BERG. Junge Lehrerinnen und Lehrer, die mit modernen pädagogischen Ideen in den Schuldienst starten, stoßen oft schnell an Grenzen – viele verlassen entmutigt die Schule oder verzichten nach dem Studium ganz auf den Vorbereitungsdienst. Dem will ein in Deutschland einzigartiges Programm entgegenwirken: Das Neue Referendariat der Akademie Biberkor, das gerade seinen fünften Jahrgang verabschiedet hat, ermöglicht angehenden Lehrkräften eine alternative Ausbildung. Es verknüpft Hospitationen an innovativen Schulen mit intensiver Selbstreflexion und Persönlichkeitsentwicklung – mit dem Ziel, resiliente Lehrkräfte zu formen, die im Beruf bleiben und sich ständig weiterentwickeln können. Welche Erfahrungen hat das Programm in fünf Jahren gemacht und wie will es dem Lehrkräftemangel begegnen? Die Programmleiterin Dr. Flora Nieß zieht im Interview Bilanz.

Die Akademie Biberkor hat gerade den fünften Jahrgang des Neuen Referendariats verabschiedet. Was macht diesen besonderen Weg in den Lehrer:innenberuf für Sie so einzigartig?
Dr. Flora Nieß: Im Neuen Referendariat kommen junge Pädagoginnen und Pädagogen zusammen, die als Lernbegleitende eine neue Art der Pädagogik umsetzen wollen. Das heißt, sie haben für sich eine klare pädagogische Haltung gefunden und ihre Fähigkeit zur Selbstreflexion ist hoch. Sie sind bereit, neue Wege zu suchen und zu gehen. Das führt allerdings häufig dazu, dass sie spätestens nach dem Studium für sich feststellen, dass sie in der regulären Schulpraxis so meist nicht arbeiten können. Oder sie stoßen im Vorbereitungsdienst auf Bedingungen, die sie in ihrem Anspruch an Pädagogik und Schule desillusionieren. So verlassen großartige und engagierte Pädagoginnen und Pädagogen den Schulbereich. Das ist insbesondere mit Blick auf den Lehrkräftemangel, mit dem das Bildungssystem aktuell herausgefordert ist, ein echtes Problem.
Wir zeigen mit dem Neuen Referendariat neue Möglichkeiten auf. Wir öffnen Türen zu innovativen Schulen und zeitgemäßen pädagogischen Ansätzen. Wir geben zudem das entsprechende methodisch-didaktische Repertoire an die Hand, das diese Schulen und Lernbegleitenden dort brauchen. Außerdem zeigen wir, wie sie als Lernbegleitende systematisch eine professionelle Persönlichkeit aufbauen, die es ermöglicht, langfristig resilient und stabil in diesem Beruf nicht nur zu bleiben, sondern auch ständig wachsen zu können. So schaffen wir neue Perspektiven für junge Lehrkräfte im staatlichen Schulbereich ebenso wie an Schulen in freier Trägerschaft. Sie können nach dem Neuen Referendariat gestärkter in den regulären Vorbereitungsdienst gehen oder sich für eine Laufbahn ohne Verbeamtung an einer Schule in freier Trägerschaft entscheiden. Es ist vieles möglich.
Wenn Sie zurückblicken: Was hat sich in den vergangenen fünf Jahren im Programm verändert – auch im Hinblick auf die sich wandelnde Bildungslandschaft?
Wir sind mit dem Neuen Referendariat kurz vor der Corona-Pandemie gestartet und mussten dann sehr schnell das Thema Digitalisierung und Agilität in Schule verhandeln. Dabei konnten wir gleich zeigen, dass wir das, was wir lehren, auch leben. Wir waren in der Lage, unser Programm fast über Nacht komplett umzustellen. Das hat mir wieder ganz deutlich gezeigt: Es fehlt in einem so komplexen und starren System, wie es das Bildungssystem in Deutschland ist, nicht an mangelnden Fähigkeiten oder Wissen, sondern an der Beweglichkeit, die es erlaubt, Neues umzusetzen.
Es gibt einige innovative Schulen mit großem Gestaltungswillen. Sie setzen eine Pädagogik um, die unsere Zeit verlangt. In der Breite kommt das zwar oft noch viel zu langsam an, trotzdem lohnt es sich zu zeigen, dass es geht. Ähnlich sehe ich das Neue Referendariat in der Lehrkräftebildung. Wir können Impulse geben und beständig zeigen, was in der Praxis möglich ist.
Dazu richten wir den Blick fortlaufend auf die Anforderungen, denen wir uns im Bildungssystem aktuell stellen müssen.
