Eltern loben Lehrer – und schimpfen auf das Schulsystem

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BIELEFELD. Eltern schulpflichtiger Kinder beurteilen Lehrer fast durchgehend positiv. Das geht aus einer repräsentativen Studie des Instituts TNS Emnid hervor. Nahezu alle Eltern stimmen der Aussage zu, dass Lehrer fachlich kompetent sind (90 Prozent). 84 Prozent halten sie für gerecht, 80 Prozent für sehr engagiert. Kritik üben Eltern dagegen mehrheitlich am Schulsystem.

"Ohrfeige für die Bildungspolitiker aller Parteien und die Kultusministerkonferenz": Eltern in Deutschland sehen das Schulsystem kritisch. Foto: Glyn Lowe Fotoworks (CC BY 2.0)
„Ohrfeige für die Bildungspolitiker aller Parteien und die Kultusministerkonferenz“: Eltern in Deutschland sehen das Schulsystem kritisch. Foto: Glyn Lowe Fotoworks (CC BY 2.0)

84 Prozent der Eltern meinen, dass die Lehrer der Kinder an einer Zusammenarbeit mit den Eltern interessiert sind. 90 Prozent der Mütter und Väter nutzen dafür regelmäßig die Sprechstunde. Allerdings hat knapp ein Drittel das Gefühl (32 Prozent), dass Lehrer den Eltern keine Fragen über ihr Kind stellen. Eltern bringen sich – nach eigenen Angaben – in das Schulleben stark ein: 91 Prozent fühlen sich verpflichtet, sich eingehend um die Leistungen ihrer Kinder zu kümmern. Drei Viertel (77 Prozent) geben an, gezielt vor Klassenarbeiten und Referaten zu helfen, etwas weniger kontrollieren die Hausaufgaben (69 Prozent).

Kritik üben Eltern dagegen am deutschen Schulsystem, und zwar massiv: Sie fordern mehrheitlich den weiteren Ausbau von Ganztagsschulen und eine sechsjährige Grundschulzeit. Die Schulzeitverkürzung an Gymnasien lehnen die Eltern hingegen weitgehend ab. „Dieses klare Bekenntnis zum neunjährigen Gymnasium muss man als Ohrfeige für die Bildungspolitiker aller Parteien und die Kultusministerkonferenz werten“, sagte der Bildungsforscher Prof. Dr. Klaus-Jürgen Tillmann von der Universität Bielefeld bei der Präsentation der Studienergebnisse in Berlin. Für die Studie befragte Emnid bundesweit 3000 Eltern mit schulpflichtigen Kindern bis zu 16 Jahren. Auftraggeber war das Spielwaren- und Kinderkleidung-Unternehmen Jako-o in Bad Rodach (Bayern), das bereits 2010 eine erste Elternstudie finanziert hatte.

Klare Stellung beziehen die Eltern bei der Frage, ob Kinder das Abitur nach 12 oder 13 Schuljahren machen sollen: Hätten sie die Wahl, würden acht von zehn Eltern (79 %) eine neun Jahre dauernde Gymnasialzeit (G9) für ihr Kind wählen. Nur 17 % sind Anhänger der achtjährigen Variante (G8). Ebenfalls 79 % der Eltern sind der Meinung, man sollte generell zum neunjährigen Gymnasium zurückkehren. Wenn es beim achtjährigen Gymnasium bleibt, dann müssten aus Elternsicht zumindest die Lehrpläne an die kürzere Lernzeit angepasst werden. Das sagen 59 % der Befragten. „Eine Reform, die auf Anpassung der Lehrpläne und Reduzierung des Leistungsdrucks zielt, ist aus Sicht der Eltern unumgänglich“, sagte Tillmann.

Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Die Forderung nach mehr Ganztagsschulen ist seit 2010 noch einmal deutlich gestiegen: Damals wünschten sich 59 % der Eltern für ihr Kind eine Schule mit Ganztagsangebot. 2012 sind es 70 %. Nur noch knapp ein Drittel (28 %) der Eltern bevorzugt eine Halbtagsschule. Die Dramatik dieses Ergebnisses: Der Ausbau der Ganztagsschulen hält mit dem Anstieg der Elternwünsche nicht Schritt. Tillmann: „In allen Bundesländern besteht eine große Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit: Knapp die Hälfte der Eltern können den gewünschten Ganztagsplatz für ihr Kind nicht erhalten.“

Auch bei der Frage nach der Dauer der Grundschule beziehen die Eltern eindeutig Stellung: Die gegenwärtig vorherrschende Praxis der vierjährigen Grundschule lehnen drei von vier Eltern ab. Eine deutliche Mehrheit möchte den Kindern mehr Zeit für das gemeinsame Lernen einräumen: 60 % der Eltern sprechen sich für eine sechsjährige Grundschule aus, weitere 15 % wollen den Übergang in die Sekundarstufe erst nach der 9. Klasse.

