Ein Kommentar von ANDREJ PRIBOSCHEK

Dass Deutsch wohl mittlerweile zu den Top fünf der Weltsprachen zählt und vermutlich sogar Spanisch in der Bedeutung überholt hat, ist für uns erfreulich, spiegelt das Interesse von Sprachenschülern doch die wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung Deutschlands in der Welt. Mehr noch: Die wachsende Aufmerksamkeit belebt den Austausch, wovon wir alle hierzulande profitieren – wirtschaftlich und kulturell. Eine Spirale nach oben also.
Nun sollten wir Deutsche uns allerdings davor hüten, in die sprachliche Arroganz von Briten und Franzosen zu verfallen, die ihre jeweilige Muttersprache (nicht ganz zu Unrecht allerdings) als Weltsprache verstehen und nach dem Motto verfahren: Wer die nicht spricht, ist selber schuld. Und dann weitgehend aufs eigene Sprachenlernen verzichten. Wer immer wieder mal Austauschschüler etwa aus Frankreich bei sich zu Hause zu Gast hat – sofern sich angesichts des sinkenden Interesses auf französischer Seite überhaupt noch welche finden lassen –, der weiß um das erbarmungswürdige Niveau des Deutschunterrichts beim Nachbarn. Ums Englische steht’s dort kaum besser, wie jeder erfährt, der sich zwischen Elsass und Provence in der Weltsprache Nummer eins zu verständigen sucht. Persönliche Erfahrung: In einem französischen Krankenhaus gab es lediglich einen einzigen Arzt, der zumindest rudimentär Englisch sprechen konnte. Und der war Italiener.
Eine solche sprachliche Eindimensionalität hat Folgen. Dass Frankreich heute wirtschaftlich abgeschlagen ist, hat natürlich ein ganzes Bündel an Ursachen. Eine davon hat allerdings mit der Sprachfertigkeit seiner Menschen zu tun: Dass Deutschland (gemessen am Außenhandelsüberschuss) Exportweltmeister ist, hängt mit der Qualität seiner Güter zusammen – und mit der Fertigkeit der deutschen Unternehmen, gut mit Kunden in der ganzen Welt umgehen zu können. Sprachkenntnisse gehören unabdingbar dazu. Insofern mutet es geradezu absurd an, wenn in Frankreich für im Radio gespielte Musik eine Französisch-Quote gilt, Frankreich aber bei internationalen Vergleichsstudien zur Sprachkompetenz regelmäßig schlecht abschneidet. Insofern tut die französische Regierung gut daran, den Fremdsprachenunterricht – wie geplant – grundsätzlich aufzuwerten.
Auch Deutschland sollte sich nicht auf den Lorbeeren ausruhen. Denn die Sprachkenntnisse der deutschen Schüler sind zwar ordentlich, aber nicht spitze – Kinder und Jugendliche aus traditionell nach außen orientierten Ländern wie Schweden oder den Niederlanden liegen deutlich vorne. Dafür müssten wir zunächst mal die Sprachkompetenzen besser fördern, die unsere Kinder mitbringen. Türkisch, zum Beispiel, wird von vielen unserer Schüler gesprochen, ist aber als schriftliches Fach, das auch zeugnis- beziehungsweise abschlussrelevant ist, kaum vertreten. Vielleicht sollten wir in diesem Zusammenhang auch mal die deutsche Besonderheit überdenken, Latein als Fremdsprache zu unterrichten (als was sie andernorts nicht gilt). Die Wahl Französisch oder Latein ist keine sinnvolle: Französisch (oder eine andere lebendige Sprache) – neben Englisch natürlich – benötigt unser Nachwuchs auf jeden Fall.
Zum Bericht: Sogar in Nordkorea: Die deutsche Sprache boomt in der Welt – außer in Russland
Was, sehr geehrter Herr Priboschek, soll Latein anderes sein als eine Fremdsprache ?
Und wäre es nicht angebracht, jenem Ihnen eigenen, nahezu antibildungsbürgerlichen,
Beißreflex dagegen nicht bei jeder sich bietenden Gelegenheit freien Lauf zu lassen ?
Eine freie Gesellschaft, der Sie ja gewiß auch anhängen, zeichnet sich nämlich nicht
durch einen von Ihnen offenbar verfochtenen Dirigismus aus, sondern die Möglichkeit (!)
zur Vielfalt: ’suum cuique‘ (zumal meines Wissens nach kein Schüler mit vorgehaltener
Waffe gezwungen wird, zum Lateinbuch zu greifen).
Oder gilt das Ihrer Anschauung nach lediglich für vermeintlich ökonomisch verwert- und
meßbare Bildungsinhalte ? Dann also doch den schulpolitischen Dominat ?
Im Übrigen dürfte die Lektüre des ‚bellum Gallicum‘ den Schülern etwa die Verlogenheit
aktueller Kriege eventuell viel mehr erhellen als ein oft hastig zusammengebastelter Artikel
in einer französischen oder türkischen Tageszeitung (wenngleich ich eigentlich nicht der
Versuchung erliegen wollte, den Nutzgewinn von Sprachen gegeneinander auszuspielen,
wie Sie es tun).
Liebe/r Milch,
Latein ist eine historische Sprache und wird in internationalen Erhebungen zur Fremdsprachenkompetenz von Schülern nicht erfasst – weil es eben keiner (mehr) spricht. So ist Deutschland in Sachen Mehrsprachigkeit im europäischen Vergleich nur Mittelmaß und liegt weit hinter Spitzenreitern wie Luxemburg, Holland oder Schweden zurück. Quelle: http://ec.europa.eu/deutschland/press/pr_releases/10732_de.htm
Dies hat auch etwas damit zu tun, dass (zu) viele Schüler in Deutschland keine zweite zeitgenössische Fremdsprache lernen. Und natürlich lässt sich der Nutzgewinn von Sprachen zumindest gesellschaftlich gegeneinander abwägen. Das geschieht ja auch. So käme kein Mensch auf die Idee, Schüler lieber Isländisch als Englisch lernen zu lassen, um die von Ihnen verfochtene Vielfalt zu fördern. Und, sorry, ich habe keinen „antibildungsbürgerlichen Beißreflex“ – ich habe offenbar nur andere Vorstellungen von einem Bildungsbürgertum als Sie.
Herzliche Grüße
Andrej Priboschek
Der Wert des Lateins, das ich als 2. Fremdsprache lernte, erschloss sich mir erst, als ich mit Ende 20 begann, Kroatisch (und dann andere slawische Sprachen) zu lernen, die so voller grammatikalischer Formen sind, wie es keine westliche moderne (und weitbekannte) Fremdsprache hat. Latein bereitet darauf vor. Aber natürlich ist so was in Umfragen überhaupt nicht darstellbar.
Isländisch, verehrter Herr Priboschek, bildet ja auch nicht eine Kernsubstanz der europäischen Kultur- wie Geistesgeschichte, die insbesondere auf dem Palatin fußt und nicht auf einem Geysir.
Diesen Zugang heutigen
Gymnasiasten zu ermög-
lichen und nicht im Ge-
genteil zu verstopfen,
halte ich sehr wohl für
ein Zeichen guter Bildungstradition.