Recht auf gemeinsamen Unterricht: Rot-Grün verankert Inklusion in NRW

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DÜSSELDORF. Der gemeinsame Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Kindern ist an einigen Schulen schon Realität. Diese Inklusion soll der Normalfall werden. Eine UN-Konvention verpflichtet auch Deutschland. NRW hat nun ein umstrittenes Gesetz verabschiedet.

Gemeinsam in der Koalition das Inklusionsgesetz beschlossen: Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (links) und Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne). Foto: Grüne NRW / Flickr (CC BY-SA 2.0)
Gemeinsam in der Koalition das Inklusionsgesetz beschlossen: Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (links) und Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) (Archivbild). Foto: Grüne NRW / Flickr (CC BY-SA 2.0)

Behinderte Kinder in Nordrhein-Westfalen haben ab dem kommenden Schuljahr 2014/15 ein Recht auf gemeinsamen Unterricht mit nichtbehinderten – zunächst in den Klassen 1 und 5. Der Düsseldorfer Landtag beschloss ein Inklusionsgesetz der rot-grünen Regierung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen. Damit wird auch im bevölkerungsreichsten Bundesland für Eltern behinderter Kinder schrittweise das Recht verankert, zwischen einer Regelschule und einer speziellen Förderschule zu wählen. Eine UN-Konvention verpflichtet Deutschland zur schulischen Inklusion. Einige Bundesländer wie Bremen, Bayern und Niedersachsen haben die UN-Vorgabe bereits umgesetzt und garantieren den gemeinsamen Unterricht von Behinderten und Nichtbehinderten.

NRW-Schulministerium Sylvia Löhrmann (Grüne) verteidigte das in vielen Punkten umstrittene Gesetz: «Es schafft Rechte für die Eltern von Kindern mit Handicap, und es holt diese Eltern (…) endlich aus ihrer Rolle als Bittsteller heraus.» Die Opposition aus CDU, FDP und Piraten stimmte gegen das Gesetz, das völlig unzureichend sei und mit dem die große Herausforderung Inklusion nicht gelingen werde. Auch Vertreter von Schulen, Lehrern, Eltern, Kirchen, Kommunen, Gewerkschaften und Sozialverbänden kritisieren die Regelung. Sie verlangen mehr Personal, kleinere Klassen, eine systematische Lehrer-Fortbildung und finanzielle Unterstützung.

Löhrmann betonte: «Inklusion ist ein Gewinn.» Alle Kinder könnten davon profitieren. «Nach der Verabschiedung des Gesetzes wird es darauf ankommen, es mit Leben zu füllen.» Inklusion sei «kein Spaziergang, sondern eine anspruchsvolle Bergwanderung.» Das Land werde in den kommenden Jahren zusätzlich rund 2650 Lehrerstellen finanzieren. Der Vorwurf, das Land lasse die Kommunen auf den Kosten sitzen, sei unzutreffend.

Über die Finanzierung der Inklusion streiten NRW-Regierung und Kommunen seit längerem heftig. Quasi in letzter Minute war am Vorabend vereinbart worden, die Finanzfrage erst im kommenden Jahr zu klären. Die Kommunen sehen Kosten in dreistelliger Millionenhöhe auf sich zukommen und verlangen einen Ausgleich vom Land. Die Schulministerin hält den Anspruch für unbegründet. Neu im Gesetz ist ein Passus, demzufolge Regierung, Koalitionsfraktionen und kommunale Spitzenverbände die Kostenfrage bis Januar 2014 ergebnisoffen untersuchen sollen. Die Regelung tritt zudem erst am 1. August 2014 in Kraft. Danach bleibt den Kommunen ein Jahr, um notfalls vor dem Landesverfassungsgericht zu klagen.

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In NRW wird derzeit schon etwa jedes vierte Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf an Regelschulen unterrichtet – meistens an Grundschulen. Die allgemeinen Schulen sollen künftig für die große Mehrheit der Behinderten Regel-Lernort werden. Der Rechtsanspruch setzt nun aufsteigend bei den Klassen 1 und 5 an. Viele befürchten, dass mit dem neuen Gesetz auch das Ende für das Förderschulsystem eingeläutet wird. Aktuell – Schuljahr 2012/13 – gibt es in NRW 680 Förderschulen mit knapp 94.200 Schülern. Löhrmann versicherte, das Land werde keine Förderschule schließen. Elternwille und Bedarf seien zukunftsentscheidend.

Die CDU-Fraktion kritisierte fehlende verbindliche Qualitätsstandards. Jede inklusive Klasse brauche neben der regulären Lehrkraft einen Sonderpädagogen. Inklusion sei nicht zum Nulltarif zu haben. Tatsächlich drohe nun eine «Inklusion nach Kassenlage». Auch die FDP stimmte gegen das Gesetz. «Die Qualität muss das Tempo des Inklusionsfortschritts bestimmen», forderte FDP-Fraktionschef Christin Lindner. Die Regierung solle ihre übereilte Regelung zurückziehen. Die Piraten sprachen von einem schlecht gemachten Gesetz, das NRW auf eine ungewisse Reise schicke.

NRW setzt mit dem Gesetz die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen um, die Kinder mit Handicap in das allgemeine Bildungssystem einbeziehen will. Die UN-Regelung ist in Deutschland bereits 2009 in Kraft getreten. Länder wie Rheinland-Pfalz stecken hier noch im parlamentarischen Verfahren. Andere Bundesländer – etwa Mecklenburg-Vorpommern oder Baden-Württemberg – arbeiten noch an Konzepten. Grundsätzlich stellt Inklusion alle Bundesländer vor große Herausforderungen und wird nach Experten-Einschätzung zu einem Umbruch der Schullandschaft führen. dpa

Zum Bericht: “An die Wand”: Lehrerverbände entsetzt über NRW-Inklusionsgesetz

 

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