Latein boomt. Kritiker: Lasst Schüler lieber Spanisch lernen

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DÜSSELDORF. Der Anteil der Gymnasiasten, die Latein lernen, hat sich in den vergangenen zehn Jahren in Deutschland verdoppelt. Der Boom löst nicht nur Freude aus: Kritische Stimmen werden laut.

Klassisches Ziel für Ausflugsfahrten von Lateinkursen: Das Kollusseum in Rom. Foto: Ingo Meironke / Flickr(CC BY-NC-SA 2.0)
Klassisches Ziel für Ausflugsfahrten von Lateinkursen: Das Kollusseum in Rom. Foto: Ingo Meironke / Flickr(CC BY-NC-SA 2.0)

 „Latein erlebt eine Renaissance in Schulen.“ So betitelte das Statistische Bundesamt (Destatis) 2007 eine Pressemitteilung, in der gemeldet wurde, dass mittlerweile jeder dritte Gymnasiast Latein lernt – im Schuljahr 2000/2001 war es nur jeder Vierte. Und der Boom nimmt kein Ende: Für das vergangene Schuljahr meldete Destatis mehr als 800.000 Lateinschüler in Deutschland, was einem Anteil von neun Prozent aller Schüler entspricht – und mehr als der Hälfte der Gymnasiasten.

Wie die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ (WAZ) berichtet, mehren sich angesichts dieses Trends allerdings kritische Stimmen. „In Frankreich lernt vielleicht ein Prozent der Schüler Latein, in Bayern sind es 50 Prozent der Gymnasiasten“, so rechnet Mario Oesterreicher, Präsident des Gesamtverbandes Moderne Fremdsprachen, vor. Er forderte gegenüber dem Blatt ein größeres Angebot von Sprachen wie Chinesisch oder Niederländisch an den Schulen – und weniger Latein. Schüler mit Kenntnissen in modernen Sprachen hätten später viel bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Gängige Argumente für den Latein-Unterricht lässt Oesterreicher nicht gelten. Latein fördere das logische Denken? „Das schaffen andere Sprachen auch“, sagt er. Latein hilft im Deutschunterricht? „Warum verbessert man dann nicht den Deutschunterricht?“, so fragt er zurück.

Bestätigt wird Oesterreicher durch Befunde der Bildungsforscherin Elsbeth Stern von der Technischen Hochschule Zürich. Stern konnte laut „Frankfurter Allgemeiner Zeitung“ (FAZ) in Studien gemeinsam mit dem Bayreuther Schulpädagogik-Professor Ludwig Haag nachweisen, dass Latein weder Vorteile für das logische Denken noch für das Erlernen von Fremdsprachen bringt – im Gegenteil: In einer ihrer Untersuchungen hätten die Forscher die Spanischleistungen von Studenten verglichen, die in der Schule Latein gelernt hatten, mit denen von Studenten, die Französisch gelernt hatten. Dabei hätten die Lateiner klar schlechter abgeschnitten. Das Fazit der Forscher: „Latein ist offensichtlich keine optimale Grundlage für das Erlernen moderner Sprachen.“

Stern würde den Lateinunterricht laut FAZ deshalb gern in seiner Bedeutung zurückgestuft sehen – als Wahlfach lediglich für besonders interessierte Schüler. „Schulische Ressourcen sind knapp“, so wird sie von der Zeitung zitiert. „Deutschland hinkt hinterher, wenn es um die mathematisch-naturwissenschaftlichen Fähigkeiten der Schüler geht.“

Arbeitgeber: Wir benötigen Kenntnisse in modernen Sprachen

Auch auf Seiten der Arbeitgeber ist wenig Begeisterung über den Latein-Boom zu spüren. „Unser modernes Wirtschaftsleben ist auf den Austausch mit anderen Ländern ausgerichtet. Viele Wirtschaftspartner sitzen in Osteuropa, Asien und Lateinamerika. Und viele Kunden, auch im Inland, sprechen nicht Deutsch. Wir brauchen Beschäftigte, die die Sprachen dieser Menschen sprechen“, so zitiert die „WAZ“ Barbara Dorn von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände.

Tatsächlich stellt sich die Frage, wozu so viele Schüler in Deutschland Latein lernen. Ein wichtiger Punkt dabei: Das Latinum ist Zugangsvoraussetzung für etliche Studienfächer. Doch auch dies wirft die Frage auf: Wieso eigentlich? „Für viele Studenten ist es eine Qual, das Latinum an der Uni nachzuholen und sie brauchen die dort erlernten Kompetenzen kaum“, sagt Karin Kleppin, Leiterin des Fremdsprachen-Zentrums an der Universität Bochum, gegenüber der „WAZ“. Ist das Latinum also lediglich eine versteckte Zulassungsbeschränkung? ANDREJ PRIBOSCHEK

 

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