BERLIN. Die Examensnote «sehr gut» in Gießen ist noch lange kein «sehr gut» in Berlin. Der Wissenschaftsrat beklagt zu große Unterschiede bei der Zensurenvergabe und sieht zugleich eine Inflation von Bestnoten.
An deutschen Hochschulen werden nach Einschätzung des Wissenschaftsrates zu viele gute Noten vergeben. Dies berichtet die «Süddeutsche Zeitung» unter Berufung auf eine Analyse des Wissenschaftsrates. Gut 80 Prozent der Studenten haben danach im vergangenem Jahr mit der Note «gut» oder «sehr gut» ihr Studium abgeschlossen. Vor 12 Jahren seien dies erst 70 Prozent gewesen. Zugleich sei das Risiko, die schlechteste Note «ausreichend» zu kassieren, im gleichen Zeitraum stark gesunken – und zwar von gut vier Prozent auf verschwindende 1,1 Prozent.
Der Wissenschaftsrat, der Bund und Länder bei der Hochschul- und Forschungspolitik berät, warnt deshalb vor einer «schleichenden Noteninflation». Außerdem gebe es bei der Praxis der Notenvergabe große Unterschiede zwischen einzelnen Hochschulen. Der Bericht soll an diesem Montag in Berlin veröffentlicht werden. Der Vorsitzende des Wissenschaftsrates, Wolfgang Marquardt, sagte der Zeitung: «Der Trend zu besseren Noten darf so nicht weitergehen.» Es gebe Anzeichen für eine «Aufweichung der Bewertungsstandards». In den meisten Fächern werde die Notenskala kaum noch ausgeschöpft. «Unterschiede werden häufig nur noch hinter dem Komma gemacht», sagte Marquardt.
Betroffen sind vor allem Fächer wie Biologie, Mathematik, Physik, Psychologie und Chemie, aber auch Geschichte. In Biologie schnitten 98 Prozent aller Absolventen besser als «befriedigend» ab. Der Bericht belege zudem große Unterschiede zwischen den Fächern. So seien Bestnoten im juristischen Staatsexamen mit sieben Prozent nach wie vor eine Seltenheit. Auch Human- und Tiermediziner erhielten selten ein «sehr gut». Kritisch sehe der Wissenschaftsrat auch die Unterschiede zwischen einzelnen Hochschulen. So habe beispielsweise ein Germanistik-Student in Gießen deutlich bessere Chancen auf eine Bestnote als in Berlin. dpa
(10.11.2012)
Zum Bericht: “Arme Schüler bekommen schlechtere Noten – bei gleicher Leistung”