BERLIN. Der Führerschein wird immer teurer – nicht nur, weil Fahrschulen mehr verlangen, sondern weil immer mehr Fahrschüler durchfallen. Verkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) will die Ausbildung verschlanken, um Kosten zu senken. Psychologe Florian Becker sieht darin das Symptom einer großen, durch falsche Erziehung verursachte Bildungskrise: „Low-IQ, fehlende Selbstdisziplin, Verblödung.“ Doch so einfach ist es wohl nicht. Denn die hohen Durchfallquoten haben auch strukturelle Gründe. Am Ende landet die Verantwortung, wie so oft, bei den Schulen.

Der Führerschein war lange das Symbol für Freiheit und Erwachsenwerden. Heute ist er für viele Jugendliche vor allem ein Kostenfaktor. Rund 3.400 Euro kostet die Fahrerlaubnis im Schnitt, in manchen Regionen sogar bis zu 4.500 Euro. Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) will die Ausbildung nun billiger machen: weniger Prüfungsfragen, kürzere Prüfungen, digitale Theoriestunden. Doch das Hauptproblem ist tieferliegend – und hat mit der Frage zu tun, warum immer mehr junge Menschen scheitern.
Fast die Hälfte aller Fahrschüler fällt mittlerweile durch die theoretische Prüfung, ein Drittel durch die praktische. Diese Zahlen, die der TÜV-Verband Anfang März vorgelegt hat, markieren einen historischen Tiefpunkt. In der Theorieprüfung lag die Nichtbestehensquote 2024 bei 41 Prozent, in der Praxis bei 30 Prozent. In der Führerscheinklasse B fallen sogar 45 Prozent der Prüflinge durch die Theorie und 37 Prozent durch die Fahrprüfung. „Wer in der ersten Prüfung durchfällt, dem fällt oft auch die Wiederholungsprüfung schwer“, sagt Richard Goebelt vom TÜV-Verband. Jeder nicht bestandene Versuch bedeutet für die Betroffenen mehr Stress – und im Falle der praktischen Prüfung zusätzliche Kosten für weitere Fahrstunden.
„Sind wir ehrlich: Die theoretische Prüfung ist eine reine Lernprüfung“
Für den Psychologen Florian Becker sind diese Zahlen Ausdruck einer gesellschaftlichen Fehlentwicklung. In einem Gastbeitrag für Focus Online schreibt er: „Etwa 50 Prozent raffen die Theorie nicht mehr. Damit setzt sich der Negativ-Rekord 2025 ungebrochen fort. Für mich ist das ein Hinweis auf das, was wir in der Psychologie gravierende kognitive Defizite nennen. Konkret: Low-IQ, Verdummung. Und fehlende Selbstdisziplin.“ Becker lehnt die gängigen Erklärungen – zu komplizierte Regeln, schlechte Fahrschulen, Sprachprobleme – kategorisch ab: „Sind wir ehrlich: Die theoretische Prüfung ist eine reine Lernprüfung. Hinsetzen, lernen, abfragen, wieder hinsetzen, weiterlernen – bis man es kann. Ja, vieles davon mag praxisfern wirken, uninteressant, langweilig. Es muss nun mal beherrscht werden. Sehr ähnlich wie das, was in der Schule stattfindet.“
Für Becker spiegelt das schlechte Abschneiden ein breiteres Bild wider: „Etwa 25 Prozent der Kinder können nach der Grundschule weder richtig lesen noch schreiben. Die Leistung in Mathematik, Naturwissenschaft und Lesen ist seit über zehn Jahren im Sinkflug. Damit die Kinder sich auch ja nicht entwickeln, hat man alle Standards immer weiter gesenkt. Noten werden immer besser – trotz objektiv schlechterer Leistung. So erhalten jetzt bundesweit etwa 30 Prozent ihr 1er-Abi.“ Schulen seien, so Becker, zu „leistungsfeindlichen Komfortzonen“ geworden, in denen „Kinder nicht mehr wachsen und verzerrtes Feedback erhalten. Alle sind angeblich überall super! Tatsächlich behindert man die Besten an ihrer Entfaltung, damit alle gleich sind. Gleich klein.“
Becker beschreibt eine Generation, die aus seiner Sicht nicht gelernt hat, Anstrengung auszuhalten. „Fahrlehrer schildern mir die Auswirkungen all dessen. Sie begegnen Fahrschülern, für die gründliche Prüfungsvorbereitung ein Fremdwort ist. Woher sollten sie es auch können? Mit dem Low-Performer-Mindset kann man sich zunehmend durch das Schulsystem schlängeln. Schwer umzuschalten, wenn es dann auf einmal härtere Standards gibt.“ Er verweist auf Fahrlehrer, die Jugendliche unterrichten, „die von Helikopter-Eltern mit dem Auto überall hingebracht wurden – am besten, während sie selbst ins Smartphone schauen“. Die Folge: „Ihnen fehlt die aktive Verkehrserfahrung, etwa als Radfahrer.“
„Um zukunftsfähig zu sein, müssen wir dafür sorgen, dass wieder mehr Kinder zu handlungsfähigen Persönlichkeiten reifen“
Für Becker ist das eine Schicksalsfrage: „Wie können wir mit dem aktuellen Mindset als Gesellschaft, als Land, nachhaltig erfolgreich sein? Dafür sind unsere Wettbewerber zu smart, zu effektiv und zu fleißig. Wir brauchen jetzt eine tabulose Diskussion der Ursachen von Verblödung und Demotivation. Um zukunftsfähig zu sein, müssen wir dafür sorgen, dass wieder mehr Kinder zu handlungsfähigen Persönlichkeiten reifen.“
Doch ist die Lage wirklich so eindeutig, wie Becker sie beschreibt? Viele in der Branche halten das für zu kurz gegriffen. In der Theorieprüfung scheitern viele Fahrschüler, weil sie sich nicht ausreichend auf einen Katalog von über 1.000 Fragen vorbereiten – nicht, weil sie zu „dumm“ wären. In der Praxisprüfung geht es um ganz andere Fähigkeiten: Wahrnehmung, Reaktion, Orientierung, Routine. Wer sie wiederholen muss, braucht zusätzliche Fahrstunden – und genau das treibt die Kosten nach oben.
