Islamforscher appelliert an Lehrkräfte: Junge Muslime in der Schule einbinden

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DÜSSELDORF. Der Erziehungs- und Sozialwissenschaftler Dr. Klaus Spenlen lehrt und forscht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf zu den Themen „Islam“ und „Migration“ . Er hat aktuell einen Leitfaden für Schule, Aus- und Weiterbildung zum Thema „Islam in Deutschland“ vorgelegt – und appelliert in seinem Gastbeitrag für News4teachers an Lehrkräfte, sich nicht von dem grassierenden Populismus anstecken zu lassen.

Jugendliche aus muslimischen Familien provozieren mitunter durch radikales Gehabe. Foto: privat
Jugendliche aus muslimischen Familien provozieren mitunter durch radikales Gehabe. Foto: privat

Falsche Propheten gibt es zu allen Zeiten und an allen Orten. Sie sind in der Zivilgesellschaft, bei den „Wutbürgern“, in Medien, politischen Parteien und anderen Gruppierungen präsent und errichten ideologische Mauern zwischen Mehrheiten und Minderheiten, zwischen Muslimen, Nicht- und Andersgläubigen. Sie treffen vielerorts auf offene Ohren, ignorieren die gesellschaftliche Wirklichkeit und schließen Gewalt als strategisches Mittel nicht aus. Hier gilt es, mit Informationen dagegenhalten und anzuregen, Haltungen zu überdenken. Denn wer sich als der oder die „Andere“ denkt und empfindet, kann sich kaum auf eine Perspektive von Gemeinsamkeiten, Ähnlichkeiten oder Zugehörigkeit einlassen. Gerade Pädagoginnen und Pädagogen sollten mehr über die „Anderen“ erfahren und die Gratwanderung der Bestimmung des „Eigenen“ und „Anderen“ im Sinne gemeinsamer gesellschaftlicher Vorstellungen reflektieren.

In Deutschland geboren

Die aktuelle Generation muslimischer Jugendlicher ist in der Regel in Deutschland geboren, unmittelbare Migrationserfahrung haben nur sehr wenige selbst gemacht. Gleichwohl prägen Migration und Religion ihr Selbst- und Fremdbild. Zunehmend wird Religion – oder das, was einige dafür halten – auch in Bildungseinrichtungen und Betrieben gelebt und mit Ansprüchen verknüpft. Daraus ergeben sich täglich Fragen, was denn die religiösen Prägungen muslimischer Kinder und Jugendlicher ausmacht, was den religiösen und rechtlichen Rahmen für berechtigte Forderungen bildet, was dagegen Provokation ist und was die Grenze zur Radikalisierung bereits überschreitet. Hinweise auf Grenzüberschreitungen kann es bereits geben, wenn zum Beispiel muslimische Schüler Lehrerinnen den Handschlag verweigern oder Andersgläubige als „kuffar“, Ungläubige, bezeichnen und damit das Vokabular der Neo-Salafisten verwenden.

Reize auf Jugendliche, die von Fundamentalismus und Salafismus sowie religiös begründeter Gewalt ausgehen, bilden vielleicht heute die größte Herausforderung. Dabei ist das pädagogische Ziel klar: Jeder Form von Islamismus muss radikal der Boden entzogen werden. Wir müssen junge Muslime ermutigen und darin unterstützen, eine europäische Identität auszubilden, deren Kern es ist, einen hohen Grad an Gemeinsamkeiten zu entwickeln, der rechtliches, religiöses und politisches Handeln verbindlich macht und der persönliche Verantwortung dabei klar regelt.

Dieses Verständnis von Identität lebt von der Bereitschaft, dazuzugehören, zu partizipieren und das Gemeinwesen mitzugestalten. Zugehörigkeit schafft einen einheitlichen gesellschaftlichen Bezugsrahmen, sie lebt von der Vielfalt im Gemeinsamen. Bestandteil dieses Gedankens ist es, die einseitige Fixierung auf die Umma, die Gemeinschaft der gläubigen Muslime, zu hinterfragen. Das verbindende Motto im Anschluss an die Pariser Attentate vom 13. November 2015 könnte dabei Richtung weisend sein: „Nous sommes unis!“ Zugleich würde damit den falschen Propheten Wind aus den Segeln genommen, die Muslime unter Generalverdacht stellen und „Assimilation“ sowie eine Orientierung an der „deutschen Leitkultur“ einfordern oder rücksichtslos Gesinnungsethik oder Islamophobie predigen.

