Eine Analyse von News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek.
WASHINGTON. Lassen sich Umweltkatastrophen per Volksabstimmung verhindern? In den USA offenbar schon. Dort wird es nach der Amtseinführung Donald Trumps zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten keinen menschengemachten Klimawandel mehr geben, zumindest nicht mehr als Grundlage der Washingtoner Politik. Er glaube nicht an den Klimawandel, so hat Trump mehrfach erklärt – und dabei immer wieder auch angemerkt, es sei draußen doch gerade sehr kalt.
Nicht nur, dass Trump den von allen seriösen Wissenschaftlern geteilten Befund, die Menschheit verursache einen weltweiten Temperaturanstieg, für falsch hält. Er wittert sogar eine Verschwörung dahinter. So twitterte er vor vier Jahren, die Idee des Klimawandels sei „von den und für die Chinesen erfunden, um der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie in den USA zu schaden“. Gravierende politische Folgen hat das jetzt: Aktuellen Medienberichten zufolge sucht Trumps Entourage bereits nach Wegen, das von Noch-Präsident Barack Obama erst unlängst ratifizierte Klimaschutzabkommen zu umgehen.
Ist Trumps Haltung nur die neueste Blüte der oftmals exzentrischen US-Amerikaner, von denen auch immerhin rund 30 Prozent nicht an die Evolution „glauben“? Keineswegs. Auch in Deutschland scheint die Skepsis gegenüber der wissenschaftlichen Erkenntnis zu wachsen, wonach das von der Menschheit in die Atmosphäre gesetzte CO2 zu einem Treibhauseffekt führt. So hat die AfD im Frühjahr ein Programm beschlossen, in dem die Lehren des Weltklimaberichts – ein mehr als 3.000 Seiten umfassender Report, für den Wissenschaftler fünf Jahre lang den weltweiten Forschungsstand zum Klimawandel zusammengetragen haben –, schlicht für unsinnig erklärt werden. Mehr als 1.000 Experten haben an dem Weltklimabericht mitgeschrieben. Sind das alles Idioten? Aus Sicht der AfD offenbar schon.
„Das Klima wandelt sich, solange die Erde existiert. … Seit die Erde eine Atmosphäre hat, gibt es Kalt- und Warmzeiten“, so weiß die Partei – und hat damit zweifellos recht (wer wüsste nicht, dass es mal eine Eiszeit gab). Dann aber wird es aberwitzig. „Wir leben heute in einer Warmzeit mit Temperaturen ähnlich der mittelalterlichen und der römischen Warmzeit“, behauptet die AfD. Sie vergisst allerdings zu erwähnen, dass es sich bei der „mittelalterlichen und der römischen Warmzeit“ um regionale Klimaschwankungen und keineswegs um ein globales Phänomen handelte. Und dass wir heute (globale) Temperaturen haben, wie es sie in den vergangenen 2000 Jahren auf der Erde nicht gab. Mehr noch: Die AfD glaubt, dass Kohlendioxid in der Atmosphäre sogar nützlich sei – es rege das Pflanzenwachstum an und leiste somit einen Beitrag gegen den Hunger in der Welt. Himmlischer Dünger also statt Klimakatastrophe. Nachweise für die abstruse These? Fehlanzeige.
„Hinter all dem steckt eine gefährliche Strategie: Wissenschaft selbst soll instrumentalisiert und politisiert werden. Passen die Ergebnisse nicht, werden Wissenschaftler zur neuen “Lügenpresse” deklariert, die mit den Mächtigen konspirieren. Für die AfD ist das äußerst bequem. Wer sich das naturwissenschaftliche Fundament nach Belieben hinbiegt, kann auch nach Belieben politische Forderungen stellen“, so kommentiert die „Süddeutsche Zeitung“ und meint: „Der Angriff auf die Wissenschaft ist eine Zäsur in der politischen Debatte Deutschlands.“ Tatsächlich hat es noch keine Partei gewagt, sich derart offen gegen wissenschaftliche Erkenntnisse zu stellen. Das Erstaunliche: Die AfD kommt damit offenbar durch. Der hanebüchene Unsinn im Programm hat den wachsenden Zuspruch zu der Partei nicht bremsen können.
Man stelle sich vor, eine etablierte Partei würde in ihr Programm schreiben: Alle Befunde, nach denen Rauchen schädlich ist, sind Quatsch – denn Helmut Schmidt wurde qualmend bekanntlich ganz schön alt. Und deshalb seien alle Maßnahmen zum Nichtraucherschutz sofort zurückzunehmen. Wer würde nicht am geistigen Gesundheitszustand der Verfasser zweifeln?
Die Debatte um den Klimawandel ist tatsächlich nur ein Themengebiet, mit dem sich das neue „postfaktische Zeitalter“ illustrieren lässt. Immer mehr Menschen ignorieren Fakten, Expertenwissen und wissenschaftliche Erkenntnisse oder tun sie als Gängelungsinstrumente einer Strippen ziehenden Elite ab (wobei Wissenschaftler zunehmend mit Journalisten, Politikern und Wirtschaftsvertretern in einen Topf geworfen werden). Komplexe Zusammenhänge und Befunde werden durch selbstgestrickte schlichte Eindrücke ersetzt, bis nur noch eine Karikatur von Wissenschaft übrig bleibt – und das kalte Wetter draußen als Beleg für den ausbleibenden Klimawandel gilt. Diese Entwicklung lässt sich in den USA genauso wie in Deutschland verfolgen.