„Prüflinge benötigen mehr Fahrstunden als früher“, erklärt Holger Bach vom ADAC Württemberg im SWR. Das liege weniger an mangelnder Intelligenz, sondern an objektiv gestiegenen Anforderungen. „Der Verkehr ist dichter, es gibt mehr Regeln, mehr technische Systeme im Auto. Allein zwölf Sonderfahrten sind vorgeschrieben, hinzu kommen die normalen Übungsfahrten.“ Auch der TÜV sieht die Ursachen komplexer. Lernstandskontrollen, so Goebelt, könnten helfen, dass Fahrschüler nur dann zur Prüfung antreten, „wenn sie nachweislich ausreichend vorbereitet sind“. Gemeint ist eine Art verpflichtende digitale Zwischenprüfung in den Fahrschulen, die klären soll, ob Lernstoff und Fahrpraxis tatsächlich sitzen – bevor es teuer wird.
Die Durchfallquote hängt aber auch vom Alter und von der Erfahrung ab. Unter 18-Jährige, die im Modell „Begleitetes Fahren ab 17“ teilnehmen, schneiden laut TÜV deutlich besser ab: Nur 36 Prozent fallen in der Theorie durch, 24 Prozent in der Praxis. In der Altersgruppe 18 bis 24 liegt die Quote deutlich höher – 52 Prozent in der Theorie, 34 Prozent in der Praxis. Offenbar hilft also frühe, begleitete Praxis mehr als spätes Einzelkämpfertum. Ein Widerspruch zu Beckers These von der „Helikoptergeneration“, die angeblich keine Verantwortung übernehme.
Während Becker also vor einem kulturellen Leistungsabfall warnt, sehen andere den Grund im System selbst. Seit Jahren werde der Prüfstoff ausgeweitet, so Fahrlehrer. Der Katalog der Verkehrsregeln sei „immer komplexer“ geworden. Gleichzeitig nähmen die Zahl der Fahrzeuge und der Verkehrsdichte zu. „Es ist heute etwas anderes, Autofahren zu lernen, als vor 20 Jahren“, heißt es in einer Analyse des Spiegel.
Minister Schnieder will die Ausbildung nun verschlanken – und hofft, so die Kosten zu drücken. Ein Drittel der Prüfungsfragen soll gestrichen, die praktische Prüfung von knapp einer Stunde auf 25 Minuten verkürzt werden. Auch teure Sonderfahrten bei Nacht oder auf der Autobahn sollen entfallen oder am Simulator geübt werden. Zudem soll die Theorie künftig auch komplett digital absolviert werden können. „Junge Menschen lernen heute anders als vor 20 Jahren“, sagt der CDU-Politiker.
