Reicht Erdogans Arm bis in Deutschlands Schulen? Immer mehr Landesregierungen sehen Einfluss des Verbands Ditib mit Sorge

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BERLIN. „Die Ditib ist strukturell, finanziell und ideologisch abhängig von Diyanet, der türkischen Religionsbehörde“, erklärt die Islamwissenschaftlerin Susanne Schröter. Diese wiederum sei unmittelbar dem türkischen Ministerpräsidenten unterstellt. Das ist angesichts der Verhaftungs- und Repressionswelle in der Türkei keine Kleinigkeit. Denn Ditib übt Einfluss auf Inhalte des islamischen Religionsunterrichts aus, wie er in einigen Bundesländern angeboten wird. Rheinland-Pfalz hat daraus bereits die Konsequenz gezogen, laufende Verhandlungen mit Islamverbänden auszusetzen. In Niedersachsen scheint eine eigentlich bevorstehende Einigung über einen „Islamvertrag“ vorerst geplatzt zu sein.

Wie weit reicht der Arm des türkschen Präsidenten Erdogan? Foto: Ra'ed Qutena / flickr (CC BY-NC-SA 2.0)
Wie weit reicht der Arm des türkschen Präsidenten Erdogan? Foto: Ra’ed Qutena / flickr (CC BY-NC-SA 2.0)

Als Reaktion auf die politische Entwicklung in der Türkei wächst in Deutschland die Skepsis gegenüber dem von Ankara kontrollierten Moscheen-Dachverband Ditib („Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion“). Unionsfraktionschef Volker Kauder sprach sich dafür aus, den Einfluss des größten islamischen Verbandes einzuschränken. „Meines Erachtens sollte man es nicht zulassen, dass ein Verband wie Ditib, der offenbar Sprachrohr von Präsident Erdogan ist, den islamischen Religionsunterricht in Schulen gestaltet“, sagte der CDU-Politiker. Auch Prof. Dr. Susanne Schröter, Leiterin des Forschungszentrums Globaler Islam (FFGI), sieht Ditib mittlerweile kritisch. Ditib (sie bezog sich dabei auf den hessischen Landesverband) habe sich durch den Einfluss der Türkei stark verändert. Vertreter der Religionsbehörde säßen in allen wichtigen Ditib-Gremien, um die Organisation zu kontrollieren und Einfluss zu nehmen, wird die Frankfurter Wissenschaftlerin zitiert.

Rheinland-Pfalz: Verhandlungen ruhen

Angesichts solcher Stimmen hat Rheinland-Pfalz die Verhandlungen mit Islamverbänden zum Religionsunterricht ausgesetzt. Die Ampel-Regierung in Mainz wolle sich zunächst ein umfassendes Bild über die neue Situation verschaffen und die Verhandlungen so lange ruhen lassen, sagte Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) in Mainz. Die Frage einer politischen Einflussnahme der Türkei auf die Verbände soll von einem Gutachter neu beurteilt werden. Dabei werde insbesondere die Entsendung von Imamen aus der Türkei geprüft, sagte Dreyer.

Baden-Württemberg: Prüfung läuft

Auch das baden-württembergische Kultusministerium wertet nun aktuelle Aussagen von Ditib aus. Gewonnene Erkenntnisse würden bei einer Beurteilung von Staatsferne und Rechtsstaatlichkeit – vor allem bei einem Verfahren zur Anerkennung als Religionsgemeinschaft – berücksichtigt, erklärte eine Sprecherin. Die Ditib möchte islamischen Religionsunterricht sunnitischer Prägung erteilen und hat dies bereits seit langem beim Kultusministerium in Stuttgart beantragt. Über die dafür erforderliche Anerkennung als Religionsgemeinschaft ist aber noch nicht entschieden worden.

Das Ministerium sprach den Lehrkräften für islamischen Religionsunterricht sein Vertrauen aus. Sie seien an deutschen Hochschulen ausgebildete Pädagogen, die in einem Dienst- oder Arbeitsverhältnis mit dem Land stünden und für die Einhaltung aller pädagogischen Grundsätze sensibilisiert seien. Der islamische Religionsunterricht findet unter staatlicher Schulaufsicht in deutscher Sprache statt.

Hessen beobachtet

In Hessen gibt es bereits seit 2013 einen bekenntnisorientierten Islamunterricht. Einer der Kooperationspartner auch hier:  Ditib. Angesichts der politischen Turbulenzen in der Türkei behält sich das hessische Kultusministerium Konsequenzen vor – zieht aber noch keine. Gegenwärtig gebe es keinen Einfluss des türkischen Staates auf den Unterricht, betonte ein Ministeriumssprecher in Wiesbaden. „Sollte jedoch auf unsere Lehrkräfte und die Unterrichtsinhalte Einfluss genommen werden, so würden wir umgehend einschreiten und die Zusammenarbeit mit Ditib Hessen beenden.“

Niedersachsen: Platzt der „Islamvertrag“?

Nach jahrelangem Tauziehen um einen Islamvertrag in Niedersachsen ist die CDU auf der Zielgeraden aus den Gesprächen ausgestiegen. Weil Ditib in starkem Maße von der türkischen Regierung beeinflusst und gesteuert werde, werde die CDU sich in dieser Regierungsperiode nicht mehr an Verhandlungen zu dem Islamvertrag beteiligen. Dies habe die Landtagsfraktion einstimmig beschlossen, teilte die CDU mit. Weil die rot-grüne Landesregierung den Islamvertrag nicht alleine mit ihrer knappen Stimmenmehrheit sondern möglichst breiter Unterstützung auf den Weg bringen will, könnte der CDU-Entscheid möglicherweise zunächst das Ende der Verhandlungen mit den muslimischen Verbänden bedeuten.

Der Ditib-Bundesverband zeigt sich über das wachsende Misstrauen irritiert. „Sämtliche Unterstellungen der Fremdsteuerung, der politischen Einflussnahme aus der Türkei, der politischen Agitation und der damit verbundenen angeblichen Nicht-Zuständigkeit unserer Religionsgemeinschaft als Ansprechpartner zu fungieren, weisen wir aufs Schärfste zurück“, erklärte eine Sprecherin des niedersächsischen Landesverbands. Vom Bundesvorstand kamen ähnliche Töne. „Dass die Ditib parteipolitisch neutral ist, das belegen mehrere Gutachten in mehreren Bundesländern“, sagte Mitglied Bekir Alboga. Er warf deutschen Parteien vor, das Thema für ihre Interessen zu instrumentalisieren.

Allerdings wächst die Kritik an Ditip in Deutschland eben bundesweit und parteiübergreifend: In Nordrhein-Westfalen, wo es bereits seit 2012 einen bekenntnisorientierten Islamunterricht gibt, scheint aktuell an Ditib ein gemeinsames Vorgehen gegen den radikal-islamischen Salafismus zu scheitern. Laut „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat das SPD-geführte Innenministerium in Düsseldorf seine Kooperation mit dem Verband, bei dem es um ein Präventionsprogramm für Jugendliche ging, beendet. Über die Gründe wurde noch nichts verlautet. News4teachers / mit Material der dpa

Zum Bericht: Erdogan drängt zehntausende Lehrer aus den Schulen – GEW: In der Türkei werden Rechte ausgehebelt

Zum Bericht: AfD will keinen Islam-Unterricht: EKD-Vorsitzender ist ein «gefährliches Irrlicht», meint Gauland

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