BERLIN. Auf der Konferenz Bildung Digitalisierung wurde die Politik der Kultusminister scharf attackiert: Statt Schulen digital souverän zu machen, haben sie mit Logineo & Co. Millionen versenkt und zugleich die Innovationskraft der deutschen EdTech-Szene ignoriert. Das Resultat: Abhängigkeit von US-Tech-Konzernen. Der Digitalpakt 2.0 könnte der digitalen Bildung in Deutschland eine neue Perspektive geben – wenn…

Auf der diesjährigen Konferenz Bildung Digitalisierung in Berlin – Großevent der Branche mit illustren Gästen von Bundesbildungsministerin Karin Prien (CDU) bis hin zum Star der internationalen Bildungsforschung, Prof. John Hattie – wurde gleich zum Auftakt Klartext geredet: Der netzpolitische Aktivist Markus Beckedahl und die Bonner Medienwissenschaftlerin Prof. Caja Thimm warben auf dem Eröffnungspanel für ein unabhängiges Bildungssystem, das sich der Digitalisierung nicht verschließt, sondern sie national-europäisch gestaltet – im Gegensatz zu dem, was Kultusministerinnen und Kultusminister dazu bis dato abgeliefert haben.
Statt Schulen digital souverän zu machen, hätten sie Abhängigkeiten von US-Großkonzernen geschaffen – und gleichzeitig Milliarden in Eigenentwicklungen versenkt, die nicht funktionieren. Ihre Kritik machten Beckedahl und Thimm anschließend in einem Gespräch mit heise online noch einmal deutlich – besonders am Beispiel der gescheiterten Lernplattform Logineo NRW.
Warum Logineo NRW zum Musterbeispiel für Scheitern wurde
Deutliche Worte fand Beckedahl dazu. Er erklärte: „Meine Kritik an der NRW-Lösung ist, dass das so schlecht gemacht wurde, dass dann tatsächlich Microsoft wieder als Retter eingesprungen ist. Das ist absurd. NRW hat es also gerade nicht geschafft, eine souveräne, zukunftsfähige Infrastruktur aufzubauen und zu betreiben. Es hat das ganze Großprojekt an die Wand gefahren.“ Damit meinte er Logineo, die seit über 13 Jahren geplante, aber nie funktionierende Schulplattform. Rund 200 Millionen Euro sind in die Entwicklung und den Betrieb geflossen – am Ende kündigte die Telekom-Tochter T-Systems die Zusammenarbeit, weil eine Sanierung technisch wie organisatorisch unmöglich erschien (News4teachers berichtete).
Die politische Pointe: Genau in dem Moment, als Logineo wohl endgültig scheiterte, trat Microsoft auf den Plan. Der US-Konzern investiert nun drei Milliarden Euro in Rechenzentren in NRW, verspricht die Fortbildung von 200.000 Lehrkräften – und rückt nun als Retter in einer Notlage ins Rampenlicht. Damit erhält ausgerechnet jener Akteur noch mehr Einfluss, dessen Monopolstellung seit Jahren kritisiert wird. Beckendahl: „Wir haben uns abhängig gemacht von wenigen Unternehmen, die die digitalen Infrastrukturen kontrollieren, die einseitig bestimmen, wie sie funktionieren und die auch jedes Jahr mit Lizenzgebühren immer mehr Geld aus dem Bildungssystem ziehen.“
Weshalb Startups mehr könnten, wenn man sie endlich ließe
Die Bonner Medienwissenschaftlerin Prof. Caja Thimm betonte im gleichen Gespräch, dass Deutschland durchaus über genügend eigenes Know-how verfügt. Statt jedes Bundesland oder gar jede Schule Lösungen für sich entwickeln zu lassen, bräuchte es nach ihrem Verständnis einen Software-Pool auf Bundesebene, in dem qualitätsgesicherte Anwendungen gebündelt werden. „Wir haben eigentlich auch genügend Talente im Land, die so einen Pool aufbauen können. Das sieht man schon allein in der Start-up-Szene, nicht nur in Berlin. Die Frage ist, was mit dem Geld im Bildungssystem passiert und wo es hinfließt. Nutzen wir unsere Talente und betreiben aktive Förderung der Digitalwirtschaft und machen uns zugleich unabhängiger oder fließt das Geld woandershin?“
Viele Start-Ups stünden in den Startlöchern, um beispielsweise KI-Produkte für die Bildung zu entwickeln. Thimm: „Aber ob das im Digitalpakt oder dem Sondervermögen berücksichtigt wird, weiß keiner. Vor allem fehlt es auch an Leitlinien für bundesweit einsetzbare Softwareprodukte für den Bildungsbereich. Hier steht uns auch der Föderalismus im Weg. Die 16 Bundesländer müssten hier zumindest Standards setzen, damit so ein Software-Pool dann auch wirklich genutzt werden könnte.“
Wie praktisch: Im November (kurz vor Start des Digitalpakts 2.0) widmet sich News4teachers einen Monat lang dem Thema digitale Bildung – mit täglichen redaktionellen Beiträgen, prominenter Platzierung auf der Startseite und hohem Nutzwert für unsere deutlich mehr als eine Million Leser:innen monatlich, darunter Zehntausende Schulleitungen und Schulträger.
