„Bereicherung“ oder „Kannibalisierung“ – Parteien streiten um Oberstufe an Gemeinschaftsschulen

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STUTTGART. Baden-Württembergs Gemeinschaftsschulen sollen nach dem Willen der Regierung künftig auch dreijährige Oberstufen einrichten dürfen. Die Opposition sorgt sich indes um die beruflichen Gymnasien.

Die geplante Oberstufe an Gemeinschaftsschulen spaltet den Landtag. Die Opposition sieht in ihr eine überflüssige Konkurrenz zu den beruflichen Schulen. Für Grün-Rot ist sie eine Bereicherung und weitere Wahlmöglichkeit für die Familien. «Sie steuern auf eine Kannibalisierung der beruflichen Gymnasien zu», warf der CDU-Bildungsexperte Georg Wacker am Donnerstag der Koalition vor. Eine dreijährige Oberstufe an Gemeinschaftsschulen bedrohe die Existenz der bewährten beruflichen Gymnasien, die «Schulen des sozialen Aufstiegs» seien.

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Wieder einmal sorgten die Gemeinschaftsschulen für eine heftige Debatte im Stuttgarter Landtag. Foto: Andreas Praefcke / Wikimedia Commons

Kultusminister Andreas Stoch (SPD) warnte die Opposition davor, die Menschen aufzuwiegeln. Es könne keine Rede davon sein, dass Grün-Rot das berufliche Gymnasium ausbluten lasse. Schließlich habe man 150 zusätzliche Eingangsklassen eingerichtet. Jeder Bewerber erhalte nun einen Platz. Außerdem könnten Gemeinschaftsschüler nach der zehnten Klasse auf ein berufliches Gymnasium wechseln. «Wir können gute Bildungswege konstruieren für unsere Kinder, nicht für Schularten.» Ein von der Opposition behaupteter Widerspruch zwischen beruflichen Gymnasien und Gemeinschaftsschulen sei eine reine «Chimäre». Auch der SPD-Abgeordnete Christoph Bayer warf der Opposition vor, Schularten gegeneinander auszuspielen.

Nach Ansicht des Grünen-Politikers Siegfried Lehmanns brauchen auch Familien von Kindern mit Gymnasialempfehlung, die eine Gemeinschaftsschule besuchen, eine Perspektive. Zudem könnten nur dreizügige Gemeinschaftsschulen eine Oberstufe anbieten. Nach Wackers Auskunft haben Gemeinschaftsschulen aber schon heute Probleme, die gymnasialen Standards einzuhalten. Das gelte insbesondere für Französisch als zweite Fremdsprache.

Nach Überzeugung des liberalen Bildungsexperten Timm Kern sprechen schon finanzielle Gründe gegen den Aufbau von Doppelstrukturen. Schließlich gebe es ja für Gemeinschaftsschüler nach dem zehnten Schuljahr den Weg zu Hochschulreife nicht nur über berufliche, sondern auch über allgemeinbildende acht- oder auch neunjährige Gymnasien. Für eine weitere Option sei einfach kein Geld vorhanden. Ähnlich hatte auch der Berufsschullehrerverband in der Vergangenheit argumentiert: Die Pläne widersprächen den grün-roten Zielen der Haushaltskonsolidierung. (Julia Giertz, dpa)

zum Bericht: Realschulen wollen keine Gemeinschaftsschulen werden

zum Bericht: Andreas Stoch – ein Jahr zwischen Lob und Kritik

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