Doch Kritiker warnen, eine solche „Fahrprüfung light“ könne die Sicherheit gefährden. Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat betont, bezahlbare Führerscheine dürften nicht „auf Kosten der Sicherheit“ gehen. Fahrlehrer Daniel Pitesa aus Gerlingen hält wenig von virtuellen Ersatzlösungen: „Das Niveau auf den Straßen ist zu hoch, um alles virtuell zu lernen. Die reale Erfahrung bekommt man nur durch das Fahren auf der Straße.“
„Von der sicheren Teilnahme als Fußgänger bis zum Umgang mit E-Scootern – Verkehrserziehung muss kontinuierlich stattfinden“
Andere schlagen radikalere Wege vor. Linken-Chefin Ines Schwerdtner forderte in der Rheinischen Post, der Staat solle den Führerschein nicht länger privaten Anbietern überlassen. „Fahrschule als Unterrichtsfach“ – so ihr Vorschlag. Die theoretische Ausbildung könne Teil der schulischen Bildung werden. „Das könnte die Kosten für den Führerschein effektiv reduzieren.“
Auch der TÜV plädiert für mehr Bildung – allerdings in anderer Form. Die Mobilitätsausbildung dürfe nicht nach der vierten Klasse enden, heißt es in seiner Pressemitteilung. „Von der sicheren Teilnahme als Fußgänger bis zum Umgang mit E-Scootern – Verkehrserziehung muss kontinuierlich stattfinden.“ Eine durchgehende Mobilitätsbildung von der Grundschule bis zur Oberstufe, so die Idee, würde Jugendliche langfristig besser auf die Fahrschule vorbereiten. Damit schließt sich der Kreis: Am Ende landet die Verantwortung (mal wieder) bei den Schulen. News4teachers









Die meisten Aussagen von Herrn Becker würde ich genau so unterschreiben. Die Kinder und Jugendlichen sehen ob der aktuellen Bildungsdiskussion, dass es in Schulen “ja auch so geht”: Kein Druck, wer keine Leistung erbringen kann (oder mag?), wird gefördert, zudem sollen Hausaufgaben, Noten und Sitzenbleiben abgeschafft werden.
Dann kommt aber die böse Fahrprüfung und plötzlich merken viele: “Öhh… Was? Ich dachte, ich muss auch hier nichts tun und werde gefördert und wenn ich einfach nur anwesend bin, kriege ich auch meinen Führerschein.” Das ist jedenfalls das Mindset, wie es aktuell in Schule vermittelt wird und immer mehr vermittelt werden soll. Nur dann kommt eben der Zeitpunkt, in denen diese Jugendlichen auf die Realität treffen: Ob beim Führerschein oder in der Ausbildung in der freien Wirtschaft, wird plötzlich Leistung und Anstrengung verlangt. Daher wundert es mich immer wieder, dass sich das Schulsystem laut den Reformern in genau die andere Richtung entwickeln soll, um den Bildungsnotstand zu beheben.
Viel mehr Stoff als früher, dann noch weniger Zeit zum Lernen durch längere Unterrichtstage, dazu ist die Intelligenz seit einigen Jahren am Sinken. Das führt zu steigenden Durchfallquoten im Theorieteil. In der praktischen Prüfung sind übrigens schon vor 25 Jahren ein Drittel der Prüflinge durchgefallen.
Meinen Sie mit Stoff mehr Prüfungsinhalte oder mehr legalisierte Rauschmittel?
Beim Autofahren nicht aufs Handy starren, sondern Schilder lesen lernen. Das hilft auch zur Orientierung.
Total “lame”.
Wie so oft:
Die “Alten” suchen ein Problem – die Kids haben schon längst die Lösung und praktizieren die auch 😉 :
https://www1.wdr.de/nachrichten/rheinland/e-scooter-getuned-euskirchen-100.amp
“In der Theorieprüfung scheitern viele Fahrschüler, weil sie sich nicht ausreichend auf einen Katalog von über 1.000 Fragen vorbereiten – nicht, weil sie zu „dumm“ wären. In der Praxisprüfung geht es um ganz andere Fähigkeiten: Wahrnehmung, Reaktion, Orientierung, Routine.”
Das muss nicht unbedingt in Widerspruch zu Florian Becker stehen.
Wenngleich Becker ziemlich offensichtlich eine bestimmte politische Agenda mitverfolgt…
um sich auf Prüfungen – egal ob Schule, Fahrschule, sonstwo – vorzubereiten, muss man lernen können, muss sich konzentrieren können.
Das muss man lernen und trainieren.
Auch Wahrnehmung, Reaktion, Orientierung, Routine muss man trainieren.
Das kann Schule allein gar nicht leisten.
Man braucht sich nur mal in den Ferien Familien-Ausflüge ansehen. Die Kinder lernen von kleinauf Model-Posen, daddeln permanent am Tablet. Die Eltern machen es vor – und sind bisweilen arg genervt, wenn die Kinder mir Fragen nerven.
Wir erleben es in den Nachrichten – das Top-Thema von gestern ist heute schon fast vergessen.
Geduld, Ausdauer, analoges soziales Miteinander etc. sind heute doch kaum mehr gefragt – bleiben eher einer gesellschaftlichen Elite vorbehalten.
Becker – auch wenn er m.E. zunächst mal recht hat – sollte aber Fragen, was Politik und Eltern- und Großelterngeneration (und damit er selber) verkehrt machen und gemacht haben, dass es soweit kommen konnte.
Jede Gesellschaft hat die Jugend, die sie verdient.