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Thimm macht deutlich: Ein solcher Software-Pool könne Schulen ermöglichen, sich aus einem Angebot geprüfter Anwendungen zu bedienen und diese nach Bedarf anzupassen. Damit ließe sich ein Gegengewicht zu den großen US-Konzernen schaffen. Doch bislang fehlen verbindliche Standards und Leitlinien, an denen sich Länder und Schulträger orientieren könnten.
Tatsächlich drängen zahlreiche junge Unternehmen mit innovativen Ideen auf den Markt – von KI-gestützten Lernassistenten bis zu Plattformen für Feedback-Kultur. Doch wie auch schon EDUvation-Geschäftsführer Tobias Himmerich (der Startups in der Bildungsszene berät) unlängst warnte, droht die Szene in Deutschland abgehängt zu werden: „Der Bildungsmarkt funktioniert nicht wie andere Märkte. Die Hürden sind hoch – besonders im B2G-Bereich, also im Geschäft mit staatlichen Institutionen. Wer hier erfolgreich sein will, braucht Durchhaltevermögen – und Kapital. An beidem mangelt es häufig.“
Die fehlende Anschlussfinanzierung, überkomplexe Datenschutzkataloge und ein zersplitterter Föderalismus machen es Startups schwer, ihre Produkte in Schulen zu bringen. Während andere Länder wie Frankreich oder Großbritannien längst eigene EdTech-Fonds aufgebaut haben, fehlt in Deutschland eine koordinierte Unterstützung. Himmerich fordert deshalb eine bundesweite Zertifizierung und Testumgebungen, in denen Startups ihre Tools gemeinsam mit Schulen erproben können (News4teachers berichtete).
Das Paradoxon: Ministerien entwickeln am Bedarf vorbei
Statt das Innovationspotenzial dieser Szene zu nutzen, setzen die Ministerien auf Projekte, die „am eigentlichen Bedarf vorbeientwickelt“ werden, wie auf der KonfBD von Lehrkräften zu hören war. Schülerinnen und Schüler könnten so nicht lernen, mit den Tools umzugehen, die sie im Alltag tatsächlich nutzen – beispielsweise mit KI-gestützten Anwendungen wie ChatGPT. Thimm warnte davor, hier erneut in Abhängigkeiten von Microsoft & Co. zu geraten, doch die Realität spricht eine andere Sprache: In vielen Schulen nutzen Lehrkräfte längst die stabilen Systeme der US-Konzerne – weil die staatlichen Lösungen schlicht nicht funktionieren.
Können Digitalpakt 2.0 und Sondervermögen die Wende bringen?
Können der Digitalpakt 2.0 und das Sondervermögen des Bundes, von dem ein Teil auch für die Schulen eingesetzt werden soll, das ändern? Beckedahl: „Ja, es gibt zumindest die Hoffnung, dass wir jetzt ein Momentum zum Handeln haben. Wir könnten jetzt in souveräne digitale Infrastrukturen investieren, sowohl in die Software, als auch in die Bildung zu mehr Souveränität. Die Gefahr ist, dass Politiker:innen das nicht ausreichend auf dem Schirm haben und sich wieder in Großlizenzierungen hineinquatschen lassen und wir weiter gefährlich abhängig bleiben.“ News4teachers
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