucht man ca. 4% mehr Lehrkräfte.“ Wie kommen Sie auf diese Zahl? Man stellt halt einfach in der neuen Klasse einen Stuhl dazu, mehr LK braucht man nicht.