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Berlin ist Schlusslicht in der deutschen Bildungslandschaft – Scheeres nimmt die Lehrkräfte in die Verantwortung

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BERLIN. Das schlechte Abschneiden der Berliner Schüler bei gleich zwei Leistungsvergleichen – bei VERA 8 und beim IQB-Bundesländervergleich – sorgt für gehörigen Ärger in der Bundeshauptstadt. Schulsenatorin Sandra Scheeres (SPD) nimmt die Lehrkräfte in die Verantwortung. Die bislang nur sporadisch genutzte Selbstevaluation, mit der sich Lehrer und Schulleiter anonym beurteilen lassen können, soll künftig verbindlicher werden. Sie erntet dafür empörte Reaktionen.

Nimmt die Lehrkräfte in die Pflicht: Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD). Foto: Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft

Berlin ist Schlusslicht in der deutschen Bildungslandschaft. Beim IQB-Ländervergleich schnitten die Neuntklässler in Berlin im Fach Deutsch mit am schlechtesten ab – wie schon bei der Vorgängerstudie 2010 . Demnach verfehlen in Berlin beim Lesen fast ein Drittel der getesteten Schülerinnen und Schüler die vorgegebenen Mindeststandards. Bei den VERA 8-Ergebnissen zeigt sich ein ähnliches desaströses Bild: In Deutsch unterschritten über 35 Prozent der Achtklässler die Mindestanforderungen, in Mathematik gar 68 Prozent. In Englisch sind es rund 40 Prozent der Schüler, die als Risikogruppe gelten müssen.

Es gebe nicht „die eine Stellschraube bei der Schulqualität“, befand Scheeres bereits vergangenen Donnerstag, nachdem die Ergebnisse von VERA 8 bekannt geworden waren. Um die Schülerleistungen zu steigern hält Scheeres es einem Bericht des „tagesspiegel“ zufolge für unabdingbar, dass die Lehrer Schlussfolgerungen aus den schlechten Ergebnissen ziehen. „Die einzelnen Schüler sowie die Eltern müssen eine ausreichende Rückmeldung bekommen, wo die Kinder gut abgeschnitten haben und wo Probleme bestehen“, so wird Scheeres zitiert. Die Lehrkräfte müssten dann „die notwendigen Schlussfolgerungen für die Förderung des einzelnen Kindes ableiten und den Unterricht danach ausrichten“. Schulen, bei denen ein negativer Trend absehbar ist, solle schneller von der Schulaufsicht „geholfen“ werden – also nicht erst, wenn die Schulinspektion Probleme erkenne (denn die komme nur alle fünf Jahre). Vielmehr sollen Indikatoren entwickelt werden, die frühzeitig zeigen, ab welchem Zeitpunkt eine Schule aus dem Ruder läuft. Dazu könnten schlechte Schülerleistungen gehören, aber auch eine hohe Schwänzerquote.

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Optimierungsbedarf sieht die SPD-Politikerin auch bei der Selbstevaluation der Pädagogen: Das Onlineportal www.isq-bb.de, bei dem sich Lehrer durch Schüler, Schulleiter durch Lehrer und Schulräte durch Schulleiter anonym bewerten lassen können, werde zu wenig genutzt, hieß es. Die Senatorin wolle deshalb eine „größere Verbindlichkeit“ – besonders bei Schulräten und Schulleitern. Die Lehrer machten zwar mehr von dem Portal Gebrauch, aber auch bei ihnen sei „grundsätzlich eine größere Verbindlichkeit denkbar“. Was das bedeuten soll, ist unklar: Vor einer Verpflichtung schrecke  Scheeres noch zurück, so heißt es in dem Bericht.

