WIESBADEN. Der Streit zwischen der hessischen Lehrerschaft und der schwarz-grünen Landesregierung erreicht einen neuen Höhepunkt. Nach Medienberichten hat das Kultusministerium gegen Tausende von verbeamteten Lehrern Disziplinarverfahren eingeleitet, die für einen Tag im vergangenen Sommer gegen ihre Arbeitsbedingungen und für die Übertragung des Tarifergebnisses der angestellten Kollegen gestreikt hatten. Die GEW kritisiert Kultusminister Lorz (CDU) für sein „obrigkeitsstaatliches Handeln“, so berichtet die „Frankfurter Rundschau“.
In dem hessischen Schulen ist die Stimmung extrem schlecht. Mehr als 120 Schulen haben sogenannte Brandbriefe an die Verwaltung geschickt, wie Kultusminister Alexander Lorz im Herbst vergangenen Jahres einräumen musste – eine bundesweit beispiellose Aktion. Die Kollegien sehen sich nicht in der Lage, insbesondere die Inklusion wie gewünscht umzusetzen. Mit den seitdem aufgenommenen Flüchtlingskindern dürfte sich die Situation weiter verschärft haben. Zum Vergleich: Als vor zehn Jahren eine einzige Schule, die Berliner Rütli-Schule nämlich, mit einem Brandbrief auf ihre Überlastung aufmerksam machte, sorgte das bundesweit für Schlagzeilen.
“Mehr als einen guten Grund”
Als dann, so berichtet die GEW jetzt, den verbeamteten Lehrkräften die Übertragung des Tarifergebnisses aus dem Tarifvertrag-Hessen (TV-H) verwehrt und eine 18-monatige Nullrunde bei den Dienstbezügen verordnet wurde (erst ab dem 1. Juli 2016 gib es ein Prozent mehr), sei das Fass übergelaufen. Heißt: Rund 6.000 Kollegen folgten einem Streikaufruf der Gewerkschaft. „Die verbeamteten Lehrkräfte hatten mehr als einen guten Grund, ihre Arbeit niederzulegen“, so heißt es in einer Pressemitteilung der GEW. „Dies ist eine unakzeptable Abwertung unserer täglichen Arbeit an den Schulen. Wir werden nicht nur nicht angemessen bezahlt, wir haben auch die bundesweit höchste Unterrichtsverpflichtung. Dagegen haben wir uns mit unserem Streik zur Wehr gesetzt“, erklärten Birgit Koch und Jochen Nagel, die Vorsitzenden der GEW Hessen. Wohlwissend, dass Beamte kein Streikrecht haben.
Dem Streik sei nun eine „Disziplinierungswelle“ des Kultusministeriums gefolgt, die es so noch nie gegeben habe. Eigens für deren Durchführung seien in den Ämtern Juristen befristet eingestellt worden. „Da ist auf einmal Geld vorhanden; wenn wir jedoch sinnvolle Verbesserungen in der Bildung einfordern, wird uns die kalte Schulter gezeigt und mit Verweis auf die Schuldenbremse gesagt, dass kein Geld da sei“, sagte Birgit Koch weiter. Inzwischen setze jetzt eine „regelrechte Verfolgung einzelner Kolleginnen und Kollegen“ ein. Wörtlich heißt es: „Da sollen wegen der Teilnahme am Streik Dienstjubiläen nicht abgehalten, Probezeiten verlängert und einzelne Kolleginnen und Kollegen schon vor Abschluss der Disziplinarermittlungen nicht in Bewerbungsverfahren aufgenommen werden.“
Viele betroffene Kollegen nutzten die Gelegenheit zur Anhörung in den Staatlichen Schulämtern, um zu den gegen sie eingeleiteten Disziplinarverfahren Stellung zu beziehen. Sie legen darin ausführlich dar, warum sie gestreikt haben und weshalb dieser Streik aus ihrer und unserer Sicht auch rechtmäßig ist. Die Schulämter seien noch immer mit der Aufarbeitung der von ihnen betriebenen Disziplinarverfahren beschäftigt, andere Arbeiten müssen deshalb warten, denn auch an den Staatlichen Schulämtern regiere der Rotstift. In vielen Ämtern würden die Verfahren wohl erst 2017 abgeschlossen sein.
„Welch‘ eine Verschwendung von Ressourcen, Kraft und Zeit“, stellt Maike Wiedwald, die stellvertretende GEW-Landesvorsitzende, fest, „dabei haben viele Kollegien dem Kultusministerium mit ihren Überlastungsanzeigen und Resolutionen von Personalversammlungen immer wieder zur Kenntnis gegeben, dass die Arbeitsbedingungen in den hessischen Schulen miserabel sind. Dies tun sie nun erneut mit ihren schriftlichen oder mündlichen Stellungnahmen in den Verfahren“. Kultusminister Lorz habe jedoch auf diese kritischen Schreiben, Aussagen und Appelle in der Regel nur ausweichend reagiert. Bestenfalls wurde allgemein Verständnis ausgedrückt, konkrete Verbesserungsmaßnahmen sind jedoch nicht erfolgt.
Laut „Frankfurter Rundschau“ hat das Kultusministerium bestätigt, dass 4200 Disziplinarverfahren gegen verbeamtete Lehrkräfte anhängig seien. Dass früher solche Aktionen nicht sanktioniert wurden und heute dagegen vorgegangen wird, begründete ein Sprecher mit einer „geänderten Rechtslage“. Das Bundesverwaltungsgericht habe 2014 bestätigt, dass die Streikteilnahme verbeamteter Lehrkräfte mit den Grundsätzen des Berufsbeamtentums unvereinbar sei. News4teachers
