Nachhaltigkeit als Schulprinzip: KMK stellt Orientierungsrahmen für die Oberstufe vor

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BERLIN. Von der Schulmensa bis zur Abiturprüfung: Bildung für nachhaltige Entwicklung soll zur Aufgabe der ganzen Schule werden. Der jetzt von der KMK vorgestellte „Orientierungsrahmen Globale Entwicklung“ liefert Anleitungen, wie das in der gymnasiale Oberstufe gelingen kann – von der ganzen Schule bis hinunter in einzelne Fächer.

BNE. Illustration: Shutterstock

An der Ernst-Reuter-Schule Pattensen bei Hannover wird der Freitag zur Zukunftswerkstatt. Dann gehört der Stundenplan den Ideen der Schülerinnen und Schüler: Sie recherchieren, wie sich Plastik vermeiden lässt, gründen Schülerfirmen oder pflanzen Bäume.

Der sogenannte FreiDay – ein Lernformat, das sich an den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen orientiert – ist dort fester Bestandteil des Schulalltags. „Ziel ist, neue Perspektiven einzunehmen, Problemlösefähigkeiten zu entwickeln und Selbstwirksamkeit zu erfahren“, heißt es im Konzept. Begleitet wird der FreiDay von Projekten wie „Herausforderung“ oder dem „MakerSpace“, in dem Jugendliche eigene Ideen technisch umsetzen können. So soll Schule zu einem Ort werden, an dem Nachhaltigkeit erfahrbar wird – im Unterricht, im Schulhof und in der Beziehung zur Kommune.

Solche Beispiele beschreibt das Kapitel 8 des neuen „Orientierungsrahmens Globale Entwicklung – Bildung für nachhaltige Entwicklung in der gymnasialen Oberstufe“, den die Kultusministerkonferenz (KMK) gemeinsam mit dem Bundesentwicklungsministerium (BMZ) jetzt vorgestellt hat. Rund 800 Seiten stark, ist das gewichtige Werk nicht weniger als ein Leitfaden für eine Neuausrichtung schulischen Lernens – mit globaler Perspektive und nachhaltiger Haltung.

Bildung als Voraussetzung für Zukunftsfähigkeit

„Bildung für nachhaltige Entwicklung ist kein Luxus, sondern Voraussetzung für Teilhabe und Zukunftsfähigkeit“, betont Simone Oldenburg (Linke), Präsidentin der Bildungsministerkonferenz und Bildungsministerin in Mecklenburg-Vorpommern. Der neue Orientierungsrahmen, sagt sie, zeige, „wie wir jungen Menschen die Kompetenzen vermitteln können, die sie brauchen, um sich in einer komplexen Welt zu orientieren und Verantwortung zu übernehmen“.

Auch Reem Alabali-Radovan (SPD), Bundesentwicklungsministerin, unterstreicht die Bedeutung der Schulen als Mikrokosmos: „Hier werden nachhaltige Werte und demokratische Prinzipien gefördert. Es geht nicht nur darum, Wissen zu vermitteln, sondern um Haltung, Teilhabe und Mitgestaltung.“

Der Orientierungsrahmen versteht sich als Beitrag zur Umsetzung der Agenda 2030 der Vereinten Nationen und der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie. Er bietet Grundlagen für Lehrkräftebildung, Schulentwicklung und Unterricht in allen Fächern – von Deutsch über Biologie bis Informatik. Ziel ist, die vier Zieldimensionen nachhaltiger Entwicklung – soziale Gerechtigkeit, ökologische Verträglichkeit, demokratische Politikgestaltung und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit – miteinander in Einklang zu bringen.

Der Whole School Approach: Nachhaltigkeit als Schulprinzip

Im Zentrum des Orientierungsrahmens steht der „Whole School Approach“ (WSA) – ein ganzheitliches Konzept, das Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) zur Aufgabe der gesamten Schule macht. Schulen sollen sich nicht nur in einzelnen Projekten engagieren, sondern sich systemisch verändern: im Management, in der Schulorganisation, in den Lernformaten und im Miteinander.