Viele Lehrkräfte spüren, wie die Herausforderungen in Schule und Gesellschaft wachsen. Wie bereitet das Neue Referendariat junge Pädagoginnen und Pädagogen gezielt auf diese Realität vor?
Im Neuen Referendariat haben wir einen genauen Blick auf die Schmerzpunkte des Berufs. Dazu zählen heute insbesondere hohe emotionale und soziale Herausforderungen. Wir setzen auf die Faktoren, von denen wir wissen, dass sie langfristig stärkend sind: Beziehungen gestalten, Selbstwirksamkeitserleben und intrinsische Motivation, Resilienz, Persönlichkeitsentwicklung. Die Frage ist: Welche Werkzeuge brauche ich, um ständige Veränderung, die die Realität an Schule ist, regieren zu können, statt immer nur hinterher zu reagieren? Es geht darum, zu erkennen, wo ich handlungsfähig bin, wo ich mir Unterstützung holen kann, woher ich Energie nehme und was mir Energie raubt. Was Lehrkräfte heute brauchen, sind moderne Führungskompetenzen. Sie müssen die Verantwortung übernehmen können – zunächst für sich selbst und dann natürlich für die Gruppe, die sie führen.
Sie nennen die Persönlichkeitsentwicklung und das Lernen „in Beziehung“ als wichtige Elemente im Neuen Referendariat. Was bedeutet das konkret im Ausbildungsalltag – und was verlangt das von den Beteiligten?
Zunächst einmal brauchen die Referendarinnen und Referendare eine gute Beziehung zu sich selbst. Sie sollten wissen, was sie ausmacht als Mensch und als Begleitende von Lernprozessen. Was sind meine Werte, wo erlebe ich Sinnhaftigkeit in meinem Beruf, was brauche ich, um gut arbeiten zu können, was hindert mich? Mit dieser Klarheit kann ich wesentlich besser erkennen, warum mich manche Umstände, manche Situationen in der Arbeit mit Schüler:innen oder im Kollegium extrem herausfordern, vielleicht sogar verzweifeln lassen, und wie ich für mich Bedingungen schaffen kann, die mich fördern. So entsteht auch ein gutes Fundament für die Beziehung zu den Schüler:innen. Denn wer aus der eigenen Mitte heraus agiert, leitet und begleitet oft mit größerer Gelassenheit und Sicherheit.
Darüber hinaus setzen wir auf das soziale Lernen in der Peer-Group. Die Referendarinnen und Referendare verbringen während ihrer Ausbildung intensiv Zeit miteinander, lernen sich gegenseitig Feedback zu geben und Feedback zu nehmen und werden sich gegenseitig zur wichtigen Stütze über das Ausbildungsjahr hinaus. Auch die Beziehung zwischen Referendar:in und Mentor:in an der Ausbildungsschule ist zentral und wird von uns begleitet.
Die Referendarinnen und Referendare sind während des Ausbildungsjahres viel in Deutschland unterwegs – ein ungewöhnlicher Ansatz. Was steckt hinter diesem reisenden Lernformat?
Wir können viel erzählen, was gute Pädagogik ist. Wirklich greifbar wird es erst, wenn wir sie selbst erleben können. Die Referendar:innen besuchen deshalb Schulen – viele davon Preisträgerschulen des Deutschen Schulpreises – in ganz Deutschland, die ein besonders zukunftsfähiges pädagogisches Konzept umsetzen. Dazu gehören zum Beispiel digital gestützte Konzepte ebenso wie handlungsorientierte Pädagogik in einem Hofschulprojekt. Wir besuchen Montessori-Schulen mit Jugendschulprojekten und eine Universitätsschule. Es geht darum zu zeigen, dass ausgezeichnete Pädagogik sehr unterschiedlich sein kann. Die Anforderung dabei ist auch, sich zu fragen, welche Form der Pädagogik kann und möchte ich als Lernbegleitende umsetzen? Die Referendarinnen und Referendare hospitieren an den Schulen und gehen dann in ein Seminar zu einem thematischen Schwerpunkt, den sie in der Schule auch tatsächlich beobachten und erleben können.
In ganz Deutschland fehlen Lehrkräfte und Schulleitungen. Wie trägt das Neue Referendariat zur Lösung dieses Problems bei – kurzfristig und strukturell?
Wenn ich Lehrkräfte nach dem Warum frage, dann ist es meist die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen, die sie erfüllt und antreibt. Lernen individuell zu begleiten ist das Anliegen. Wenn das aber nicht möglich ist, weil es keinen Raum gibt für Beziehung, und dafür, die Kinder und Jugendlichen wirklich in ihrer Entwicklung sehen zu können, dann macht die Arbeit wenig Sinn und wir verlieren gerade die Lehrkräfte, die viel Potential für diesen Beruf haben. Hinzu kommen Strukturen in der Schule, die wenig darauf abzielen, dass sich das individuelle Potential der Lehrkräfte selbst entwickeln kann.