“Früher war alles besser”
Wie der „Spiegel“ berichtet, kommt eine aktuelle Umfrage in den Vereinigten Staaten zu dem Ergebnis, dass vier von fünf Trump-Anhängern die These bejahen: „Das Leben in Amerika ist heute schlechter als vor 50 Jahren“. Entsprechend lautete Trumps Slogan: „Make America great again!“ Nur: Es gibt keinen einzigen Indikator, an dem sich festmachen lässt, dass das Leben früher in den USA tatsächlich besser gewesen wäre. Im Gegenteil: Vor 50 Jahren standen die USA im Vietnam-Krieg, das mittlere Einkommen lag um 25 Prozent niedriger und die Lebenserwartung ist seitdem um neun Jahre gestiegen.
Die These, dass heute vieles – wenn nicht alles – schlechter sei als vor 30, 40, 50 Jahren, würden wohl auch die meisten AfD-Anhänger unterschreiben. Im Grundsatzprogramm der Partei wimmelt es von Forderungen, Reformen und gesellschaftliche Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte wie den Euro oder die Migration zurückzudrehen. Daten, die eine Verschlechterung der Lebensumstände in Deutschland belegen würden, gibt es allerdings nicht – im Gegenteil: Deutschland hat in den vergangenen Jahren ein historisch beispielloses Wohlstandsniveau erreicht, flankiert von einem Höchstmaß an politischer Stabilität, Sicherheit und Freiheit. Das lässt sich mit einer Vielzahl von Fakten und Studien belegen. Hier eine Auswahl von guten Nachrichten der vergangenen Monate:
- In Europa ist nur in der Schweiz und in Dänemark der Lebensstandard höher als in Deutschland. Das geht aus einer aktuellen Studie hervor, in der die Gehaltsunterschiede, die Lebenshaltungskosten und die Kaufkraft beurteilt wurden.
- Der „Global Peace Index“ bringt jedes Jahr eine Liste der sichersten und unsichersten Länder der Erde heraus. Im aktuellen Report liegt Deutschland (wie in den Jahren zuvor auch) auf Rang 16. Damit hält sich Deutschland seit Jahren konsequent im oberen Feld der Liste aus 163 bewerteten Ländern.
- Die Lebenserwartung steigt laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) kontinuierlich an. Am weitesten vorne liegen die Europäer. Deren Lebenserwartung liegt durchschnittlich bei 80 Jahren, in Deutschland bei 80,98 Jahren.1980 erreichten die Europäer ein durchschnittliches Alter von 74 Jahren. Zum Vergleich: Die Lebenserwartung der Amerikaner liegt bei 72 Jahren, der weltweite Durchschnitt bei 70.
- Deutschland hat es einer UN-Studie zufolge erstmals unter die zehn innovativsten Länder der Welt geschafft. Den ersten Platz belegte zum sechsten Mal in Folge die Schweiz, wie aus der von den Vereinten Nationen in New York veröffentlichten Studie hervorgeht. Auf den weiteren Plätzen folgen Schweden, Großbritannien, die USA, Finnland, Singapur, Irland, Dänemark und die Niederlande. Mit dem zehnten Rang lag Deutschland erstmals unter den Top Ten und zwei Plätze besser als im vergangenen Jahr.
- Während in Griechenland und Spanien mehr als die Hälfte aller Jugendlichen auf Jobsuche keinen Arbeitsplatz findet, geht die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland immer weiter zurück. Sie liegt aktuell bei gerade mal sieben Prozent.
- Die Bundesrepublik landet einer Studie der Bertelsmann Stiftung zufolge in Sachen Zukunftsfähigkeit auf dem sechsten Rang unter den 41 OECD- und EU-Mitgliedsländern. Das gute Abschneiden ist vor allem auf den boomenden Arbeitsmarkt und die Umweltpolitik zurückzuführen.
- Beim aktuellen Demokratieindex (Democracy Index) der Zeitschrift The Economist liegt Deutschland als „vollständige Demokratie“ auf Platz 13 von 167 verschiedenen Ländern.
Das alles bedeutet nun nicht, dass Deutschland ein Land ohne Schwierigkeiten wäre. Es gibt viele Probleme, die der Lösung harren, von der Flüchtlingskrise bis hin zu den maroden Schulgebäuden. Aber: Deutschland ist ein starkes Land – und zwar auf der Grundlage wirtschaftlicher Entwicklung, vorausschauender politischer Rahmensetzung und, eben, wissenschaftlicher Erkenntnis.
Eine wachsende Wissenschaftsfeindlichkeit würde uns gesellschaftlich hinter die Maximen der Aufklärung zurückwerfen; sie bedroht die Grundlage des modernen Deutschland, in dem wir heute leben. Hier kommt auch die Bildung ins Spiel: „Wissen ist Macht“, so postulierte der englische Philosoph Francis Bacon schon vor rund 400 Jahren und legte damit den Grundstein für den Rationalismus, der die menschliche Vernunft zum Maßstab des Handelns macht – basierend auf Bildung und wissenschaftlicher Erkenntnis. Und eben nicht auf Glaube und Gefühl, wodurch mittelalterliches Denken bestimmt ist.
Dabei ist das Gefühl, früher sei alles besser gewsesen, ein weit verbreitetes. Es gehört zu den menschlichen Schutzmechanismen: Psychologen beschreiben es als einen Filter im Kopf, der vor allem die schönen Erinnerungen durchlässt – und schlechte löscht. Das bewahrt so manchen davor, in die Depression abzugleiten. Das Problem mit der Verklärung der Vergangenheit ist allerdings die daraus resultierende verzerrte Sicht: Die Gegenwart sieht immer schlechter aus, auch wenn sie es objektiv gar nicht ist.
Wir sollten uns also davor hüten, unser politisches Urteil von nostalgischen Gefühlen bestimmen zu lassen. Kein Problem ist dadurch aus der Welt zu schaffen, dass wir uns in eine Ära zurücksehnen, in der wir davon noch nichts wussten. Das gilt auch für den Klimawandel.