Dem gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderungen, der sogenannten Inklusion, stimmen Eltern nicht vorbehaltlos zu. Wenn es um körperlich beeinträchtigte Kinder und Kinder mit Lernschwierigkeiten geht, findet der gemeinsame Unterricht große Unterstützung: 89 % bzw. 72 % der Eltern sprechen sich dafür aus. Die unterrichtliche Integration von Kindern mit geistigen Behinderungen und solchen mit Verhaltensauffälligkeiten wird dagegen nur von knapp der Hälfte (jeweils 46 %) unterstützt. „Diese Ergebnisse machen deutlich: Der Weg zur inklusiven Schule wird kein Selbstläufer sein“, sagte Tillmann. Notwendig seien Maßnahmen, die den beidseitigen Vorteil der gemeinsamen Beschulung für die Eltern konkret fassbar machen.

Mit jeweils 84 % hält es die große Mehrheit der Eltern für „sehr wichtig“, dass alle Kinder in Deutschland die gleichen Bildungschancen haben und dass Wert auf soziales Verhalten gelegt wird. 80 % der Eltern möchten zudem, dass ihre Kinder in der Schule eine umfassende Allgemeinbildung erhalten. 79 % wünschen sich, dass lernschwache Schüler besser gefördert werden. Dass Schüler in allen Bundesländern die gleichen Bedingungen vorfinden, ist für 74 % der Eltern ein „sehr wichtiges“ Ziel der deutschen Bildungspolitik. Bessere Begabtenförderung (52 %), eine stärker berufsbezogene Schulausbildung (44 %) und vor allem die Betonung des Leistungsprinzips (28 %) sind hingegen bildungspolitische Ziele, die auf vergleichsweise wenig Zustimmung der Eltern stoßen. Die Wünsche der Eltern decken sich jedoch nicht mit der Realität: Am ehesten sehen Eltern im heutigen Bildungssystem verwirklicht, dass Leistung im Vordergrund steht (74 %) – das Ziel, dem am wenigsten Bedeutung beigemessen wird.

Heftige Kritik äußern Eltern an der Umsetzung der Ziele, die von ihnen als am wichtigsten erachtet werden: Dass Chancengleichheit für alle Kinder herrscht, meinen lediglich 28 %, die Förderung lernschwacher Schüler halten 29 % für umgesetzt. Von einheitlichen Bedingungen in ganz Deutschland ist die fragmentierte Schullandschaft in den Bundesländern weit entfernt – das meinen auch 83 % der Eltern. Immerhin: Im Vergleich zur ersten Jako-o Bildungsstudie 2010 sind bei allen aus Elternsicht wichtigen Zielen der Bildungspolitik leichte Verbesserungen im jeweiligen Grad der Verwirklichung zu verzeichnen.

Erfreut zeigte sich der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes (DL), Josef Kraus, angesichts der positiven Einschätzung des Lehrerberufs in den Augen der Eltern. „Wie schon in anderen Studien bestätigt sich, dass die Eltern als der Teil der Gesellschaft, der am meisten mit Lehrern zu tun hat und häufig von ihnen durch die Schulkinder hört, ein sehr viel positiveres Bild des Berufsstandes hat als das von Vorurteilen und Klischees geprägte Bild des Lehrerberufs in anderen Gesellschaftsteilen.“

Warnend sprach sich der DL-Präsident, der auch Schulleiter an einem Gymnasium in Bayern ist, gegenüber zwei gegenläufigen Tendenzen aus, die er verstärkt bei Eltern von Schülern registriere: „Zum einen gibt es die Haltung, Erziehungsaufgaben, die eigentlich die Eltern wahrnehmen müssten, als Aufgabe der Schulen anzusehen und einzufordern. Die Schule kann nicht Reparaturbetrieb für alle gesellschaftlichen Probleme sein, damit wären Schulen, auch die von manchen Eltern präferierte Ganztagsschule, strukturell, personell und zeitlich überfordert.“

Eine Tendenz am gegenteiligen Spektrum der Elternschaft ist seiner Beobachtung nach das Phänomen der sogenannten Helikopter-Eltern: „Das sind Eltern, die wie eine schnelle Eingreiftruppe ständig über ihren Kindern kreisen, um ihnen etwa vergessenes Turnzeug und Wasserflaschen hinterherzutragen, und die damit die Entwicklung ihrer Kinder zu Eigenverantwortung und Selbstständigkeit blockieren.“ Ein gesundes Mittelmaß engagierten Interesses am Schulleben der Kinder sei wünschenswert und konstruktiv. bibo / mit Material von dpa
(5.9.2012)

 Zum Bericht: „Lehrer loben! Was der Bundeselternrat für den Sprechtag empfiehlt“

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