Im Neuen Referendariat erhalten Lernbegleitungen den Raum, für sich neue Perspektiven zu entwickeln. Sie werden flexibler im Denken und Handeln und entdecken damit gleichzeitig neue Gestaltungsräume für ihre Arbeit.
Wir unterstützen auch Schulleitungen und die Mentor:innen darin, das Neue Referendariat für die Schulentwicklung zu nutzen und so ganzheitlich Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sich Lehrkräfte wieder animiert fühlen, ihren Beruf mit Freude auszuüben.
Für wen ist das Neue Referendariat besonders geeignet? Was sagen Absolventinnen und Absolventen rückblickend über ihre Erfahrungen?
Besonders geeignet ist das Neue Referendariat für junge Lehrkräfte oder Quereinsteiger:innen, die Lust auf neue Pädagogik haben und bereit sind, dafür neue Wege zu gehen. Dabei ist es möglich, das Neue Referendariat vor oder nach dem regulären Vorbereitungsdienst der Bundesländer zu durchlaufen und den staatlichen Weg inklusive Verbeamtung anzustreben; oder aber in einer Schule in freier Trägerschaft ohne Verbeamtung tätig zu sein.
Wir holen uns ständig Feedback von den Referendar:innen, übrigens auch von den Ausbildungsschulen und den Mentor:innen. Auf der Homepage und den Social-Media-Kanälen der Akademie Biberkor kann man viel dazu lesen.
Und wie können interessierte Schulen oder Träger Teil des Netzwerks werden? Was sind die Voraussetzungen – und was bringt es den Schulen?
Schulen können Ausbildungsschulen werden. Außerdem sind wir sehr offen für Schulträger und Kooperationspartner, die Interesse haben, das Neue Referendariat in ihrer Organisation weiterzudenken oder neue Synergien zu schaffen.
Interessierte Schulleitungen können sich einfach bei uns melden, wir prüfen dann, ob ihre Schule bereits das Entwicklungspotential besitzt, um Ausbildungsschule werden zu können. Der Vorteil: Sie können mit dem Neuen Referendariat ihr Kollegium durch gut ausgebildete Lehrkräfte ergänzen, die zu ihrem pädagogischen Profil passen. Sie werden außerdem Teil des Netzwerks des Neuen Referendariats und haben damit Zugang zu vielen Schulen und Lernbegleitenden in ganz Deutschland, die neue Pädagogik umsetzen. Darüber hinaus lassen sich die Inhalte des Neuen Referendariats für die komplette Schule direkt in der Praxis nutzen. Wer Neue Referendar:innen ausbildet, bekommt also auch noch einmal Unterstützung und Impulse für die Schulentwicklung.
Was ist für die kommenden fünf Jahre geplant – und wie soll das Neue Referendariat weiterentwickelt werden?
In den kommenden fünf Jahren wollen wir das Neue Referendariat weiter ausbauen und mehr Schulen sowie Schulträgern zugänglich machen. Wichtig ist uns, dass mehr Lernbegleitende nach dem Studium im Beruf bleiben und langfristig Perspektiven sehen. Dafür braucht es neben der Unterstützung der Lehrkräfte auch eine gezielte Stärkung der Schulleitungen, da sie für die Schulentwicklung entscheidend sind. Gleichzeitig entwickeln wir das Neue Referendariat kontinuierlich in der Praxis weiter – und ich freue mich sehr auf all das, was wir dabei noch gemeinsam entdecken und gestalten werden.
Weitere Infos unter: www.akademie-biberkor.de
Dies ist eine Pressemeldung der Akademie Biberkor/Montessori Biberkor e.V.









So war mein Ref auch vor fast 15 Jahren, inkl. 70-Stunden-Wochen. Brauchbares haben wir kaum gelernt.
70 Stunden Woche? Ernsthaft? Haben Sie zu jeder Stunde einen 10 seitigen Unterrichtsentwurf geschrieben?
Nein, aber intransparente Leistungerwartungen und mehr Stunden als gesetzlich vorgesehen führten dazu.
Ist jetzt ein “Lernbegleitender” so etwas wie eine pädagogische Assistenzkraft?
Nein
Was für ein Müll. Glaubt jemand wirklich, dass eine Verbesserung der Ausbildungsjahre zu einer Verbesserung des tatsächlichen Arbeitsleben führt?