Hintergrund: Der Ablauf des Massakers am Erfurter Gutenberg-Gymnasium, so wie ihn die Polizei rekonstruiert hat

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ERFURT. Der Ablauf des Amoklaufs am Erfurter Gutenberg-Gymnasium am 26. April 2002 ist von den Ermittlern detailgenau rekonstruiert worden.

Das Erfurter Gymnasium wenige Tage nach dem Schulmassaker (Foto: ASK/Wikimedia CC BY-SA 3.0)
Das Erfurter Gymnasium wenige Tage nach dem Schulmassaker (Foto: ASK/Wikimedia CC BY-SA 3.0)

Am Tatmorgen verabschiedet sich der spätere Amokschütze von seinen Eltern mit der Lüge, er gehe zur Abiturprüfung.

Etwa 10.45 Uhr: Der 19-Jährige betritt seine ehemalige Schule und erkundigt sich beim Hausmeister nach der Direktorin. Nach der Auskunft, sie sei nicht zu sprechen, geht er in die Toilette im Erdgeschoss. Dort zieht er sich seine schwarze Vermummung über und nimmt eine Pistole. Außerdem hat er eine Pumpgun dabei, die er wegen eines Defekts nicht benutzen wird. In der Toilette findet die Polizei später mehrere hundert Schuss Munition.

Etwa 10.58 Uhr: Er geht zum Sekretariat, wo die stellvertretende Schulleiterin und eine Sekretärin seine ersten Opfer sind. In den nächsten knapp zehn Minuten tötet er auf seinem Weg durch die Schule elf Lehrer. An einem Klassenzimmer feuert er durch eine geschlossene Tür und trifft ein Mädchen und einen Jungen, die später beide an ihren Verletzungen sterben.

11.04 Uhr: Per Handy erreicht der erste Notruf die Polizei. Eine Minute später meldet der Hausmeister, in der Schule werde geschossen.

11.08 Uhr: Der erste Streifenwagen trifft ein. Polizisten sehen, wie der 19-Jährige auf dem Schulhof schießt. Ein Polizist gibt einen Schuss ab, der in einer Sandkiste stecken bleibt. Kurz darauf schießt der Täter aus einem Treppenaufgang auf einen 41 Jahre alten Beamten und verletzt diesen tödlich.

Auf seinem weiteren Weg durch die Schule begegnet er zwei Lehrlingen, die Bodenbelag verlegen. Einer von ihnen hatte das Geschehen für eine Abiturienten-Inszenierung gehalten. Auf ihre Frage, ob dies ein übler Scherz sei, antwortet er, er sei von der Schule verwiesen worden. Kurz darauf trifft er auf einen Lehrer, der ihn nach einem Wortwechsel in einem leeren Raum einschließt.

11.17 Uhr: Polizisten hören ein «schussähnliches Geräusch» aus dem Raum. Die Obduktion ergibt, dass sich der Täter zwischen 10.58 Uhr und 11.30 Uhr erschossen hat.

11.30 Uhr: Eine Notärztin und ein Sanitäter gehen mit Schutzwesten ausgerüstet in die Schule und finden drei Leichen.

11.35 Uhr: Spezialeinsatzkräfte treffen ein.

12.03 Uhr: Die schwer bewaffneten Polizisten dringen in das Gebäude ein, suchen es Zimmer für Zimmer ab. Es gab zahlreiche Aussagen, dass ein zweiter Täter mit einem Gewehr unterwegs sein soll.

13.00 Uhr: Spezialkräfte öffnen die Tür zum Raum, in dem sich die Leiche des Schützen befindet. Der Hausmeister identifiziert ihn später.

14.37 Uhr: Die Spezialisten schließen die Durchsuchung der Schule ab, ohne einen zweiten Täter zu finden.

15.34: Die letzten Schüler und Lehrer werden von der Spezialeinheit an den Toten vorbei aus der Schule gebracht.

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Tatort Schule - wenn junge Menschen zur Waffe greifen

Erfurt, Ansbach, Winnenden – wenn Schüler zur Waffe greifen, sind die Motive meist Frust, Rache und Enttäuschung. Acht Fälle aus Deutschland:

Uslar (Niedersachsen), April 2017: Er fühlte sich gemobbt und wollte Mitschüler «umlegen»: Die Polizei nimmt einen 16-Jährigen fest und stellt mehrere Waffen sicher. Der Junge hatte seine Pläne im Internet offenbart.

Memmingen (Bayern), Mai 2012: Aus Liebeskummer feuert ein 14-Jähriger an seiner Schule um sich, niemand wird verletzt. Die Waffen hatte er aus dem väterlichen Tresor gestohlen.

Ludwigshafen (Rheinland-Pfalz), Februar 2010: An einer Berufsschule ersticht ein ehemaliger Schüler seinen früheren Lehrer – aus Wut über schlechte Noten.

Ansbach (Bayern), September 2009: Mit einem Beil, Messern und Molotow-Cocktails läuft ein 18 Jahre alter Gymnasiast an seiner Schule Amok. Der Jugendliche verletzt neun Mitschüler und einen Lehrer.

Sankt Augustin (NRW), Mai 2009: Ein Brandanschlag auf ein Gymnasium wird in letzter Minute verhindert. Im Rucksack einer Schülerin finden sich Molotow-Cocktails. Sie verletzt eine Mitschülerin mit einem Messer.

Winnenden (Baden-Württemberg), März 2009: In seiner früheren Realschule und auf der Flucht erschießt ein 17-Jähriger 15 Menschen und sich selbst. Die Waffe hatte er seinem Vater entwendet.

Emsdetten (NRW), November 2006: Schwer bewaffnet überfällt ein 18-Jähriger seine frühere Schule. Er schießt vier Schüler sowie den Hausmeister an und tötet sich selbst.

Coburg (Bayern), Juli 2003: Ein 16 Jahre alter Realschüler feuert auf seine Klassenlehrerin, die aber unverletzt bleibt. Der Jugendliche tötet sich selbst.

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