Das bedeutet: Nachhaltigkeit soll nicht nur Thema im Unterricht sein, sondern Prinzip des Handelns – von der Energieversorgung bis zur Schulverpflegung, von der Mitbestimmung bis zur Prüfungskultur. Schulen, die diesen Weg gehen, „werden zu Lern-, Experimentier- und Erfahrungsräumen für die Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft“, heißt es im Orientierungsrahmen.

Dazu gehören auch neue Formen des Lernens, etwa Deeper Learning-Projekte in der Oberstufe, wissenschaftspropädeutische Seminare oder Schülerfirmen mit nachhaltiger Ausrichtung. Schulen wie das Gustav-Hertz-Gymnasium Leipzig zeigen, wie Lernende selbst Verantwortung übernehmen: Dort betreibt das Fairtrade-Team den schuleigenen Snackautomaten – den „Fair-o-Mat“ – und plant Nachhaltigkeitsaktionen, die längst Teil des Schulkonzepts geworden sind.

BNE als Leitlinie für Unterricht und Schulentwicklung

Der Orientierungsrahmen betont, dass BNE nicht mehr als Randthema betrachtet werden darf. Sie soll integraler Bestandteil der Schulentwicklung sein – mit klaren Verantwortlichkeiten, langfristigem Commitment und regelmäßiger Evaluation. Schulen können sich dabei auf bestehende Strukturen stützen: Landeskoordinationsstellen, BNE-Promotorinnen, Netzwerke wie „Schule der Zukunft“ oder Programme wie „Schools for Earth“ von Greenpeace und das Club-of-Rome-Schulnetzwerk.

Der World University Service (WUS) begrüßt die Veröffentlichung als „weiteren Meilenstein zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele der UN“. Vorsitzender Kambiz Ghawami nennt den Orientierungsrahmen „eine Blaupause für Bildungsministerien weltweit“. Zugleich mahnt er an, nun auch für berufsbildende Schulen eine vergleichbare Handreichung zu schaffen.

Globale Verantwortung lokal lernen

Wie Bildung globale Verantwortung greifbar machen kann, zeigt das Tilmann-Riemenschneider-Gymnasium in Osterode. Seit Jahren pflegt es eine Partnerschaft mit einer Schule im senegalesischen Kaolack – ein Projekt, das unter dem Titel „Osteroder Modell“ bundesweit Anerkennung gefunden hat. Schülerinnen und Schüler beider Länder arbeiten gemeinsam zu Themen der Agenda 2030, bauen pädagogische Gärten, organisieren Workshops und regen sogar kommunale Klimapartnerschaften an. Das Ziel: Lernen, Forschen und Handeln im globalen Zusammenhang.

Der Orientierungsrahmen fordert ausdrücklich solche Kooperationen – zwischen Schulen, Kommunen, NGOs, Hochschulen und Unternehmen. Sie sollen helfen, Nachhaltigkeit nicht nur zu lehren, sondern zu leben.

Was das für Schulen bedeutet

Für Schulen eröffnet der Orientierungsrahmen neue Möglichkeiten – aber auch Verpflichtungen. Bildung für nachhaltige Entwicklung soll künftig systematisch in Schulprogramme, Curricula und Qualitätsentwicklung einfließen. Schulen sind angehalten, ihre Lehr- und Lernumgebungen so zu gestalten, dass sie Partizipation, Eigenverantwortung und Demokratie fördern. Ziel ist es, „Lernen und Leben miteinander zu verbinden“, wie es im Rahmen heißt. Schülerinnen und Schüler sollen erfahren, dass ihr Handeln Wirkung hat – und dass nachhaltiges Denken und demokratische Teilhabe zwei Seiten derselben Medaille sind. News4teachers

Hier lässt sich der Orientierungsrahmen und dazugehöriges Material herunterladen. 

BNE – “Weltüberlastungstag”: Wir leben, als ob 1,7 Erden verfügbar wären

 

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