Kinder in Gefahr? Jugendämter prüfen immer mehr Verdachtsfälle – auch weil Lehrer genauer hinschauen

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WIESBADEN. Die Jugendämter prüfen immer öfter, ob ein Kind in Deutschland misshandelt oder vernachlässigt wird. Rund 129.000 solcher Verfahren wurden 2015 gezählt. Das waren 4,2 Prozent mehr als im Jahr zuvor, wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden am Dienstag mitteilte. Die Zahlen werden seit 2012 erhoben und sind seither von Jahr zu Jahr gestiegen. Warum?

Immer wieder gibt es Fälle von brutaler Gewalt gegen Kinder - Symbolbild. Foto: goldsardine / Flickr (CC BY-ND 2.0)
Immer wieder gibt es Fälle von brutaler Gewalt gegen Kinder – Symbolbild. Foto: goldsardine / Flickr (CC BY-ND 2.0)

Die stellvertretende Bundesgeschäftsführerin des Deutschen Kinderschutzbunds, Cordula Lasner-Tietze, erklärt den Anstieg so: «Die betroffenen Kinder rücken aus dem Dunkel- ins Hellfeld.» Im Kinderschutz seien Verfahrensweisen stärker verabredet worden. Die «Verantwortungsgemeinschaft der unterschiedlichen Professionen» funktioniere besser, und «das Bewusstsein der Gesellschaft hat sich verändert». Trotzdem: «Die bittere Pille ist: Es sind immer noch Kinder massiv von Gewalt betroffen.»

Die Geschäftsführerin der Bundeskonferenz für Erziehungsfragen (bke), Silke Naudiet, sagt: «Die Sensibilität ist höher: bei Nachbarn, bei nicht-professionellen Bezugspersonen, aber auch bei Lehrern und Erziehern.» Ob wirklich mehr Kinder in Gefahr seien, lasse sich nur schwer sagen. Allerdings: «Die Schwere zwischen den Kindern, die in schwierigen Bedingungen leben, und denen, die sehr gut behütet aufwachsen, geht auseinander.»

Eine akute Kindeswohlgefährdung stellten die Jugendämter rund 20.800 Mal fest. Das waren 11,7 Prozent mehr als 2014. In knapp 24.200 Verfahren konnte eine Gefährdung der Jungen und Mädchen nicht ausgeschlossen werden, ihr Wohl war latent gefährdet (plus 7,9 Prozent). Fast zwei Drittel der Kinder, deren Wohl akut oder latent gefährdet war, wiesen Zeichen von Vernachlässigung auf (63,7 Prozent). In mehr als jedem vierten Fall (27 Prozent) deutete alles auf psychische Misshandlung hin. Etwas weniger oft (23,1 Prozent) war nach Einschätzung der Fachleute körperliche Misshandlung im Spiel. Zeichen für sexuelle Gewalt wurden in 4,4 Prozent der Fälle ausgemacht.

In rund 43.200 weiteren Fällen (plus 4,0 Prozent) kamen die Jugendämter zu dem Ergebnis, dass das Wohl der Kinder zwar nicht in Gefahr war, die Familien aber Unterstützung brauchten. In so mancher Familie seien Eltern überfordert und durch ihren eigene Probleme abgelenkt, sagte Naudiet. In fast genauso vielen Fällen (41 300) gaben die Experten Entwarnung: Sie stellten weder eine Gefahr noch einen Bedarf an Hilfe fest (minus 1,0 Prozent).

Polizei, Gerichte und Staatsanwaltschaften machten das Jugendamt am häufigsten auf eine mögliche Kindeswohlgefährdung aufmerksam (21,7 Prozent). In mehr als zwölf Prozent der Fälle kam der Hinweis von Bekannten oder Nachbarn und genauso oft von Schulen oder Kitas. Gut jeder zehnte Tipp war anonym. Die Jugendämter überprüften etwa gleich oft das Wohl von Jungen und Mädchen. Fast jedes vierte Kind (23,4 Prozent) war jünger als drei Jahre. Mit zunehmenden Alter nehmen die Verfahren ab: 14- bis 17-Jährige machten nur 16,8 Prozent aus. dpa

Zum Bericht: Sexueller Missbrauch – Bundesbeauftragter betont, Schulen können „gefährliche Orte“ sein

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