Der Weg der Integration ist lang

Dieser Weg ist lang. Wie steinig er ist, zeigen einige Fragen: Was versteht die Mehrheitsgesellschaft darunter, wenn sie von „ihren“ Werten, „ihrer“ Kultur und „ihren“ Traditionen spricht? Kann sie sich dabei auf gemeinsame Nenner einigen, oder sind es Phrasen, die lediglich für eine Abwehrrhetorik herhalten müssen? Wird ein Kulturbegriff verwendet, der „westliche“ Kultur der islamischen als überlegen ansieht? Akzeptiert die Gesellschaft auch dann eine Unteilbarkeit des Rechts, wenn es um „islamische“ Fragen wie Kopftuch, Gebetsräume, nach Geschlechtern getrennten Unterricht, um islamischen Religionsunterricht oder rituellen Beschneidungen geht?  Wie halten es Bildungseinrichtungen und Betriebe mit der Bildungs- und Berufsintegration jenseits von Rasse, Ethnie, Geschlecht oder Religion? Inwieweit entsprechen Diskriminierte den Bildern, die von ihnen in groben Strichen gemalt werden, und inwieweit wird bedacht, dass Viktimisierung und Selbstviktimisierung sowie Fremdheitserfahrungen und Segregation jeweils Geschwisterpaare bilden?

Es ist zunehmend schwierig, sich eine junge Generation in Deutschland vorzustellen, in der sich „die“ Muslime und „die“ Mehrheitsgesellschaft gegenseitig als Kollektive gegenüberstehen, von denen gegenseitige Anpassungsleistungen gefordert werden. Notwendig erscheint vielmehr gesellschaftliche Kohäsion, insbesondere nach bestehenden und zu vermittelnden Gemeinsamkeiten sowie verbindlichen Wertvorstellungen, die die Gesellschaft zusammenhalten. Je mehr Kontakte zu Muslimen bestehen, und je differenzierter die Informationen über sie und ihre Religion sind, desto eher kann ein Miteinander gelingen.

Hintergrund
Islamforscher Klaus Spenlen, Foto IIK
Der Islamforscher Klaus Spenlen, Foto IIK

Klaus Spenlen sammelte Erfahrungen in den Berufsfeldern Schule, Studienseminar, Ministerium und Deutsche Islamkonferenz. Er hat über die Integration muslimischer Kinder und Jugendlicher mit summa cum laude promoviert. Seine vielbeachteten Bücher und Aufsätze beschäftigen sich alle mit dem Verhältnis von Islam und Mehrheitsgesellschaft.

Sein neues Buch „Islam in Deutschland _ Ein Ein Leitfaden für Schule, Aus- und Weiterbildung“ ist allen, die beruflich mit jungen Muslimen arbeiten, eine wichtige Hilfe. Es ist in der NdS-Verlagsgesellschaft erschienen, ISBN 978-3-87964-322-6 (26,80 Euro). Lehrkräfte, Erzieherinnen und Ausbildungsleiter werden mit Informationen, Quellen, Zitaten, Abbildungen, Statistiken, Grafiken, Gerichtsentscheidungen sowie Daten zur Situation von Frauen im Islam für ihren beruflichen Alltag fit gemacht. Sie werden in die Lage versetzt, islamisch motivierte Konflikte professionell im Sinne praktischer Konkordanz verträglich zu lösen, damit Bildung und Ausbildung weiterhin vor allem Lern- und Begegnungsorte bleiben, die nicht von religiösen Auseinandersetzungen dominiert werden.

Das Buch soll auch zur Entwicklung von Konzepten für professionelle Jugendarbeit befähigen, die auf Vereinbarkeit von Islam und gesellschaftlichen Grundwerten zielt, interreligiöse Kontakte knüpft und Jugendliche stärkt, sich den Verlockungen islamistischer Ideologien zu verweigern.

Foto, Buch

 

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