Auf dem Schulgelände, und doch fernab: Wie es ist, als Flüchtling in einer Turnhalle zu leben

0

METTMANN. Zahlreiche Turnhallen werden als Notunterkünfte für Flüchtlinge genutzt. Wo normalerweise Volleyballnetze gespannt und Fußbälle gekickt werden, stehen nun Dutzende von Betten. Eine Geschichte aus Nordrhein-Westfalen über Schüler, Schulleiter, Rathäuser und einen Flüchtling.

Habtom sitzt vor der gläsernen Eingangstür und blickt in den verregneten Morgen. Schlafen kann er nicht mehr. Denn in seiner Unterkunft wird gebaut: Habtom ist aus Eritrea geflohen, nun wohnt der 28-Jährige in einer Turnhalle in Mettmann. Wie Habtom geht es auch 6000 Flüchtlingen in rund 41 Turnhallen in ganz Nordrhein-Westfalen.

Es wird gesägt und gebohrt. Drüben – auf der anderen Hallenhälfte – ist das Licht noch aus. Wirklich schlafen, das kann jedoch keiner mehr. «Es ist total hellhörig», sagt Habtom. Man höre es sogar schon, wenn nachts geflüstert werde. Er reibt sich die Augen. Habtom ist von Eritrea fast zwei Wochen zu Fuß in den Sudan geflüchtet. Dann mit dem Auto nach Libyen, in einem kleinen Holzboot über das Meer bis nach Italien. Von dort nach München, Dortmund, Duisburg, schließlich Mettmann. Habtom ist müde. Müde vom ständigen Weiterreisen. Angekommen, das ist er immer noch nicht. «Es sind zu viele verschiedene Leute hier. Ich fühle mich noch nicht sicher», sagt er.

«Das größte Problem ist die Religion», erklärt Unterkunftsleiter Guido Scheiner. Es gäbe vor allem Konflikte zwischen Moslems und Christen. Erst in der vergangenen Woche sei die Lage nachts eskaliert: «Da hat jemand mit einer Glasflasche zugeschlagen.» Wegen der Enge in der Halle und der Ungewissheit, wie es weiter geht, lägen die Nerven hier blank, sagt Scheiner. Genau deshalb versuche man, mehr Privatsphäre durch kleinere Séparées zu schaffen. Und genau deshalb wird gebaut.

Habtom hilft einem Schreiner, Holzspanplatten in die Halle zu bringen. Auf dem Boden ringeln sich von der Bohrmaschine ausgefressenen Späne. Draußen schellt es zur großen Pause. Weil es stark regnet, bleibt der Schulhof leer. Doch Habtom könnte auch bei Sonnenschein nicht einfach herübergehen und mit ein paar Schülern plaudern: Er darf während der Schulzeit nicht auf das Gelände. «Andere Welten», findet Habtom. «Aufsichtspflicht», sagt Schulleiter Kirschner.

Natürlich sei es die oberste Priorität, den Flüchtlingen ein Dach über dem Kopf zu geben. Engen Kontakt gebe es allerdings nicht, sagt Kirschner. Nur eine Straße trennt Schule und Turnhalle. Rechts Bildungsstätte, links Notunterkunft mit rund 130 Flüchtlingen. Sie sind zwischen 18 und 30 Jahre alt, alle männlich.

Die Schüler hätten eher mit Familien und Kindern gerechnet, sagt Kirschner. Zu den jungen Männern könnten die Schüler keine Beziehung aufbauen. Habtom würde gerne Deutsch lernen. Aber die Schule habe keine Kapazitäten zum Unterrichten der erwachsenen Flüchtlinge, sagt Kirschner.

Schulsprecher Dominic würde trotzdem gerne mehr für die Flüchtlinge tun: «Aktivität – das ist es, was am meisten fehlt.» Zuzusehen wie die meisten unter dem Nichtstun leiden, das sei für ihn schlimm. Dominics Fußballverein vom Mettmanner Sport hat inzwischen 50 Flüchtlinge im Verein aufgenommen. Ein Anfang, aber dennoch ein Tropfen auf den heißen Stein angesichts der 347 Flüchtlinge, die in Mettmann leben.

«Wir sind als Stadt derzeit so überbelastet, dass wir für die Beschäftigung kaum sorgen können», erklärt Marion Buschmann, die Abteilungsleiterin für Schule, Kultur und Sport der Stadt Mettmann. Die freien Träger – wie Caritas, VHS und Co. – seien jetzt gefragt.

Bis wann die Halle eine Notunterkunft bleibt? Das kann niemand genau sagen: «Wir hoffen, dass die Turnhalle nach den Herbstferien wieder frei ist. Wenn aber noch mehr Flüchtlinge kommen, dann müssen wir neu planen», sagt Marion Buschmann.

Und für die Zukunft? Schulleiter Kirschner weicht mit dem Sportunterricht solange wie nötig auf andere Sporthallen aus, auf die Stadthalle und die Aula. Selbst, wenn die Halle bald wieder frei ist, wird Schulsprecher Dominic nur kurz etwas davon mitbekommen – er ist bald mit der Schule fertig. Dann wird er wahrscheinlich Jura studieren. Habtom hingegen weiß noch nicht, wo es für ihn hingehen wird. Er hofft, in Deutschland bleiben zu können und für die Zukunft wünscht er sich nur eines: Freiheit. Von Marie Ludwig, dpa

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

0 Kommentare
Inline Feedbacks
View all comments