“Die Lehrkräfte geben ihr Bestes”

Die GEW zeigt sich trotzdem verärgert. „Die Senatorin versucht, ihre Verantwortung auf uns Lehrkräfte abzuwälzen. Sie sollte sich stattdessen Gedanken über die Rahmenbedingungen und eine bessere Personalausstattung machen. Die Lehrkräfte geben ihr Bestes, aber viele von ihnen sind an der Belastungsgrenze“, sagt Tom Erdmann, Vorsitzender der Berliner. Er wies darauf hin, dass die zahlreichen Schulreformen der letzten Jahre ohne ausreichende Ressourcen umgesetzt werden mussten.

Die GEW erwarte vom künftigen Senat, selbst Konsequenzen zu ziehen. Anstatt über „inklusionsfeindliche Instrumente wie Vergleichsarbeiten immer mehr Druck auf die Pädagogen auszuüben“, fordert die Gewerkschaft eine gezielte Unterstützung der Schulen. Erdman: „Es fehlt an dem pädagogischen Personal für die individuelle Förderung – insbesondere in den Brennpunktschulen, in denen es besonders nötig ist.“

Aus Sicht der GEW ist es kontraproduktiv, dass sich die Bildungspolitik mit immer neuen Vergleichsstudien beschäftigt. „Seit Jahren sprechen wir uns gegen die Vergleichsarbeiten aus, weil sie eine zusätzliche Belastung für die Schülerinnen und Schüler und Lehrkräfte darstellen und konkrete strukturelle Konsequenzen ausbleiben. Fallen die Ergebnisse schlecht aus, wird reflexartig der Druck auf die Pädagoginnen und Pädagogen und die Schulen erhöht, die Ursachen jedoch werden nicht analysiert“, erläuterte Nuri Kiefer, Leiter des Vorstandsbereichs Schule in der GEW Berlin.

Kiefer stellte die Aussagekraft derartiger Vergleichsstudien grundsätzlich in Frage. „Die Vergleichsarbeiten wollen gleich machen, was nicht gleich ist. Berlin zeichnet sich durch eine besonders heterogene Schülerschaft aus. Die Kinderarmut liegt bei über 30 Prozent, an über 200 Schulen bezieht mehr als die Hälfte der Eltern Transferleistungen“, erläuterte Kiefer. Auch die Quote der in die Regelschulen integrierten Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf sei in Berlin mit etwa 60 Prozent sehr hoch. Das gleiche gelte für die Anzahl der Schüler mit nicht-deutscher Herkunftssprache.

Kiefer betonte, dass Berlin mit seinen Gemeinschaftsschulen bereits über eine Schulform verfügt, die unabhängig von sozialer Herkunft und Förderbedarf hohe Lernzuwächse ermöglicht. „Die Gemeinschaftsschulen sind ein Erfolgsmodell, das unbedingt gefördert und ausgebaut gehört“, erklärt die Gewerkschafterin. Hintergrund: Angesichts der aktuell laufenden Koalitionsverhandlungen von SPD, Linken und Grünen wird in Berlin über eine mögliche große Strukturreform im Schulsystem spekuliert. Insbesondere die Linkspartei will die Gemeinschaftsschule, an der Kinder bis zum Schulabschluss gemeinsam lernen, zur gängigen Schulform machen.

Die Berliner Schulen könnten Kinder derzeit noch nicht einmal an die Mindeststandards für eine mittlere Schulbildung heranführen, kritisierte die CDU-Bildungspolitikerin Hildegard Bentele. „Damit fehlen ihnen essenzielle Kompetenzen für ihren persönlichen und beruflichen Fortgang.“ Die bisher für Bildung verantwortliche SPD sehe die Misere aber nicht. Statt Methoden wie „Schreiben nach Gehör“ zu überprüfen und Lehrer wieder zu Beamten zu machen, senke Scheeres einfach das Prüfungsniveau. Der FDP-Politiker Paus Fresdorf befand: Die laufenden Koalitionsverhandlungen machten keinen Mut, dass die Bildungspolitik besser werde. Agentur für Bildungsjournalismus / mit Material der dpa

Zum Bericht: Berlin senkt seine Durchfallerquote – Zentrale Abschlussprüfung auf dem Niveau „maximal siebte Klasse“

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